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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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zu erleiden gehabt, so blieb ihr doch noch immer ein ansehnliches Erbtheil jenes
freiheitlichen Geistes und jener wissncschaftlichen Größe, die sie in den Tagen der
ersten Frische ausgezeichnet hatten. Noch heute gilt der Zusatz "ehemaliger
Zögling der polytechnischen Schule" als ein ehrenvolles und die Gediegenheit
der Leistung einigermaßen verbürgendes Prädicat, dessen sich selbst die jetzigen
Professoren der Anstalt auf dem Titel ihrer Bücher nicht ungern bedienen.
Das Schicksal Comtes ist mit der pariser polytechnischen Schule zu eng ver¬
webt, als daß wir für diese Hervorhebung des Charakters des berühmten In¬
stituts nicht auf die Entschuldigung des Lesers rechnen sollten. Man kann in
der That von Comte und seiner Philosophie, ja auch nur von einem Theil
derselben nicht reden, ohne zugleich an Bedeutung und Geist jener großartigen
Schöpfung der Revolution und jenes wahrhaft nationalen politischen Instituts
zu erinnern. Für diejenigen, welche den Lehrplan der pariser polytechnischen
Schule kennen, erklärt sich die vorherrschend mathematisch-mechanische Vorbildung
Comtes und aus dieser wiederum die Färbung des Systems. Allein auch für
das spätere Leben des Philosophen hat jene Anstalt eine Bedeutung. Die
gerade nicht beneidenswerther Functionen eines öffentlichen Repetenten für
Mathematik und Mechanik bildeten die einzige Amtsbeschäftigung und Erwerbs¬
thätigkeit Comtes. Wer die Einförmigkeit und das Neglementarische des fran¬
zösischen Unterrichts würdigt, wird sich eine Vorstellung von dem ermüdenden
Handwerk machen können, durch welches unser Denker die Muße zur Aus¬
arbeitung seines sechsbändigen Cursus der positiven Philosophie erkaufen mußte.
Streng darauf beschränkt, den durch die Programme der Verwaltung fast stereotyp
gemachten Inhalt der Professoraten Vorträge zu wiederholen, um nicht zu sagen
wiederzukäuen, und außerdem noch genöthigt, ermüdende Privatlectionen ab<
zuhalten, war er in der für einen mit großen Unternehmungen beschäftigten
Schriftsteller ungünstigsten Lage. Nur den letzten Theil des Tages, also die
Zeit der Abspannung konnte er der Redaction seiner Gedanken widmen. Hierzu
kam noch die stets drohende Gefahr, seiner wissenschaftlichen oder politischen
Ansichten wegen auch der niedrigen und dürftigen Functionen, die er inne hatte,
enthoben zu werden. Die Intriguen Aragos hatten ihn um den wohlverdienten,
ihm von dem größten Theil des Lehrkörpers zugestandenen und ihm auch der
gewöhnlichen Ordnung nach gebührenden Lehrstuhl der Mathematik und Mechanik
gebracht. Allein die Kränkung und Schädigung war nicht eigentlich seine
schlimmste Sorge. Selbst seine Stellung als Repetent war so precär, daß man
sich von derselben aus deutschen Verhältnissen gar keine Vorstellung machen
kann. Höchstens möchte die Bonner Juristenfacultät mit ihrer Kündigung der
Privatdocentcnschaft ein ähnliches Beispiel abgeben; allein jene Kündigung war
wenigstens nicht jährlich. Um also einen ganz zutreffenden Vergleich zu finden,
muß man zu dem Beispiel der polizeilichen Concessionen, die jedes Jahr zu er"


zu erleiden gehabt, so blieb ihr doch noch immer ein ansehnliches Erbtheil jenes
freiheitlichen Geistes und jener wissncschaftlichen Größe, die sie in den Tagen der
ersten Frische ausgezeichnet hatten. Noch heute gilt der Zusatz „ehemaliger
Zögling der polytechnischen Schule" als ein ehrenvolles und die Gediegenheit
der Leistung einigermaßen verbürgendes Prädicat, dessen sich selbst die jetzigen
Professoren der Anstalt auf dem Titel ihrer Bücher nicht ungern bedienen.
Das Schicksal Comtes ist mit der pariser polytechnischen Schule zu eng ver¬
webt, als daß wir für diese Hervorhebung des Charakters des berühmten In¬
stituts nicht auf die Entschuldigung des Lesers rechnen sollten. Man kann in
der That von Comte und seiner Philosophie, ja auch nur von einem Theil
derselben nicht reden, ohne zugleich an Bedeutung und Geist jener großartigen
Schöpfung der Revolution und jenes wahrhaft nationalen politischen Instituts
zu erinnern. Für diejenigen, welche den Lehrplan der pariser polytechnischen
Schule kennen, erklärt sich die vorherrschend mathematisch-mechanische Vorbildung
Comtes und aus dieser wiederum die Färbung des Systems. Allein auch für
das spätere Leben des Philosophen hat jene Anstalt eine Bedeutung. Die
gerade nicht beneidenswerther Functionen eines öffentlichen Repetenten für
Mathematik und Mechanik bildeten die einzige Amtsbeschäftigung und Erwerbs¬
thätigkeit Comtes. Wer die Einförmigkeit und das Neglementarische des fran¬
zösischen Unterrichts würdigt, wird sich eine Vorstellung von dem ermüdenden
Handwerk machen können, durch welches unser Denker die Muße zur Aus¬
arbeitung seines sechsbändigen Cursus der positiven Philosophie erkaufen mußte.
Streng darauf beschränkt, den durch die Programme der Verwaltung fast stereotyp
gemachten Inhalt der Professoraten Vorträge zu wiederholen, um nicht zu sagen
wiederzukäuen, und außerdem noch genöthigt, ermüdende Privatlectionen ab<
zuhalten, war er in der für einen mit großen Unternehmungen beschäftigten
Schriftsteller ungünstigsten Lage. Nur den letzten Theil des Tages, also die
Zeit der Abspannung konnte er der Redaction seiner Gedanken widmen. Hierzu
kam noch die stets drohende Gefahr, seiner wissenschaftlichen oder politischen
Ansichten wegen auch der niedrigen und dürftigen Functionen, die er inne hatte,
enthoben zu werden. Die Intriguen Aragos hatten ihn um den wohlverdienten,
ihm von dem größten Theil des Lehrkörpers zugestandenen und ihm auch der
gewöhnlichen Ordnung nach gebührenden Lehrstuhl der Mathematik und Mechanik
gebracht. Allein die Kränkung und Schädigung war nicht eigentlich seine
schlimmste Sorge. Selbst seine Stellung als Repetent war so precär, daß man
sich von derselben aus deutschen Verhältnissen gar keine Vorstellung machen
kann. Höchstens möchte die Bonner Juristenfacultät mit ihrer Kündigung der
Privatdocentcnschaft ein ähnliches Beispiel abgeben; allein jene Kündigung war
wenigstens nicht jährlich. Um also einen ganz zutreffenden Vergleich zu finden,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/267>, abgerufen am 25.08.2024.