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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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den sächsischen Gesandten in Breslau versichern ließ, daß man in Dresden keines¬
wegs so feindselig gegen Preußen und so voll von blinder und unbedingter
Hingebung an Frankreich sei, als die Welt glaube, und dann später Hrn. v. Thiol-
laz, den sächsischen Vertreter am preußischen Hofe, unter dem Vorwand eines
Urlaubs in Privatgeschäften abberief, um den Eclat einer plötzlichen Abreise
zu vermeiden, wenn es zum Bruch zwischen Preußen und Frankreich kam. So
meinte Hr. v. Senfft sein Spiel verdecken zu können. Die sächsische Bevölkerung
war im großen Ganzen für den Anschluß an die Verbündeten, aber der Minister
und mit ihm der König hielt es der Würde und dem Interesse des Staates nicht
für angemessen, sich ohne die gleichen Motive, die Preußen bestimmten und ehe
die napoleonische Macht in Deutschland für vernichtet gelten konnte, an die
Feinde Frankreichs anzuschließen. Dies sind die eigenen Worte des Hrn. v. Senfft.

Da der sächsische Hof sich nicht für den Anschluß an die Verbündeten ent¬
scheiden konnte, war sein Verweilen im Lande, das fast ganz wehrlos, unmittel¬
bar nach dem Ausbruch des Krieges in den Besitz der Verbündeten gerathen
mußte, eine Unmöglichkeit. Aber wohin sollte man gehen? Der Kaiser von
Oestreich bot dem König das prager Schloß als Asyl an, ein Vorschlag, der
viel für sich hatte; denn Prag lag in dem Gebiet einer Macht, die immer noch
mit Frankreich verbündet war und zugleich von Preußen und Rußland nicht
als Feind betrachtet wurde. Hr. v. Serra gab aber ziemlich deutlich zu ver¬
stehen, daß Kaiser Napoleon die Reise nach Böhmen als eine Abweichung von
dem System betrachten werde, welches Sachsen bis dahin befolgt habe. Wenn
nun auch das sächsische Cabinet eine Annäherung an die Politik Oestreichs noch
für möglich hielt, so glaubte man sich doch nichts erlauben zu dürfen, was Frank¬
reich mißfallen und die Verbindung mit ihm lockern könnte, bevor man mit
größerer Bestimmtheit wußte, in wie weit man sich auf den wiener Hof ver¬
lassen könne. Einen Fingerzeig gab zwar die Haltung der östreichischen Armee
beim Ausgange des russischen Feldzuges, wo sich Russen und Oestreicher ziem¬
lich freundlich gegenübergestanden hatten, und auch die Sendung des Freiherrn
Wessenberg nach London war als ein Schritt zu betrachten, durch welchen sich
das wiener Cabinet einer vermittelnden und neutralen Stellung näherte. Aber
zu einer Erklärung über seine Pläne ließ es sich nicht herbei. Auf der anderen
Seite schlug nun Hr. v. Serra vor -- und sein Vorschlag erhielt, durch directe
Anerbietungen des Kaisers Napoleon unterstützt, noch mehr Gewicht, -- die
Reise in der Richtung von Frankfurt und Mainz anzutreten, was dem sächsischen
Hof im Falle einer antifranzöfischen Wendung in Deutschland keine andere Zu¬
flucht als Frankreich übrig gelassen hätte. Hin- und hergezogen zwischen dem
Wunsch, es mit Oestreich zu halten, wenn dieses sich nur bestimmt erklären
wollte, und zwischen der Angst vor einem Bruche mit Frankreich, das doch noch
siegen konnte, gelangte man bei der Unfähigkeit, einen auf eigene Kraft ge-


den sächsischen Gesandten in Breslau versichern ließ, daß man in Dresden keines¬
wegs so feindselig gegen Preußen und so voll von blinder und unbedingter
Hingebung an Frankreich sei, als die Welt glaube, und dann später Hrn. v. Thiol-
laz, den sächsischen Vertreter am preußischen Hofe, unter dem Vorwand eines
Urlaubs in Privatgeschäften abberief, um den Eclat einer plötzlichen Abreise
zu vermeiden, wenn es zum Bruch zwischen Preußen und Frankreich kam. So
meinte Hr. v. Senfft sein Spiel verdecken zu können. Die sächsische Bevölkerung
war im großen Ganzen für den Anschluß an die Verbündeten, aber der Minister
und mit ihm der König hielt es der Würde und dem Interesse des Staates nicht
für angemessen, sich ohne die gleichen Motive, die Preußen bestimmten und ehe
die napoleonische Macht in Deutschland für vernichtet gelten konnte, an die
Feinde Frankreichs anzuschließen. Dies sind die eigenen Worte des Hrn. v. Senfft.

Da der sächsische Hof sich nicht für den Anschluß an die Verbündeten ent¬
scheiden konnte, war sein Verweilen im Lande, das fast ganz wehrlos, unmittel¬
bar nach dem Ausbruch des Krieges in den Besitz der Verbündeten gerathen
mußte, eine Unmöglichkeit. Aber wohin sollte man gehen? Der Kaiser von
Oestreich bot dem König das prager Schloß als Asyl an, ein Vorschlag, der
viel für sich hatte; denn Prag lag in dem Gebiet einer Macht, die immer noch
mit Frankreich verbündet war und zugleich von Preußen und Rußland nicht
als Feind betrachtet wurde. Hr. v. Serra gab aber ziemlich deutlich zu ver¬
stehen, daß Kaiser Napoleon die Reise nach Böhmen als eine Abweichung von
dem System betrachten werde, welches Sachsen bis dahin befolgt habe. Wenn
nun auch das sächsische Cabinet eine Annäherung an die Politik Oestreichs noch
für möglich hielt, so glaubte man sich doch nichts erlauben zu dürfen, was Frank¬
reich mißfallen und die Verbindung mit ihm lockern könnte, bevor man mit
größerer Bestimmtheit wußte, in wie weit man sich auf den wiener Hof ver¬
lassen könne. Einen Fingerzeig gab zwar die Haltung der östreichischen Armee
beim Ausgange des russischen Feldzuges, wo sich Russen und Oestreicher ziem¬
lich freundlich gegenübergestanden hatten, und auch die Sendung des Freiherrn
Wessenberg nach London war als ein Schritt zu betrachten, durch welchen sich
das wiener Cabinet einer vermittelnden und neutralen Stellung näherte. Aber
zu einer Erklärung über seine Pläne ließ es sich nicht herbei. Auf der anderen
Seite schlug nun Hr. v. Serra vor -- und sein Vorschlag erhielt, durch directe
Anerbietungen des Kaisers Napoleon unterstützt, noch mehr Gewicht, — die
Reise in der Richtung von Frankfurt und Mainz anzutreten, was dem sächsischen
Hof im Falle einer antifranzöfischen Wendung in Deutschland keine andere Zu¬
flucht als Frankreich übrig gelassen hätte. Hin- und hergezogen zwischen dem
Wunsch, es mit Oestreich zu halten, wenn dieses sich nur bestimmt erklären
wollte, und zwischen der Angst vor einem Bruche mit Frankreich, das doch noch
siegen konnte, gelangte man bei der Unfähigkeit, einen auf eigene Kraft ge-


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[0254] den sächsischen Gesandten in Breslau versichern ließ, daß man in Dresden keines¬ wegs so feindselig gegen Preußen und so voll von blinder und unbedingter Hingebung an Frankreich sei, als die Welt glaube, und dann später Hrn. v. Thiol- laz, den sächsischen Vertreter am preußischen Hofe, unter dem Vorwand eines Urlaubs in Privatgeschäften abberief, um den Eclat einer plötzlichen Abreise zu vermeiden, wenn es zum Bruch zwischen Preußen und Frankreich kam. So meinte Hr. v. Senfft sein Spiel verdecken zu können. Die sächsische Bevölkerung war im großen Ganzen für den Anschluß an die Verbündeten, aber der Minister und mit ihm der König hielt es der Würde und dem Interesse des Staates nicht für angemessen, sich ohne die gleichen Motive, die Preußen bestimmten und ehe die napoleonische Macht in Deutschland für vernichtet gelten konnte, an die Feinde Frankreichs anzuschließen. Dies sind die eigenen Worte des Hrn. v. Senfft. Da der sächsische Hof sich nicht für den Anschluß an die Verbündeten ent¬ scheiden konnte, war sein Verweilen im Lande, das fast ganz wehrlos, unmittel¬ bar nach dem Ausbruch des Krieges in den Besitz der Verbündeten gerathen mußte, eine Unmöglichkeit. Aber wohin sollte man gehen? Der Kaiser von Oestreich bot dem König das prager Schloß als Asyl an, ein Vorschlag, der viel für sich hatte; denn Prag lag in dem Gebiet einer Macht, die immer noch mit Frankreich verbündet war und zugleich von Preußen und Rußland nicht als Feind betrachtet wurde. Hr. v. Serra gab aber ziemlich deutlich zu ver¬ stehen, daß Kaiser Napoleon die Reise nach Böhmen als eine Abweichung von dem System betrachten werde, welches Sachsen bis dahin befolgt habe. Wenn nun auch das sächsische Cabinet eine Annäherung an die Politik Oestreichs noch für möglich hielt, so glaubte man sich doch nichts erlauben zu dürfen, was Frank¬ reich mißfallen und die Verbindung mit ihm lockern könnte, bevor man mit größerer Bestimmtheit wußte, in wie weit man sich auf den wiener Hof ver¬ lassen könne. Einen Fingerzeig gab zwar die Haltung der östreichischen Armee beim Ausgange des russischen Feldzuges, wo sich Russen und Oestreicher ziem¬ lich freundlich gegenübergestanden hatten, und auch die Sendung des Freiherrn Wessenberg nach London war als ein Schritt zu betrachten, durch welchen sich das wiener Cabinet einer vermittelnden und neutralen Stellung näherte. Aber zu einer Erklärung über seine Pläne ließ es sich nicht herbei. Auf der anderen Seite schlug nun Hr. v. Serra vor -- und sein Vorschlag erhielt, durch directe Anerbietungen des Kaisers Napoleon unterstützt, noch mehr Gewicht, — die Reise in der Richtung von Frankfurt und Mainz anzutreten, was dem sächsischen Hof im Falle einer antifranzöfischen Wendung in Deutschland keine andere Zu¬ flucht als Frankreich übrig gelassen hätte. Hin- und hergezogen zwischen dem Wunsch, es mit Oestreich zu halten, wenn dieses sich nur bestimmt erklären wollte, und zwischen der Angst vor einem Bruche mit Frankreich, das doch noch siegen konnte, gelangte man bei der Unfähigkeit, einen auf eigene Kraft ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/254>, abgerufen am 22.07.2024.