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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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meinen Ausdrücken von seinen Verlusten, seinen Hilfsquellen, von den 100,000
Mann, die er am Niemen stehen habe und die zur Vertheidigung der Weichsel¬
linie genügen müßten. Er legte Besorgnisse wegen der Haltung Oestreichs an
den Tag und sprach den Wunsch aus, es aufmerksam beobachtet zu sehen. In
Bezug auf Preußen zeigte er Vertrauen, nicht minder in Bezug auf Sachsen
und dessen König, den er fragte, ob er noch mit Hrn. v. Senfft zufrieden sei.
Schließlich versprach er, mit neuen Streitkräften zurückzukehren, um den in die¬
sem Feldzug erlittenen Schaden wieder gut zu machen. Bald darauf erschien
er im Salon reisefertig gekleidet. Beim Eintreten trällerte er einen Chanson
mit einer angenommenen Heiterkeit, die, indem sie Unbesvrgtheit inmitten schwe¬
rer Schicksalsschläge andeuten sollte, eher das Gegentheil von der würdevollen
Haltung und Großherzigkeit zeigte, die man bei einem durch eigene Kraft so
hoch Gestiegenen hätte voraussehen sollen. Dem ungeachtet scheint sein Auf¬
treten in Dresden imponirt zu haben; denn selbst als man einige Wochen spä¬
ter von den sächsischen Truppen zuverlässige Nachrichten über die ungeheuren
Verluste der Franzosen und über die vollständige Auflösung ihrer Armee erhielt,
dämmerte noch keine Ahnung auf, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, sich
der drückenden Tyrannei Napoleons zu entziehen, während sonst fast überall in
Deutscbland dieser Gedanke aufflammte. Selbst die Instructionen, welche noch
Ende Januar Hr. v. Watzdorf bei seiner Abreise nach Wien erhielt, hatte
Hr. v. Senfft ganz im Sinne einer unwandelbaren Anhänglichkeit an das fran¬
zösische System entworfen. So fremd waren dem sächsischen Minister national¬
deutsche Gesichtspunkte, daß er selbst für den Fall des Sieges der Verbündeten
nach eigenem Geständnis) in Frankreich die natürliche Stütze der deutschen Für¬
sten gegen ihre Nachbarn im Norden und Osten sah, d. h. mit speciellen Be¬
zug auf Sachsen: Schutz gegen Preußen, das gar nicht zu Deutschland gerech¬
net wurde, und wegen des Großherzogthums Warschau gegen Rußland. Um
diesen für Sachsen so verhängnißvollen Besitz dem König zu erhalten, kam Hr.
v. Senfft sogar auf den Gedanken, sich an England zu wenden. Aber auch
dieser Schritt, der zu einer Annäherung an die Verbündeten hätte führen kön¬
nen, scheiterte am König, der es nicht über sich gewinnen konnte, etwas zu
wagen, was von Frankreich als ein Versuch zu selbständiger Haltung hätte an¬
gesehen werden müssen.

Mittlerweile nahte für Sachsen der entscheidende Augenblick. Ein sächsisches
Obscrvationscorps sammelte sich in der Niederlausitz, während die Trümmer der
Regimenter, welche den Feldzug in Rußland mitgemacht hatten, sich der Heimath
näherten. Preußen waffnete und zog seine Streitkräfte in Schlesien zusammen,
wohin sich der König Friedrich Wilhelm plötzlich begab und jeden Tag mehrten
sich die Anzeichen, daß Preußen den Berzweiflnngskampf um seine Befreiung
unternehmen wolle. Hr. v. Senfft glaubte sehr klug zu handeln, wenn er durch


Grenzboten IV. 1864. 32

meinen Ausdrücken von seinen Verlusten, seinen Hilfsquellen, von den 100,000
Mann, die er am Niemen stehen habe und die zur Vertheidigung der Weichsel¬
linie genügen müßten. Er legte Besorgnisse wegen der Haltung Oestreichs an
den Tag und sprach den Wunsch aus, es aufmerksam beobachtet zu sehen. In
Bezug auf Preußen zeigte er Vertrauen, nicht minder in Bezug auf Sachsen
und dessen König, den er fragte, ob er noch mit Hrn. v. Senfft zufrieden sei.
Schließlich versprach er, mit neuen Streitkräften zurückzukehren, um den in die¬
sem Feldzug erlittenen Schaden wieder gut zu machen. Bald darauf erschien
er im Salon reisefertig gekleidet. Beim Eintreten trällerte er einen Chanson
mit einer angenommenen Heiterkeit, die, indem sie Unbesvrgtheit inmitten schwe¬
rer Schicksalsschläge andeuten sollte, eher das Gegentheil von der würdevollen
Haltung und Großherzigkeit zeigte, die man bei einem durch eigene Kraft so
hoch Gestiegenen hätte voraussehen sollen. Dem ungeachtet scheint sein Auf¬
treten in Dresden imponirt zu haben; denn selbst als man einige Wochen spä¬
ter von den sächsischen Truppen zuverlässige Nachrichten über die ungeheuren
Verluste der Franzosen und über die vollständige Auflösung ihrer Armee erhielt,
dämmerte noch keine Ahnung auf, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen sei, sich
der drückenden Tyrannei Napoleons zu entziehen, während sonst fast überall in
Deutscbland dieser Gedanke aufflammte. Selbst die Instructionen, welche noch
Ende Januar Hr. v. Watzdorf bei seiner Abreise nach Wien erhielt, hatte
Hr. v. Senfft ganz im Sinne einer unwandelbaren Anhänglichkeit an das fran¬
zösische System entworfen. So fremd waren dem sächsischen Minister national¬
deutsche Gesichtspunkte, daß er selbst für den Fall des Sieges der Verbündeten
nach eigenem Geständnis) in Frankreich die natürliche Stütze der deutschen Für¬
sten gegen ihre Nachbarn im Norden und Osten sah, d. h. mit speciellen Be¬
zug auf Sachsen: Schutz gegen Preußen, das gar nicht zu Deutschland gerech¬
net wurde, und wegen des Großherzogthums Warschau gegen Rußland. Um
diesen für Sachsen so verhängnißvollen Besitz dem König zu erhalten, kam Hr.
v. Senfft sogar auf den Gedanken, sich an England zu wenden. Aber auch
dieser Schritt, der zu einer Annäherung an die Verbündeten hätte führen kön¬
nen, scheiterte am König, der es nicht über sich gewinnen konnte, etwas zu
wagen, was von Frankreich als ein Versuch zu selbständiger Haltung hätte an¬
gesehen werden müssen.

Mittlerweile nahte für Sachsen der entscheidende Augenblick. Ein sächsisches
Obscrvationscorps sammelte sich in der Niederlausitz, während die Trümmer der
Regimenter, welche den Feldzug in Rußland mitgemacht hatten, sich der Heimath
näherten. Preußen waffnete und zog seine Streitkräfte in Schlesien zusammen,
wohin sich der König Friedrich Wilhelm plötzlich begab und jeden Tag mehrten
sich die Anzeichen, daß Preußen den Berzweiflnngskampf um seine Befreiung
unternehmen wolle. Hr. v. Senfft glaubte sehr klug zu handeln, wenn er durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/253>, abgerufen am 22.07.2024.