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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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wissenschaftliches Studium genährt, sich ausschließlich innerhalb der Interessen
des praktischen Lebens bewegte. Lange Erfahrung hatte ihm ziemlich viel Ge¬
schäftstakt und Menschenkenntnis; gegeben, was nicht verhinderte, daß er, der
Arbeit ungewohnt, fortwährend von oft gewissenlosen Unterbeamten, denen die
Geschäfte seines Departements überlassen blieben, umgeben blieb und ausgebeutet
wurde. Er hielt sich für einen Adepten in der großen Politik seitdem er
1790 dem Kaiser Leopold in Mailand Eröffnungen über eine Verständigung
mit Preußen gemacht und bei diesem Monarchen die ersten Schritte gethan hatte,
um dem Abgesandten des berliner Hofes, dem General Bischoffswerder, eine
günstige Aufnahme bereiten zu helfen. Guter Gatte, guter Herr und vor allem,
wie wir bereits sagten, getreuer Diener, fehlten ihm im Uebrigen alle anderen
Hcrzcnseigenschaftcn höherer Art, alle Tugenden, die im echten Muthe ihre
Wurzel haben. Vom ersten Pagen des Kurfürsten war er anerkannter Günst¬
ling geworden. Indem er auf diese Weise fast ohne Uebergang aus einem
Zustand der Abhängigkeit und fast der Dienstbarkeit sich in Vertraulichkeit mit
gekrönten Häuptern und in eine Stellung aufgerückt sah, die alle Höflinge in
die Lage brachte, seinen Schutz zu suchen, waren ihm die Nüancen, die aus
dem sich auf gleichem Fuß bewegenden Verkehr der Leute von Welt entstehen,
entgangen; er hatte in der That niemals die Gesellschaft gekannt, von der er
gänzlich entfernt lebte und er war in seinen Manieren wie in seiner Denkungs-
wcise vielmehr Großvezier als Edelmann. Da alle großherzigen und ritterlichen
Gefühle als Früchte der Illusion und des Enthusiasmus nur sein Mitleid er¬
regten, hatte er die Denkungswcise des Herrn v. Senfft studiren lassen, um
in ihr Mittel zu finden, ihm von Anfang an hemmend in den Weg zu treten
und indem er ihm jeden vorwiegenden Einfluß nahm, ihn als nützliches Werk¬
zeug für die Besorgung der Staatsgeschäfte auszubeuten.

Wenden wir uns nun zu dem eigentlichen Gegenstand unserer Darstellung, zu
der Krisis, in der Sachsen für immer seine Bedeutung als leitender Staat in
Deutschland verlor.

Man hatte bereits in Dresden Kunde von dem Rückzug der Franzosen und
von der Schlacht an der Beiesina, aber man ahnte nicht im Mindesten den
ganzen Umfang des Unglücks, welches über die große Armee hereingebrochen
war. als Allen unerwartet i" der Nacht vom 16. zum 17. December 1812 der
Kaiser in Dresden ankam, nur begleitet von dem Herzog von Vicenza. Es
war 2 Uhr Morgens und der König von Sachsen, den man sofort geweckt
hatte, kleidete sich in aller Eile an und begab sich auf die Einladung Napoleons
in die Wohnung des französischen Gesandten, Hrn. v. Serra, ein ganz exorbi¬
tanter Schritt von it>in, denn er hatte noch nie in Dresden ein Privathaus
betreten. Der Kaiser empfing ihn im Bett seines Ministers und Beide unter¬
hielten sich wohl anderthalb Stunden mit einander. Napoleon sprach in allge-


wissenschaftliches Studium genährt, sich ausschließlich innerhalb der Interessen
des praktischen Lebens bewegte. Lange Erfahrung hatte ihm ziemlich viel Ge¬
schäftstakt und Menschenkenntnis; gegeben, was nicht verhinderte, daß er, der
Arbeit ungewohnt, fortwährend von oft gewissenlosen Unterbeamten, denen die
Geschäfte seines Departements überlassen blieben, umgeben blieb und ausgebeutet
wurde. Er hielt sich für einen Adepten in der großen Politik seitdem er
1790 dem Kaiser Leopold in Mailand Eröffnungen über eine Verständigung
mit Preußen gemacht und bei diesem Monarchen die ersten Schritte gethan hatte,
um dem Abgesandten des berliner Hofes, dem General Bischoffswerder, eine
günstige Aufnahme bereiten zu helfen. Guter Gatte, guter Herr und vor allem,
wie wir bereits sagten, getreuer Diener, fehlten ihm im Uebrigen alle anderen
Hcrzcnseigenschaftcn höherer Art, alle Tugenden, die im echten Muthe ihre
Wurzel haben. Vom ersten Pagen des Kurfürsten war er anerkannter Günst¬
ling geworden. Indem er auf diese Weise fast ohne Uebergang aus einem
Zustand der Abhängigkeit und fast der Dienstbarkeit sich in Vertraulichkeit mit
gekrönten Häuptern und in eine Stellung aufgerückt sah, die alle Höflinge in
die Lage brachte, seinen Schutz zu suchen, waren ihm die Nüancen, die aus
dem sich auf gleichem Fuß bewegenden Verkehr der Leute von Welt entstehen,
entgangen; er hatte in der That niemals die Gesellschaft gekannt, von der er
gänzlich entfernt lebte und er war in seinen Manieren wie in seiner Denkungs-
wcise vielmehr Großvezier als Edelmann. Da alle großherzigen und ritterlichen
Gefühle als Früchte der Illusion und des Enthusiasmus nur sein Mitleid er¬
regten, hatte er die Denkungswcise des Herrn v. Senfft studiren lassen, um
in ihr Mittel zu finden, ihm von Anfang an hemmend in den Weg zu treten
und indem er ihm jeden vorwiegenden Einfluß nahm, ihn als nützliches Werk¬
zeug für die Besorgung der Staatsgeschäfte auszubeuten.

Wenden wir uns nun zu dem eigentlichen Gegenstand unserer Darstellung, zu
der Krisis, in der Sachsen für immer seine Bedeutung als leitender Staat in
Deutschland verlor.

Man hatte bereits in Dresden Kunde von dem Rückzug der Franzosen und
von der Schlacht an der Beiesina, aber man ahnte nicht im Mindesten den
ganzen Umfang des Unglücks, welches über die große Armee hereingebrochen
war. als Allen unerwartet i» der Nacht vom 16. zum 17. December 1812 der
Kaiser in Dresden ankam, nur begleitet von dem Herzog von Vicenza. Es
war 2 Uhr Morgens und der König von Sachsen, den man sofort geweckt
hatte, kleidete sich in aller Eile an und begab sich auf die Einladung Napoleons
in die Wohnung des französischen Gesandten, Hrn. v. Serra, ein ganz exorbi¬
tanter Schritt von it>in, denn er hatte noch nie in Dresden ein Privathaus
betreten. Der Kaiser empfing ihn im Bett seines Ministers und Beide unter¬
hielten sich wohl anderthalb Stunden mit einander. Napoleon sprach in allge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/252>, abgerufen am 22.07.2024.