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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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dieser Localbehörden zu ändern, die durch ihre fortwährende Berührung mit
dem Volke für dieses die Negierung darstellten, und deren Stabilität daher für
die stetige Entwicklung der öffentlichen Meinung und für die öffentliche Ruhe
von Bedeutung ist. Sein Plan war einfach von Nutzen für das Land und
verursachte keine neuen Ausgaben. Es fehlte ihm allerdings die vollkommene
Kenntnis; des Landes und der localen Hebel, Von denen sein Gedeihen abhing,
eine Kenntniß, die zu oft denen abgeht, die inmitten der Geschäfte aus¬
gewachsen sind und die vornehmlich selten bet den Staatsmännern in Sachsen
ist, wo fast alles ohne andere Prüfung oder Untersuchung an Ort und Stelle nach
den Berichten der competenten Behörde entschieden wird, und wo ebendeshalb
zu oft der Buchstabe herrscht. Die Pläne des Herrn v. Senfft hätten daher
aus Schwierigkeiten in den Einzelheiten stoßen können, die er nicht voraus¬
gesehen hatte. Er wußte außerdem, daß der Minister des Innern, ein Ehren¬
mann, aber ein Mann der Routine, der wenig Ansehn beim König genoß,
schwer aus seine Ansichten eingehen würde. Aber er hatte bis dahin nicht ge¬
ahnt, wie äußerst schwer es dem König fiel, zu einem Entschluß zu kommen,
außer höchstens, wenn derselbe durch Erwägungen der Gerechtigkeit und Gesetz¬
lichkeit streng vorgeschrieben oder von der gebieterischen Gewalt der Umstände
befohlen wurde. Niemals hat man eine solche Herzensreinheit und Selbstver-
läugnung. so viel gewissenhafte Pflichttreue, einen sich der Arbeit mehr wid¬
menden und von Voreingenommenheiten freien Geist, ein gesunderes Urtheil,
eine vollkommenere Ergebung in die von der Vorsehung verhängten Uebel, mit
einem Worte mehr Tugenden und mehr Scharfblick und Kenntnisse verbunden
gesehen mit der Scheu vor jeder Verantwortlichkeit, deren Bewußtsein ihm die
Fähigkeit des Entschlusses raubte. Daher die Rücksichtsnahme auf die gering¬
fügigsten Einwendungen, das Zögern vor den unbedeutendsten Hindernissen,
die Lethargie, die alles erstarren machte, der Verzicht auf allen eigenen Willen
endlich, der ihn selbst den Despotismus Napoleons zu lieben zwang, weil er mit
eiserner Hand den Weg verzeichnete, der gegangen werden mußte, und ihm so
die Qual des Wählers ersparte.

Solche Charaktere, die es dem Despotismus bequem machen, sind häufiger
als man glaubt; man muß lernen sie zu erkennen und sie zu behandeln, wie
sie behandelt werden müssen, wenn man zu regieren verstehen will. Der König
besaß in Sachsen den Einfluß, den eine vierzigjährige Negierung verleiht, und
man kann den geistigen Zustand nicht besser schildern, als wenn man ihn mit
der versteinerten Stadt aus Tausend und Einer Nacht vergleicht. Der erstarrende
Zauber berückte die meisten Geister, so wie sie ins Amt traten. Oeffentliche
Meinung. Gesellschaft, Hofgcbräuche, die wissenschaftlichen Institute bis zur
Universität hinaus, mit einem Worte alles war von diesem herrschenden Zustande
angesteckt und Herr v. Senfft. weit entfernt stark genug zu sein, ihn zu be-


dieser Localbehörden zu ändern, die durch ihre fortwährende Berührung mit
dem Volke für dieses die Negierung darstellten, und deren Stabilität daher für
die stetige Entwicklung der öffentlichen Meinung und für die öffentliche Ruhe
von Bedeutung ist. Sein Plan war einfach von Nutzen für das Land und
verursachte keine neuen Ausgaben. Es fehlte ihm allerdings die vollkommene
Kenntnis; des Landes und der localen Hebel, Von denen sein Gedeihen abhing,
eine Kenntniß, die zu oft denen abgeht, die inmitten der Geschäfte aus¬
gewachsen sind und die vornehmlich selten bet den Staatsmännern in Sachsen
ist, wo fast alles ohne andere Prüfung oder Untersuchung an Ort und Stelle nach
den Berichten der competenten Behörde entschieden wird, und wo ebendeshalb
zu oft der Buchstabe herrscht. Die Pläne des Herrn v. Senfft hätten daher
aus Schwierigkeiten in den Einzelheiten stoßen können, die er nicht voraus¬
gesehen hatte. Er wußte außerdem, daß der Minister des Innern, ein Ehren¬
mann, aber ein Mann der Routine, der wenig Ansehn beim König genoß,
schwer aus seine Ansichten eingehen würde. Aber er hatte bis dahin nicht ge¬
ahnt, wie äußerst schwer es dem König fiel, zu einem Entschluß zu kommen,
außer höchstens, wenn derselbe durch Erwägungen der Gerechtigkeit und Gesetz¬
lichkeit streng vorgeschrieben oder von der gebieterischen Gewalt der Umstände
befohlen wurde. Niemals hat man eine solche Herzensreinheit und Selbstver-
läugnung. so viel gewissenhafte Pflichttreue, einen sich der Arbeit mehr wid¬
menden und von Voreingenommenheiten freien Geist, ein gesunderes Urtheil,
eine vollkommenere Ergebung in die von der Vorsehung verhängten Uebel, mit
einem Worte mehr Tugenden und mehr Scharfblick und Kenntnisse verbunden
gesehen mit der Scheu vor jeder Verantwortlichkeit, deren Bewußtsein ihm die
Fähigkeit des Entschlusses raubte. Daher die Rücksichtsnahme auf die gering¬
fügigsten Einwendungen, das Zögern vor den unbedeutendsten Hindernissen,
die Lethargie, die alles erstarren machte, der Verzicht auf allen eigenen Willen
endlich, der ihn selbst den Despotismus Napoleons zu lieben zwang, weil er mit
eiserner Hand den Weg verzeichnete, der gegangen werden mußte, und ihm so
die Qual des Wählers ersparte.

Solche Charaktere, die es dem Despotismus bequem machen, sind häufiger
als man glaubt; man muß lernen sie zu erkennen und sie zu behandeln, wie
sie behandelt werden müssen, wenn man zu regieren verstehen will. Der König
besaß in Sachsen den Einfluß, den eine vierzigjährige Negierung verleiht, und
man kann den geistigen Zustand nicht besser schildern, als wenn man ihn mit
der versteinerten Stadt aus Tausend und Einer Nacht vergleicht. Der erstarrende
Zauber berückte die meisten Geister, so wie sie ins Amt traten. Oeffentliche
Meinung. Gesellschaft, Hofgcbräuche, die wissenschaftlichen Institute bis zur
Universität hinaus, mit einem Worte alles war von diesem herrschenden Zustande
angesteckt und Herr v. Senfft. weit entfernt stark genug zu sein, ihn zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/248>, abgerufen am 01.10.2024.