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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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so zu sagen gerichtlichen Geschäftsgang angenommen. Alle Fragen wurden zu
ebenso vielen Processen zwischen den verschiedenen Departements, die, je aus
einer großen Anzahl von Räthen zusammengesetzt, mit großem Ernste und vieler
Gründlichkeit beriethen und und nichts zu Ende kamen. Alle gemeinnützigen
Unternehmungen, alle Veränderungen oder Einrichtungen von der größten
Nothwendigkeit und Nützlichkeit wurden durch die Langathmigkeit der Berathung
verschleppt; Pläne, die im Entwurf ausgezeichnet waren, wurden auf dem
langen Wege durch die Bureaus, wo man sich zu ihrer Annahme schwer ent¬
schließen konnte, verstümmelt, mit Clauseln und mit Einzelheiten überladen,
die ihre Wirkung vereiteln mußten. Seitdem der Geheimrath oder das Con-
ferenzministerium, jeder Einwirkung auf die Finanzen beraubt, durch die Natur
seiner Zusammensetzung sein ehemaliges Gewicht und Ansehen verloren hatte,
fehlte es an einer gemeinsamen Centralstelle für die Berathung wichtiger An¬
gelegenheiten und der König, der, obgleich stark in der Discussion durch seine
geschlossene Logik, doch nicht gern in Conferenzen, die er zu leiten wenig ge¬
wohnt war, Staatsgeschäfte verhandeln sah, entschied über die wichtigsten Ma߬
regeln, allerdings mit Zugrundlegung schriftlicher Berichte der verschiedenen
Departements, aber doch mit einem seiner Minister allein. Nur von Zeit zu
Zeit und immer im Geheimen zog er einen Dritten zu Rathe über Fragen,
welche er noch nicht genügend aufgeklärt fand. Indem die Negierungsmaschinerie
durch ihre seltsame Complication die Verantwortlichkeit des Einzelnen fast gänz¬
lich verschwinden ließ, nahm sie dem Talente, das keine Hoffnung auf Aus¬
führung seiner Pläne sah, jeden Sporn. Mißbräuche schlichen sich überall ein und
da sie unter zahllosen Formalitäten Schutz fanden, konnten sie selten beseitigt
Werden. In den Gerichten, wo der Adel einen großen Theil der Stellen inne
hatte, herrschte die Unbestechlichkeit, auf welche das Land mit vollem Rechte
stolz war; aber in der Verwaltung war die Korruption heimisch und beschützt
von einigen der Räthe, die, aus der Classe der Advocaten hervorgegangen, aus
Gewohnheit bei den Subalternen Mißbräuche duldeten, deren sie selbst sich
nicht schuldig machten, -- beschützt, sagen wir, von diesen und geduldet von der
Lässigkeit der Anderen, verbreitete sie ihren schädlichen Einfluß weithin über
die Geschäfte. Herr v. Senfft schmeichelte sich, so vielen Uebeln Abhilfe zu
schaffen, wenn er den Geheimrath' verstärkte und bei besonders wichtigen Be¬
rathungen die Mitglieder der anderen Departements und hauptsächlich desjenigen
der Finanzen zuzog; ferner wenn er von den Beamten in den verschiedenen Vcr-
waltungszweigen eine größere persönliche Verantwortlichkeit forderte; wenn er
endlich an verschiedenen Orten Gerichtshöfe einrichtete, welche all der Leitung
der Polizei und der Justizpflege und mit Beaufsichtigung der bisher unter
alleiniger Controle der Centralbehörde in Dresden stehenden Localämtcr be¬
traut wurden Er hielt es für besonders wichtig, nichts in der Organisation
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so zu sagen gerichtlichen Geschäftsgang angenommen. Alle Fragen wurden zu
ebenso vielen Processen zwischen den verschiedenen Departements, die, je aus
einer großen Anzahl von Räthen zusammengesetzt, mit großem Ernste und vieler
Gründlichkeit beriethen und und nichts zu Ende kamen. Alle gemeinnützigen
Unternehmungen, alle Veränderungen oder Einrichtungen von der größten
Nothwendigkeit und Nützlichkeit wurden durch die Langathmigkeit der Berathung
verschleppt; Pläne, die im Entwurf ausgezeichnet waren, wurden auf dem
langen Wege durch die Bureaus, wo man sich zu ihrer Annahme schwer ent¬
schließen konnte, verstümmelt, mit Clauseln und mit Einzelheiten überladen,
die ihre Wirkung vereiteln mußten. Seitdem der Geheimrath oder das Con-
ferenzministerium, jeder Einwirkung auf die Finanzen beraubt, durch die Natur
seiner Zusammensetzung sein ehemaliges Gewicht und Ansehen verloren hatte,
fehlte es an einer gemeinsamen Centralstelle für die Berathung wichtiger An¬
gelegenheiten und der König, der, obgleich stark in der Discussion durch seine
geschlossene Logik, doch nicht gern in Conferenzen, die er zu leiten wenig ge¬
wohnt war, Staatsgeschäfte verhandeln sah, entschied über die wichtigsten Ma߬
regeln, allerdings mit Zugrundlegung schriftlicher Berichte der verschiedenen
Departements, aber doch mit einem seiner Minister allein. Nur von Zeit zu
Zeit und immer im Geheimen zog er einen Dritten zu Rathe über Fragen,
welche er noch nicht genügend aufgeklärt fand. Indem die Negierungsmaschinerie
durch ihre seltsame Complication die Verantwortlichkeit des Einzelnen fast gänz¬
lich verschwinden ließ, nahm sie dem Talente, das keine Hoffnung auf Aus¬
führung seiner Pläne sah, jeden Sporn. Mißbräuche schlichen sich überall ein und
da sie unter zahllosen Formalitäten Schutz fanden, konnten sie selten beseitigt
Werden. In den Gerichten, wo der Adel einen großen Theil der Stellen inne
hatte, herrschte die Unbestechlichkeit, auf welche das Land mit vollem Rechte
stolz war; aber in der Verwaltung war die Korruption heimisch und beschützt
von einigen der Räthe, die, aus der Classe der Advocaten hervorgegangen, aus
Gewohnheit bei den Subalternen Mißbräuche duldeten, deren sie selbst sich
nicht schuldig machten, — beschützt, sagen wir, von diesen und geduldet von der
Lässigkeit der Anderen, verbreitete sie ihren schädlichen Einfluß weithin über
die Geschäfte. Herr v. Senfft schmeichelte sich, so vielen Uebeln Abhilfe zu
schaffen, wenn er den Geheimrath' verstärkte und bei besonders wichtigen Be¬
rathungen die Mitglieder der anderen Departements und hauptsächlich desjenigen
der Finanzen zuzog; ferner wenn er von den Beamten in den verschiedenen Vcr-
waltungszweigen eine größere persönliche Verantwortlichkeit forderte; wenn er
endlich an verschiedenen Orten Gerichtshöfe einrichtete, welche all der Leitung
der Polizei und der Justizpflege und mit Beaufsichtigung der bisher unter
alleiniger Controle der Centralbehörde in Dresden stehenden Localämtcr be¬
traut wurden Er hielt es für besonders wichtig, nichts in der Organisation
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[0247] so zu sagen gerichtlichen Geschäftsgang angenommen. Alle Fragen wurden zu ebenso vielen Processen zwischen den verschiedenen Departements, die, je aus einer großen Anzahl von Räthen zusammengesetzt, mit großem Ernste und vieler Gründlichkeit beriethen und und nichts zu Ende kamen. Alle gemeinnützigen Unternehmungen, alle Veränderungen oder Einrichtungen von der größten Nothwendigkeit und Nützlichkeit wurden durch die Langathmigkeit der Berathung verschleppt; Pläne, die im Entwurf ausgezeichnet waren, wurden auf dem langen Wege durch die Bureaus, wo man sich zu ihrer Annahme schwer ent¬ schließen konnte, verstümmelt, mit Clauseln und mit Einzelheiten überladen, die ihre Wirkung vereiteln mußten. Seitdem der Geheimrath oder das Con- ferenzministerium, jeder Einwirkung auf die Finanzen beraubt, durch die Natur seiner Zusammensetzung sein ehemaliges Gewicht und Ansehen verloren hatte, fehlte es an einer gemeinsamen Centralstelle für die Berathung wichtiger An¬ gelegenheiten und der König, der, obgleich stark in der Discussion durch seine geschlossene Logik, doch nicht gern in Conferenzen, die er zu leiten wenig ge¬ wohnt war, Staatsgeschäfte verhandeln sah, entschied über die wichtigsten Ma߬ regeln, allerdings mit Zugrundlegung schriftlicher Berichte der verschiedenen Departements, aber doch mit einem seiner Minister allein. Nur von Zeit zu Zeit und immer im Geheimen zog er einen Dritten zu Rathe über Fragen, welche er noch nicht genügend aufgeklärt fand. Indem die Negierungsmaschinerie durch ihre seltsame Complication die Verantwortlichkeit des Einzelnen fast gänz¬ lich verschwinden ließ, nahm sie dem Talente, das keine Hoffnung auf Aus¬ führung seiner Pläne sah, jeden Sporn. Mißbräuche schlichen sich überall ein und da sie unter zahllosen Formalitäten Schutz fanden, konnten sie selten beseitigt Werden. In den Gerichten, wo der Adel einen großen Theil der Stellen inne hatte, herrschte die Unbestechlichkeit, auf welche das Land mit vollem Rechte stolz war; aber in der Verwaltung war die Korruption heimisch und beschützt von einigen der Räthe, die, aus der Classe der Advocaten hervorgegangen, aus Gewohnheit bei den Subalternen Mißbräuche duldeten, deren sie selbst sich nicht schuldig machten, — beschützt, sagen wir, von diesen und geduldet von der Lässigkeit der Anderen, verbreitete sie ihren schädlichen Einfluß weithin über die Geschäfte. Herr v. Senfft schmeichelte sich, so vielen Uebeln Abhilfe zu schaffen, wenn er den Geheimrath' verstärkte und bei besonders wichtigen Be¬ rathungen die Mitglieder der anderen Departements und hauptsächlich desjenigen der Finanzen zuzog; ferner wenn er von den Beamten in den verschiedenen Vcr- waltungszweigen eine größere persönliche Verantwortlichkeit forderte; wenn er endlich an verschiedenen Orten Gerichtshöfe einrichtete, welche all der Leitung der Polizei und der Justizpflege und mit Beaufsichtigung der bisher unter alleiniger Controle der Centralbehörde in Dresden stehenden Localämtcr be¬ traut wurden Er hielt es für besonders wichtig, nichts in der Organisation * 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/247>, abgerufen am 01.10.2024.