Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mersch noch anzutreffen ist, ob in gewissen Kreisen Schleswig-Holsteins oder in
Schwaben, darüber läßt sich nicht streiten, daß in Lauenburg der normale Kon¬
servative die Mehrzahl der Bevölkerung bildet. Nur den lübecker Kaufleuten
könnte die erste Schleswig-holsteinische Erhebung mehr zuwider gewesen sein, als
dem Nachbar an der Steckcnitz und Wakeuch. Waren die Steuern etwa zu
hoch oder trübten die Dänen etwa dem Lancnburger das Wasser? Und was
gab der Productenhändler sür das neue Gewächs der Nationalität? Sehr un¬
gern und nur durch die Noth gedrungen ließ man sich, als jetzt nach vierzehn
Jahren dieselben Gedanken sich wieder Luft machten, zu einer Art von Be¬
theiligung herbei. Am liebsten wäre man beim Alten, bei Dänemark geblieben,
und da das nicht ging, suchte man sich ähnlich zu betten. Das ist das Ge¬
heimniß des heutigen Annexivnsgesuchs. "Preußen werden -- verhüte der
Himmel! Lauenburgcr bleiben ist unser Ziel! Einen Stein zum Bau der
deutschen Einheit legen -- ja wenn man wüßte, daß es was sparte oder ein¬
brächte, wenn man überhaupt wüßte, was es wäre!"

Wie Preußen den Beschluß der Achtzehn minus Vier in Natzeburg auf¬
nehmen wird, deutet das officiöse Organ in Berlin an. Man wird den Ab¬
gesandten hoher Ritter- und Landschaft antworten, daß man ihr Entgegenkommen
zu würdigen wisse und nicht umerlassen werde, auf eine den "Wünschen der
Bevölkerung" entsprechende Ordnung der Dinge hinzuwirken, daß man aber
dabei Rücksicht auf Oestreich nehmen müsse, welches durch seine Allianz mit
Preußen und durch den Frieden das "Recht erworben habe, mit über das Land
zu disponiren. Diese Ansicht scheint uns correct; wenigstens wird man sich
im Allgemeines mit ihr einverstanden erklären dürfen. Daß man die Meinung
des Alliirten zu hören hat, ist sicher unbequem, es wird aber nothwendig sein,
und man hat es ja so gewollt.

Auch das finden wir in der Ordnung, daß das gedachte Organ die An¬
sprüche zu erwähnen unterläßt, welche gewisse deutsche Fürstenhäuser zu besitzen
Prätendiren. Mit den Rechten ists nicht wie mit den Weinen und Cigarren:
sie werden durch Alter nicht besser, und wenn Anhalt, Mecklenburg und w?r
sonst noch jetzt, nachdem Lauenburg von Hannover an Preußen, von diesem
an Dänemark, von den Dänen nach funfzigjährigen Besitz wiederum an die
deutschen Großmächte abgetreten werden konnte, und zwar wohlzubemcrkcn:
immer ohne alle Bedingungen, immer auf ewige Zeiten -- wenn, sagen wir,
gewisse Höfe nach solchen Borgängen noch an die Kraft ihrer alten Erb-
verbrüdcrungen glauben können, so kommt uns das vor wie derselbe Stand¬
punkt, von dem aus man Bischöfe in paitidu" ernennt.

Ein dritter Punkt in den Aeußerungen des ministeriellen Blattes, dem wir
beipflichten, ist die Betonung der "Wünsche der Bevölkerung", deutlicher zu
reden, des Bolkswillens. Nur darf man diese Meinungskundgebung der Ossi-


mersch noch anzutreffen ist, ob in gewissen Kreisen Schleswig-Holsteins oder in
Schwaben, darüber läßt sich nicht streiten, daß in Lauenburg der normale Kon¬
servative die Mehrzahl der Bevölkerung bildet. Nur den lübecker Kaufleuten
könnte die erste Schleswig-holsteinische Erhebung mehr zuwider gewesen sein, als
dem Nachbar an der Steckcnitz und Wakeuch. Waren die Steuern etwa zu
hoch oder trübten die Dänen etwa dem Lancnburger das Wasser? Und was
gab der Productenhändler sür das neue Gewächs der Nationalität? Sehr un¬
gern und nur durch die Noth gedrungen ließ man sich, als jetzt nach vierzehn
Jahren dieselben Gedanken sich wieder Luft machten, zu einer Art von Be¬
theiligung herbei. Am liebsten wäre man beim Alten, bei Dänemark geblieben,
und da das nicht ging, suchte man sich ähnlich zu betten. Das ist das Ge¬
heimniß des heutigen Annexivnsgesuchs. „Preußen werden — verhüte der
Himmel! Lauenburgcr bleiben ist unser Ziel! Einen Stein zum Bau der
deutschen Einheit legen — ja wenn man wüßte, daß es was sparte oder ein¬
brächte, wenn man überhaupt wüßte, was es wäre!"

Wie Preußen den Beschluß der Achtzehn minus Vier in Natzeburg auf¬
nehmen wird, deutet das officiöse Organ in Berlin an. Man wird den Ab¬
gesandten hoher Ritter- und Landschaft antworten, daß man ihr Entgegenkommen
zu würdigen wisse und nicht umerlassen werde, auf eine den „Wünschen der
Bevölkerung" entsprechende Ordnung der Dinge hinzuwirken, daß man aber
dabei Rücksicht auf Oestreich nehmen müsse, welches durch seine Allianz mit
Preußen und durch den Frieden das "Recht erworben habe, mit über das Land
zu disponiren. Diese Ansicht scheint uns correct; wenigstens wird man sich
im Allgemeines mit ihr einverstanden erklären dürfen. Daß man die Meinung
des Alliirten zu hören hat, ist sicher unbequem, es wird aber nothwendig sein,
und man hat es ja so gewollt.

Auch das finden wir in der Ordnung, daß das gedachte Organ die An¬
sprüche zu erwähnen unterläßt, welche gewisse deutsche Fürstenhäuser zu besitzen
Prätendiren. Mit den Rechten ists nicht wie mit den Weinen und Cigarren:
sie werden durch Alter nicht besser, und wenn Anhalt, Mecklenburg und w?r
sonst noch jetzt, nachdem Lauenburg von Hannover an Preußen, von diesem
an Dänemark, von den Dänen nach funfzigjährigen Besitz wiederum an die
deutschen Großmächte abgetreten werden konnte, und zwar wohlzubemcrkcn:
immer ohne alle Bedingungen, immer auf ewige Zeiten — wenn, sagen wir,
gewisse Höfe nach solchen Borgängen noch an die Kraft ihrer alten Erb-
verbrüdcrungen glauben können, so kommt uns das vor wie derselbe Stand¬
punkt, von dem aus man Bischöfe in paitidu« ernennt.

Ein dritter Punkt in den Aeußerungen des ministeriellen Blattes, dem wir
beipflichten, ist die Betonung der „Wünsche der Bevölkerung", deutlicher zu
reden, des Bolkswillens. Nur darf man diese Meinungskundgebung der Ossi-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189857"/>
          <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> mersch noch anzutreffen ist, ob in gewissen Kreisen Schleswig-Holsteins oder in<lb/>
Schwaben, darüber läßt sich nicht streiten, daß in Lauenburg der normale Kon¬<lb/>
servative die Mehrzahl der Bevölkerung bildet. Nur den lübecker Kaufleuten<lb/>
könnte die erste Schleswig-holsteinische Erhebung mehr zuwider gewesen sein, als<lb/>
dem Nachbar an der Steckcnitz und Wakeuch. Waren die Steuern etwa zu<lb/>
hoch oder trübten die Dänen etwa dem Lancnburger das Wasser? Und was<lb/>
gab der Productenhändler sür das neue Gewächs der Nationalität? Sehr un¬<lb/>
gern und nur durch die Noth gedrungen ließ man sich, als jetzt nach vierzehn<lb/>
Jahren dieselben Gedanken sich wieder Luft machten, zu einer Art von Be¬<lb/>
theiligung herbei. Am liebsten wäre man beim Alten, bei Dänemark geblieben,<lb/>
und da das nicht ging, suchte man sich ähnlich zu betten. Das ist das Ge¬<lb/>
heimniß des heutigen Annexivnsgesuchs. &#x201E;Preußen werden &#x2014; verhüte der<lb/>
Himmel! Lauenburgcr bleiben ist unser Ziel! Einen Stein zum Bau der<lb/>
deutschen Einheit legen &#x2014; ja wenn man wüßte, daß es was sparte oder ein¬<lb/>
brächte, wenn man überhaupt wüßte, was es wäre!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_877"> Wie Preußen den Beschluß der Achtzehn minus Vier in Natzeburg auf¬<lb/>
nehmen wird, deutet das officiöse Organ in Berlin an. Man wird den Ab¬<lb/>
gesandten hoher Ritter- und Landschaft antworten, daß man ihr Entgegenkommen<lb/>
zu würdigen wisse und nicht umerlassen werde, auf eine den &#x201E;Wünschen der<lb/>
Bevölkerung" entsprechende Ordnung der Dinge hinzuwirken, daß man aber<lb/>
dabei Rücksicht auf Oestreich nehmen müsse, welches durch seine Allianz mit<lb/>
Preußen und durch den Frieden das "Recht erworben habe, mit über das Land<lb/>
zu disponiren. Diese Ansicht scheint uns correct; wenigstens wird man sich<lb/>
im Allgemeines mit ihr einverstanden erklären dürfen. Daß man die Meinung<lb/>
des Alliirten zu hören hat, ist sicher unbequem, es wird aber nothwendig sein,<lb/>
und man hat es ja so gewollt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_878"> Auch das finden wir in der Ordnung, daß das gedachte Organ die An¬<lb/>
sprüche zu erwähnen unterläßt, welche gewisse deutsche Fürstenhäuser zu besitzen<lb/>
Prätendiren. Mit den Rechten ists nicht wie mit den Weinen und Cigarren:<lb/>
sie werden durch Alter nicht besser, und wenn Anhalt, Mecklenburg und w?r<lb/>
sonst noch jetzt, nachdem Lauenburg von Hannover an Preußen, von diesem<lb/>
an Dänemark, von den Dänen nach funfzigjährigen Besitz wiederum an die<lb/>
deutschen Großmächte abgetreten werden konnte, und zwar wohlzubemcrkcn:<lb/>
immer ohne alle Bedingungen, immer auf ewige Zeiten &#x2014; wenn, sagen wir,<lb/>
gewisse Höfe nach solchen Borgängen noch an die Kraft ihrer alten Erb-<lb/>
verbrüdcrungen glauben können, so kommt uns das vor wie derselbe Stand¬<lb/>
punkt, von dem aus man Bischöfe in paitidu« ernennt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_879" next="#ID_880"> Ein dritter Punkt in den Aeußerungen des ministeriellen Blattes, dem wir<lb/>
beipflichten, ist die Betonung der &#x201E;Wünsche der Bevölkerung", deutlicher zu<lb/>
reden, des Bolkswillens.  Nur darf man diese Meinungskundgebung der Ossi-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] mersch noch anzutreffen ist, ob in gewissen Kreisen Schleswig-Holsteins oder in Schwaben, darüber läßt sich nicht streiten, daß in Lauenburg der normale Kon¬ servative die Mehrzahl der Bevölkerung bildet. Nur den lübecker Kaufleuten könnte die erste Schleswig-holsteinische Erhebung mehr zuwider gewesen sein, als dem Nachbar an der Steckcnitz und Wakeuch. Waren die Steuern etwa zu hoch oder trübten die Dänen etwa dem Lancnburger das Wasser? Und was gab der Productenhändler sür das neue Gewächs der Nationalität? Sehr un¬ gern und nur durch die Noth gedrungen ließ man sich, als jetzt nach vierzehn Jahren dieselben Gedanken sich wieder Luft machten, zu einer Art von Be¬ theiligung herbei. Am liebsten wäre man beim Alten, bei Dänemark geblieben, und da das nicht ging, suchte man sich ähnlich zu betten. Das ist das Ge¬ heimniß des heutigen Annexivnsgesuchs. „Preußen werden — verhüte der Himmel! Lauenburgcr bleiben ist unser Ziel! Einen Stein zum Bau der deutschen Einheit legen — ja wenn man wüßte, daß es was sparte oder ein¬ brächte, wenn man überhaupt wüßte, was es wäre!" Wie Preußen den Beschluß der Achtzehn minus Vier in Natzeburg auf¬ nehmen wird, deutet das officiöse Organ in Berlin an. Man wird den Ab¬ gesandten hoher Ritter- und Landschaft antworten, daß man ihr Entgegenkommen zu würdigen wisse und nicht umerlassen werde, auf eine den „Wünschen der Bevölkerung" entsprechende Ordnung der Dinge hinzuwirken, daß man aber dabei Rücksicht auf Oestreich nehmen müsse, welches durch seine Allianz mit Preußen und durch den Frieden das "Recht erworben habe, mit über das Land zu disponiren. Diese Ansicht scheint uns correct; wenigstens wird man sich im Allgemeines mit ihr einverstanden erklären dürfen. Daß man die Meinung des Alliirten zu hören hat, ist sicher unbequem, es wird aber nothwendig sein, und man hat es ja so gewollt. Auch das finden wir in der Ordnung, daß das gedachte Organ die An¬ sprüche zu erwähnen unterläßt, welche gewisse deutsche Fürstenhäuser zu besitzen Prätendiren. Mit den Rechten ists nicht wie mit den Weinen und Cigarren: sie werden durch Alter nicht besser, und wenn Anhalt, Mecklenburg und w?r sonst noch jetzt, nachdem Lauenburg von Hannover an Preußen, von diesem an Dänemark, von den Dänen nach funfzigjährigen Besitz wiederum an die deutschen Großmächte abgetreten werden konnte, und zwar wohlzubemcrkcn: immer ohne alle Bedingungen, immer auf ewige Zeiten — wenn, sagen wir, gewisse Höfe nach solchen Borgängen noch an die Kraft ihrer alten Erb- verbrüdcrungen glauben können, so kommt uns das vor wie derselbe Stand¬ punkt, von dem aus man Bischöfe in paitidu« ernennt. Ein dritter Punkt in den Aeußerungen des ministeriellen Blattes, dem wir beipflichten, ist die Betonung der „Wünsche der Bevölkerung", deutlicher zu reden, des Bolkswillens. Nur darf man diese Meinungskundgebung der Ossi-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/233>, abgerufen am 22.07.2024.