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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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bestimmt, möge man in unsrer Schrift selbst nachlesen. Dagegen möge noch
Einiges über die Kreuz- und Kronenbäume hier mitgetheilt werden, welche
früher in den Wendendörfern Hannovers aufgerichtet zu werden pflegten.

Ein Kreuzbaum war eine gerade gewachsene hohe Eiche, auf deren Spitze
ein Kreuz und über diesem ein Hahn stand. Kleine Dörfer wählten statt der
Eiche eine einfache Stange. Zur Errichtung eines solchen zog das ganze Dorf
ins Holz und jeder Hauswirth mußte beim Fällen eine gewisse Anzahl von
Axthieben thun. Der gefällte Baum wurde dann, sorgfältig mit den Kleidern
aller Anwesenden bedeckt, aus einen Wagen geladen und nach der Stelle ge¬
bracht, welche ihm das Herkommen anwies. Dort habich ihn der Zimmermann
zu einem vierkantigen Ballen. Dann wurde er kreuzweise durchbohrt, die Löcher
mit hervorstehenden Pflöcken zugeteilt, Kreuz und Hahn angebracht und das
Ganze darauf als Säule aufgerichtet. War dies vollbracht, so stieg einer der
Alten im Dorfe an den Pflöcken hinauf und goß über Kreuz und Hahn Bier
aus. Dann trieb man das Vieh des Dorfes um die Säule, indem es hieß,
dasselbe werde dadurch von der "statte" (der Gottheit oder dem Geiste, der in
dem Kreuzbaum wohnend gedacht wurde) gesegnet. Zum Schluß gab es ein
gewaltiges Trinken. Der Kreuzbaum stand bis er von selbst umfiel. Ge¬
schah dies, so durfte vor Himmelfahrt kein neuer errichtet werden, weil "die
statte" es nicht litt. Nicht blos bei der Aufstellung wurden Ceremonien unter
dem Baume verrichtet, auch sonst zu gewissen Zeiten des Jahres zog die Dorf¬
schaft zu demselben unter Bortrag eines brennenden Wachslichtes, wobei man
einige wendische Worte murmelte, und in Predöhl soll sich sogar täglich ein
alter Bauer unter dem dortigen Kreuzbaum eingefunden haben, um knieend
sein Gebet zu sprechen.

In den Wendendörsern Bülitz und Nebensdorf, früher vielleicht auch ander¬
wärts, gab es außerdem auch noch einen Kronenbaum, der alljährlich entweder
zu Johanni oder Mariä-Himmelfahrt oder Jacobi errichtet wurde. Am Abend
vor diesen Tagen zog man nach einem Bruch, fällte hier eine schlanke Erle und
entästete dieselbe bis auf die Zweige des Wipfels, welche stehen blieben. Am
Festtage selbst gingen die Weiber mit dem Bordergcstell eines Wagens hinaus
und schafften den Baum in das Dorf, wobei sie beim Hineingehen in den
Bruch absichtlich tiefe und sumpfige Stellen wählten und so bis an den Leib
im Morast waten mußten. Im Dorfe angelangt, wurde der Kronenbaum,
nachdem man die stehen gebliebner Zweige mit Blumen und Kränzen geschmückt,
aufgerichtet und hierauf umging das Volk denselben in feierlicher Procession.
Dann trieb man das Vieh des Dorfes herbei. Der Schulze that seinen Sonn¬
tagsstaat an, band sich ein Handtuch um den Leib, nahm ein brennendes Licht
in die Hand, was sämmtliche Bauern ihm nachthaten, und umwandelte dann
Mit letzteren das Vieh, wodurch man es für geweiht und vor Krankheit und


Grenzboten IV. 1864. 28

bestimmt, möge man in unsrer Schrift selbst nachlesen. Dagegen möge noch
Einiges über die Kreuz- und Kronenbäume hier mitgetheilt werden, welche
früher in den Wendendörfern Hannovers aufgerichtet zu werden pflegten.

Ein Kreuzbaum war eine gerade gewachsene hohe Eiche, auf deren Spitze
ein Kreuz und über diesem ein Hahn stand. Kleine Dörfer wählten statt der
Eiche eine einfache Stange. Zur Errichtung eines solchen zog das ganze Dorf
ins Holz und jeder Hauswirth mußte beim Fällen eine gewisse Anzahl von
Axthieben thun. Der gefällte Baum wurde dann, sorgfältig mit den Kleidern
aller Anwesenden bedeckt, aus einen Wagen geladen und nach der Stelle ge¬
bracht, welche ihm das Herkommen anwies. Dort habich ihn der Zimmermann
zu einem vierkantigen Ballen. Dann wurde er kreuzweise durchbohrt, die Löcher
mit hervorstehenden Pflöcken zugeteilt, Kreuz und Hahn angebracht und das
Ganze darauf als Säule aufgerichtet. War dies vollbracht, so stieg einer der
Alten im Dorfe an den Pflöcken hinauf und goß über Kreuz und Hahn Bier
aus. Dann trieb man das Vieh des Dorfes um die Säule, indem es hieß,
dasselbe werde dadurch von der „statte" (der Gottheit oder dem Geiste, der in
dem Kreuzbaum wohnend gedacht wurde) gesegnet. Zum Schluß gab es ein
gewaltiges Trinken. Der Kreuzbaum stand bis er von selbst umfiel. Ge¬
schah dies, so durfte vor Himmelfahrt kein neuer errichtet werden, weil „die
statte" es nicht litt. Nicht blos bei der Aufstellung wurden Ceremonien unter
dem Baume verrichtet, auch sonst zu gewissen Zeiten des Jahres zog die Dorf¬
schaft zu demselben unter Bortrag eines brennenden Wachslichtes, wobei man
einige wendische Worte murmelte, und in Predöhl soll sich sogar täglich ein
alter Bauer unter dem dortigen Kreuzbaum eingefunden haben, um knieend
sein Gebet zu sprechen.

In den Wendendörsern Bülitz und Nebensdorf, früher vielleicht auch ander¬
wärts, gab es außerdem auch noch einen Kronenbaum, der alljährlich entweder
zu Johanni oder Mariä-Himmelfahrt oder Jacobi errichtet wurde. Am Abend
vor diesen Tagen zog man nach einem Bruch, fällte hier eine schlanke Erle und
entästete dieselbe bis auf die Zweige des Wipfels, welche stehen blieben. Am
Festtage selbst gingen die Weiber mit dem Bordergcstell eines Wagens hinaus
und schafften den Baum in das Dorf, wobei sie beim Hineingehen in den
Bruch absichtlich tiefe und sumpfige Stellen wählten und so bis an den Leib
im Morast waten mußten. Im Dorfe angelangt, wurde der Kronenbaum,
nachdem man die stehen gebliebner Zweige mit Blumen und Kränzen geschmückt,
aufgerichtet und hierauf umging das Volk denselben in feierlicher Procession.
Dann trieb man das Vieh des Dorfes herbei. Der Schulze that seinen Sonn¬
tagsstaat an, band sich ein Handtuch um den Leib, nahm ein brennendes Licht
in die Hand, was sämmtliche Bauern ihm nachthaten, und umwandelte dann
Mit letzteren das Vieh, wodurch man es für geweiht und vor Krankheit und


Grenzboten IV. 1864. 28
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[0221] bestimmt, möge man in unsrer Schrift selbst nachlesen. Dagegen möge noch Einiges über die Kreuz- und Kronenbäume hier mitgetheilt werden, welche früher in den Wendendörfern Hannovers aufgerichtet zu werden pflegten. Ein Kreuzbaum war eine gerade gewachsene hohe Eiche, auf deren Spitze ein Kreuz und über diesem ein Hahn stand. Kleine Dörfer wählten statt der Eiche eine einfache Stange. Zur Errichtung eines solchen zog das ganze Dorf ins Holz und jeder Hauswirth mußte beim Fällen eine gewisse Anzahl von Axthieben thun. Der gefällte Baum wurde dann, sorgfältig mit den Kleidern aller Anwesenden bedeckt, aus einen Wagen geladen und nach der Stelle ge¬ bracht, welche ihm das Herkommen anwies. Dort habich ihn der Zimmermann zu einem vierkantigen Ballen. Dann wurde er kreuzweise durchbohrt, die Löcher mit hervorstehenden Pflöcken zugeteilt, Kreuz und Hahn angebracht und das Ganze darauf als Säule aufgerichtet. War dies vollbracht, so stieg einer der Alten im Dorfe an den Pflöcken hinauf und goß über Kreuz und Hahn Bier aus. Dann trieb man das Vieh des Dorfes um die Säule, indem es hieß, dasselbe werde dadurch von der „statte" (der Gottheit oder dem Geiste, der in dem Kreuzbaum wohnend gedacht wurde) gesegnet. Zum Schluß gab es ein gewaltiges Trinken. Der Kreuzbaum stand bis er von selbst umfiel. Ge¬ schah dies, so durfte vor Himmelfahrt kein neuer errichtet werden, weil „die statte" es nicht litt. Nicht blos bei der Aufstellung wurden Ceremonien unter dem Baume verrichtet, auch sonst zu gewissen Zeiten des Jahres zog die Dorf¬ schaft zu demselben unter Bortrag eines brennenden Wachslichtes, wobei man einige wendische Worte murmelte, und in Predöhl soll sich sogar täglich ein alter Bauer unter dem dortigen Kreuzbaum eingefunden haben, um knieend sein Gebet zu sprechen. In den Wendendörsern Bülitz und Nebensdorf, früher vielleicht auch ander¬ wärts, gab es außerdem auch noch einen Kronenbaum, der alljährlich entweder zu Johanni oder Mariä-Himmelfahrt oder Jacobi errichtet wurde. Am Abend vor diesen Tagen zog man nach einem Bruch, fällte hier eine schlanke Erle und entästete dieselbe bis auf die Zweige des Wipfels, welche stehen blieben. Am Festtage selbst gingen die Weiber mit dem Bordergcstell eines Wagens hinaus und schafften den Baum in das Dorf, wobei sie beim Hineingehen in den Bruch absichtlich tiefe und sumpfige Stellen wählten und so bis an den Leib im Morast waten mußten. Im Dorfe angelangt, wurde der Kronenbaum, nachdem man die stehen gebliebner Zweige mit Blumen und Kränzen geschmückt, aufgerichtet und hierauf umging das Volk denselben in feierlicher Procession. Dann trieb man das Vieh des Dorfes herbei. Der Schulze that seinen Sonn¬ tagsstaat an, band sich ein Handtuch um den Leib, nahm ein brennendes Licht in die Hand, was sämmtliche Bauern ihm nachthaten, und umwandelte dann Mit letzteren das Vieh, wodurch man es für geweiht und vor Krankheit und Grenzboten IV. 1864. 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/221>, abgerufen am 01.10.2024.