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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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unsre den Wenden folgendermaßen: "Zwar ist derselbe brav, treu, zuverlässig
und fest von Charakter, eifrig, fleißig, letzteres mehr wie irgendein Landwirth,
aber er ist weniger gutmüthig, dagegen schlau, eigensinnig, leicht zum Streit
geneigt, mißtrauisch, abergläubisch, interessirt. Seine Sitten sind roher, und
er giebt sich leicht der Völlerei bei Familien- und Volksfesten hin."

Daß der wendische Bauer früher außerordentlich roh. faul, schmutzig, aber¬
gläubisch und dem Biertunken ergeben war, ist nicht zu läugnen. Allein zu
alle dem hat die Leibeigenschaft, in der er lebte, nicht wenig beigetragen. Nie¬
mand konnte Lust am Arbeiten haben, wenn er nichts vor sich brachte, wenn
er nur das Lastthier seines Junkers war. Drei Tage in der Woche waren
Frohndcn zu leisten, bei jeder Gelegenheit preßte der Edelmann seinen Bauern
etwas von ihrem Besitz ab. In einem Bericht von 1664 heißt es: "Die Edel¬
leute quälen ihre Bauern mit Prügelschicßen, Pflöcken und Kolaschen, daß sie
von Haus und Hof laufen müssen." Wieder anderswo: "Die Edelleute über¬
ziehen ihre Bauern mit großem Jagdgcfolge, bei zwölf Rossen und zwanzig Jä¬
gern, die saufen und lassen sich lischen wie es in den Schlössern hergehet, der
Bauer muß Wein und Bier schaffen, wo er es hernimmt." Und wieder anderswo
heißt es: "Wenn der Bauer nicht zahlen kann, so treiben sie ihm sein Vieh
weg und legen ihn in den Block." Man ging so weit, daß die Hörigen ihren
Herren die Hunde in Körben zur Jagd tragen mußten, und es kam vor, daß ein
Bauer zu zehn Gulden und viertägiger Einsperrung verurtheilt wurde, weil er
dem Hunde, den er auf dem Rücken trug und der ihm fortwährend ins Ohr
bellte, "verfluchtes Vieh, sei still," zugerufen hatte. Stumpf und gleichgiltig
ließ man alle Strafen über sich ergehen, wie ein Fall in Lüchow zeigt, wo ein
zur Strafe des "spanischen Mantels" Verurtheilter sich bei vernachlässigter Be¬
wachung in dieser würdevollen Tracht gemüthlich in die Stadt begab, um beim
Brauer einen kühlen Trunk zu thun.

Dazu waren die Schulen bis zu Anfang dieses Jahrhunderts im kläglich¬
sten Zustande. Nicht Alle lernten lesen, Wenige schreiben. Die Lehrer waren
meist abgedankte Soldaten oder Meister vom Bügeleisen, die selbst noch des Un¬
terrichts bedurft hätten. Mehr als die Hälfte des Jahres, den ganzen Sommer
hindurch wurde gefeiert; denn die Kinder mußten das Vieh hüten und bei der
Ernte helfen.

Jetzt ist alles dies sehr wesentlich besser geworden. Der Wende ist über¬
aus fleißig, sein Ländchen wie ein Bienenstock voll der rastlosesten Thätigkeit,
Sommer und Winter bis tief in die Nacht hinein. Man könnte den Leuten
allen den Namen geben, welchen die Bewohner des Dorfes Jabel tragen. Ge¬
höhnt, mit dem ersten Hahnenschrei an die Arbeit zu gehen, wollten sie oft
bemerken, daß der Hahn zu lange schlafe und so stöberten sie rhn mit einer
Stange aus seiner Ruhe auf. Daher der Spitzname "Hahnstocherer". Einer


unsre den Wenden folgendermaßen: „Zwar ist derselbe brav, treu, zuverlässig
und fest von Charakter, eifrig, fleißig, letzteres mehr wie irgendein Landwirth,
aber er ist weniger gutmüthig, dagegen schlau, eigensinnig, leicht zum Streit
geneigt, mißtrauisch, abergläubisch, interessirt. Seine Sitten sind roher, und
er giebt sich leicht der Völlerei bei Familien- und Volksfesten hin."

Daß der wendische Bauer früher außerordentlich roh. faul, schmutzig, aber¬
gläubisch und dem Biertunken ergeben war, ist nicht zu läugnen. Allein zu
alle dem hat die Leibeigenschaft, in der er lebte, nicht wenig beigetragen. Nie¬
mand konnte Lust am Arbeiten haben, wenn er nichts vor sich brachte, wenn
er nur das Lastthier seines Junkers war. Drei Tage in der Woche waren
Frohndcn zu leisten, bei jeder Gelegenheit preßte der Edelmann seinen Bauern
etwas von ihrem Besitz ab. In einem Bericht von 1664 heißt es: „Die Edel¬
leute quälen ihre Bauern mit Prügelschicßen, Pflöcken und Kolaschen, daß sie
von Haus und Hof laufen müssen." Wieder anderswo: „Die Edelleute über¬
ziehen ihre Bauern mit großem Jagdgcfolge, bei zwölf Rossen und zwanzig Jä¬
gern, die saufen und lassen sich lischen wie es in den Schlössern hergehet, der
Bauer muß Wein und Bier schaffen, wo er es hernimmt." Und wieder anderswo
heißt es: „Wenn der Bauer nicht zahlen kann, so treiben sie ihm sein Vieh
weg und legen ihn in den Block." Man ging so weit, daß die Hörigen ihren
Herren die Hunde in Körben zur Jagd tragen mußten, und es kam vor, daß ein
Bauer zu zehn Gulden und viertägiger Einsperrung verurtheilt wurde, weil er
dem Hunde, den er auf dem Rücken trug und der ihm fortwährend ins Ohr
bellte, „verfluchtes Vieh, sei still," zugerufen hatte. Stumpf und gleichgiltig
ließ man alle Strafen über sich ergehen, wie ein Fall in Lüchow zeigt, wo ein
zur Strafe des „spanischen Mantels" Verurtheilter sich bei vernachlässigter Be¬
wachung in dieser würdevollen Tracht gemüthlich in die Stadt begab, um beim
Brauer einen kühlen Trunk zu thun.

Dazu waren die Schulen bis zu Anfang dieses Jahrhunderts im kläglich¬
sten Zustande. Nicht Alle lernten lesen, Wenige schreiben. Die Lehrer waren
meist abgedankte Soldaten oder Meister vom Bügeleisen, die selbst noch des Un¬
terrichts bedurft hätten. Mehr als die Hälfte des Jahres, den ganzen Sommer
hindurch wurde gefeiert; denn die Kinder mußten das Vieh hüten und bei der
Ernte helfen.

Jetzt ist alles dies sehr wesentlich besser geworden. Der Wende ist über¬
aus fleißig, sein Ländchen wie ein Bienenstock voll der rastlosesten Thätigkeit,
Sommer und Winter bis tief in die Nacht hinein. Man könnte den Leuten
allen den Namen geben, welchen die Bewohner des Dorfes Jabel tragen. Ge¬
höhnt, mit dem ersten Hahnenschrei an die Arbeit zu gehen, wollten sie oft
bemerken, daß der Hahn zu lange schlafe und so stöberten sie rhn mit einer
Stange aus seiner Ruhe auf. Daher der Spitzname „Hahnstocherer". Einer


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[0210] unsre den Wenden folgendermaßen: „Zwar ist derselbe brav, treu, zuverlässig und fest von Charakter, eifrig, fleißig, letzteres mehr wie irgendein Landwirth, aber er ist weniger gutmüthig, dagegen schlau, eigensinnig, leicht zum Streit geneigt, mißtrauisch, abergläubisch, interessirt. Seine Sitten sind roher, und er giebt sich leicht der Völlerei bei Familien- und Volksfesten hin." Daß der wendische Bauer früher außerordentlich roh. faul, schmutzig, aber¬ gläubisch und dem Biertunken ergeben war, ist nicht zu läugnen. Allein zu alle dem hat die Leibeigenschaft, in der er lebte, nicht wenig beigetragen. Nie¬ mand konnte Lust am Arbeiten haben, wenn er nichts vor sich brachte, wenn er nur das Lastthier seines Junkers war. Drei Tage in der Woche waren Frohndcn zu leisten, bei jeder Gelegenheit preßte der Edelmann seinen Bauern etwas von ihrem Besitz ab. In einem Bericht von 1664 heißt es: „Die Edel¬ leute quälen ihre Bauern mit Prügelschicßen, Pflöcken und Kolaschen, daß sie von Haus und Hof laufen müssen." Wieder anderswo: „Die Edelleute über¬ ziehen ihre Bauern mit großem Jagdgcfolge, bei zwölf Rossen und zwanzig Jä¬ gern, die saufen und lassen sich lischen wie es in den Schlössern hergehet, der Bauer muß Wein und Bier schaffen, wo er es hernimmt." Und wieder anderswo heißt es: „Wenn der Bauer nicht zahlen kann, so treiben sie ihm sein Vieh weg und legen ihn in den Block." Man ging so weit, daß die Hörigen ihren Herren die Hunde in Körben zur Jagd tragen mußten, und es kam vor, daß ein Bauer zu zehn Gulden und viertägiger Einsperrung verurtheilt wurde, weil er dem Hunde, den er auf dem Rücken trug und der ihm fortwährend ins Ohr bellte, „verfluchtes Vieh, sei still," zugerufen hatte. Stumpf und gleichgiltig ließ man alle Strafen über sich ergehen, wie ein Fall in Lüchow zeigt, wo ein zur Strafe des „spanischen Mantels" Verurtheilter sich bei vernachlässigter Be¬ wachung in dieser würdevollen Tracht gemüthlich in die Stadt begab, um beim Brauer einen kühlen Trunk zu thun. Dazu waren die Schulen bis zu Anfang dieses Jahrhunderts im kläglich¬ sten Zustande. Nicht Alle lernten lesen, Wenige schreiben. Die Lehrer waren meist abgedankte Soldaten oder Meister vom Bügeleisen, die selbst noch des Un¬ terrichts bedurft hätten. Mehr als die Hälfte des Jahres, den ganzen Sommer hindurch wurde gefeiert; denn die Kinder mußten das Vieh hüten und bei der Ernte helfen. Jetzt ist alles dies sehr wesentlich besser geworden. Der Wende ist über¬ aus fleißig, sein Ländchen wie ein Bienenstock voll der rastlosesten Thätigkeit, Sommer und Winter bis tief in die Nacht hinein. Man könnte den Leuten allen den Namen geben, welchen die Bewohner des Dorfes Jabel tragen. Ge¬ höhnt, mit dem ersten Hahnenschrei an die Arbeit zu gehen, wollten sie oft bemerken, daß der Hahn zu lange schlafe und so stöberten sie rhn mit einer Stange aus seiner Ruhe auf. Daher der Spitzname „Hahnstocherer". Einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/210>, abgerufen am 03.07.2024.