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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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sein, Storch sprach wieder zu ihnen, den beiden: Ich habe einen sehr großen
Schnabel, kann nicht Spielmann sein. Ich kann nicht Spielmann sein.

Wer soll Tisch sei"? Fuchs (wendisch: Lciöla) soll Tisch sein. Fuchs sprach
wieder zu ihnen, den beiden: Schlagt von einander meinen Hintern: der sei
euer Tisch, der sei euer Tisch."

Bei unserm Gewährsmann heißt es über den Vortrag dieses Liedes:

"Will man es nach der Kunst singen und spielen, so gehören dazu drei
Personen. Die erste Person fragt zum Exempel: Katu mes Niula bayt?
(Wer soll Braut sein?) Die andere antwortet: Telka mes Niula bayt. (Eule
soll Braut sein). Die folgende Zeile: Telka ritzi woapak ka neimo ka dwemo
(Eule sprach wieder zu ihnen, den beide") singen sie alle drei, und damit es
eine gute Harmonie gebe, singt eine Person zwischen dein Discant und dem
Baß eine Mittelstimme. Die Worte aber: Jos gis wiltga grkma Sena remit
Niula bayt (Ich bin eine sehr häßliche Frau, kann nicht Braut sein) muß die
dritte Person allein singen, die letzten Worte singen dann wieder alle Drei."
Hatte ferner am Schlüsse des Liedes der Fuchs seinen unartigen Vorschlag
gemacht, so singen alle drei an kräftig mit den Fäusten auf den Tisch zu
schlagen, und mit solcher Trommelbegleitung wurde das Lied zu Ende gebracht.

Als eine Eigenthümlichkeit in dem jetzigen Idiom der hannoverschen Wen¬
den verdient hervorgehoben zu werden, daß sie wie der gemeine Londoner die
mit einem H beginnenden Wörter stets ohne Aspiration aussprechen, das H da¬
gegen vor jedem Worte, welches mit einem Vocal anfängt, gleichsam zum Er¬
satz wiederhören lassen. Sie sagen z. B. "Err Hamtmann von Arling his ier"
statt Herr Amtmann von Harting ist hier.

Die Ortsnamen der hannöverschen Wendet sind fast ohne Ausnahme auf
wendische Worte zurückzuführen. Breche heißt Birke, Middefeitz Hvnigstett,
Sallahn grüner Platz, Jabel Apfelbaum, Klcnnow Ahvrnstctt, Liepe Linde,
Plate Zaun. Ncdemvißel ist das slavische Nadomysl--Frvhsinnsort, Puttball
das slavische Potwal--Keller, Carmitz das slavische Carmina--Futterstelle u. s. w.

Bei den Familiennamen der Wenden ist der deutsche Name Schulz sehr
häusig, doch .sind auch solche wendischen Ursprungs wie Kabelitz, Wiebclitz,
Vausneik, Trybian, Gramüsch, Werratz und Glabbatz keineswegs selten.

Der Ruf der Bewohner des Wendlandes ist kein guter, doch läuft bei dem
Tadel, der über sie ausgeschüttet worden ist, viel Uebertreibung mit unter und
außerdem wurde bei dem, was wirklich an ihnen nicht erbaulich ist, vergessen,
auf das Rücksicht zu nehmen, was sich zur Entschuldigung für ihren Charakter
sagen läßt, auch hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten außerordentlich viel
gebessert, v. Stein sagte von den Wenden: "Sie gucken mit finstern Augen
wie der Wolf aus der Sandgrube." Arndt wirft ihnen Leichtfertigkeit und
sinnliche Genußsucht vor. Nach 1850 schildert eine ähnliche Festschrift wie die


sein, Storch sprach wieder zu ihnen, den beiden: Ich habe einen sehr großen
Schnabel, kann nicht Spielmann sein. Ich kann nicht Spielmann sein.

Wer soll Tisch sei»? Fuchs (wendisch: Lciöla) soll Tisch sein. Fuchs sprach
wieder zu ihnen, den beiden: Schlagt von einander meinen Hintern: der sei
euer Tisch, der sei euer Tisch."

Bei unserm Gewährsmann heißt es über den Vortrag dieses Liedes:

„Will man es nach der Kunst singen und spielen, so gehören dazu drei
Personen. Die erste Person fragt zum Exempel: Katu mes Niula bayt?
(Wer soll Braut sein?) Die andere antwortet: Telka mes Niula bayt. (Eule
soll Braut sein). Die folgende Zeile: Telka ritzi woapak ka neimo ka dwemo
(Eule sprach wieder zu ihnen, den beide») singen sie alle drei, und damit es
eine gute Harmonie gebe, singt eine Person zwischen dein Discant und dem
Baß eine Mittelstimme. Die Worte aber: Jos gis wiltga grkma Sena remit
Niula bayt (Ich bin eine sehr häßliche Frau, kann nicht Braut sein) muß die
dritte Person allein singen, die letzten Worte singen dann wieder alle Drei."
Hatte ferner am Schlüsse des Liedes der Fuchs seinen unartigen Vorschlag
gemacht, so singen alle drei an kräftig mit den Fäusten auf den Tisch zu
schlagen, und mit solcher Trommelbegleitung wurde das Lied zu Ende gebracht.

Als eine Eigenthümlichkeit in dem jetzigen Idiom der hannoverschen Wen¬
den verdient hervorgehoben zu werden, daß sie wie der gemeine Londoner die
mit einem H beginnenden Wörter stets ohne Aspiration aussprechen, das H da¬
gegen vor jedem Worte, welches mit einem Vocal anfängt, gleichsam zum Er¬
satz wiederhören lassen. Sie sagen z. B. „Err Hamtmann von Arling his ier"
statt Herr Amtmann von Harting ist hier.

Die Ortsnamen der hannöverschen Wendet sind fast ohne Ausnahme auf
wendische Worte zurückzuführen. Breche heißt Birke, Middefeitz Hvnigstett,
Sallahn grüner Platz, Jabel Apfelbaum, Klcnnow Ahvrnstctt, Liepe Linde,
Plate Zaun. Ncdemvißel ist das slavische Nadomysl—Frvhsinnsort, Puttball
das slavische Potwal—Keller, Carmitz das slavische Carmina—Futterstelle u. s. w.

Bei den Familiennamen der Wenden ist der deutsche Name Schulz sehr
häusig, doch .sind auch solche wendischen Ursprungs wie Kabelitz, Wiebclitz,
Vausneik, Trybian, Gramüsch, Werratz und Glabbatz keineswegs selten.

Der Ruf der Bewohner des Wendlandes ist kein guter, doch läuft bei dem
Tadel, der über sie ausgeschüttet worden ist, viel Uebertreibung mit unter und
außerdem wurde bei dem, was wirklich an ihnen nicht erbaulich ist, vergessen,
auf das Rücksicht zu nehmen, was sich zur Entschuldigung für ihren Charakter
sagen läßt, auch hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten außerordentlich viel
gebessert, v. Stein sagte von den Wenden: „Sie gucken mit finstern Augen
wie der Wolf aus der Sandgrube." Arndt wirft ihnen Leichtfertigkeit und
sinnliche Genußsucht vor. Nach 1850 schildert eine ähnliche Festschrift wie die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/209>, abgerufen am 01.10.2024.