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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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1) die neue Lage des Landes bedürfte einer neuen verfassungsmäßigen
Rechtsgrundlage. Man hätte sich allerdings vorbehalten können, eine solche
später mit dem Lande zu vereinbaren. Allein jede Neuconstituirung hat ihr
Mißliches, und die Art'nüpsung an historische Voraussetzungen verdient fast
unter allen Umständen den Vorzug. An die eine oder die andere der Ver¬
fassungen von 1853 und 18S4 aber ließ sich nicht anknüpfen, schon weil sie
keine Verfassungen für Schleswig-Holstein waren. Dieselben waren ferner nicht
Staats-, sondern Provinzialverfassungen. die nur im Zusammenhang mit der
Gesammtverfassung der dänischen Monarchie Sinn hatten. Sie wurden von
der Bevölkerung der Herzogthümer mit vollem Recht als Ausdruck der Trennung
Schleswigs von Holstein und der Unterdrückung beider Lande durch Dänemark
betrachtet. Die Verfassung vom Is. September 1848 dagegen hat drei Jahre
hindurch in Wirksamkeit bestanden, ohne zu Unzuträglichkeiten zu führen. Sie
ist anerkannt worden von der gemeinsamen Negierung, welche nach dem sieben¬
ten Artikel des malmöcr Waffenstillstandes von Preußen und Dänemark ver¬
tragsmäßig eingesetzt worden war. und in gleicher Weise von der Statthalter¬
schaft, welche die damalige von allen deutschen Staaten anerkannte Centralgewalt
Deutschlands constituirte. Sie ist endlich der Bevölkerung der Herzogthümer
eine werthe historische Erinnerung, weil sie zusammenfällt mit einem mannhaften
Kampfe für die höchsten Güter dieser Lande, Recht und Nationalität, einem
Kampfe, den die Ereignisse der letzten dreizehn Jahre als einen durchaus ge¬
rechten erwiesen und für dessen Ziele jetzt wieder die Helden von Düppel und
Alsen ihr Blut vergossen haben.

2) die Septembervcrfasfung enthält in allen Partien brauchbare und der
Weiterbildung fähige Bestimmungen. Mehre derselben bilden die unentbehrliche
Grundlage einer neuen Entwickelung der Herzogthümer. Dazu gehört vor
allem der Grundsatz der Zusammengehörigkeit und der Unzertrennlichkeit bei¬
der Lande, wie er im ersten Artikel ausgesprochen und dann weiter im
Einzelnen durchgeführt ist, und die Anerkennung der Erbfolge, welche in Art. os.
in den Worten enthalten ist: "Die herzogliche Gewalt vererbt im Manns¬
stamme des oldenburgischen Fürstenhauses vermöge Abstammung aus rcchts-
giltiger Ehe nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolgc
ohne Rücksicht auf die Nähe des Grades." ^

3) Eine ganze Reihe sehr weit gehender Beschränkungen der fürstlichen
Gewalt sind dadurch ohne weiteres außer Wirksamkeit gesetzt, daß die Personal¬
union zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark, welche sie zur Voraussetzung
haben, jetzt aufgelöst ist. Diese Bestimmungen der Verfassung ruhen gegen¬
wärtig, sie sind jedoch nicht völlig bedeutungslos und darum nicht kurzweg zu
streichen. Denn es liegt keineswegs außerhalb des Bereichs der Möglichkeiten,
daß Schleswig-Holstein im Lauf der Jahrhunderte wieder einmal an einen


1) die neue Lage des Landes bedürfte einer neuen verfassungsmäßigen
Rechtsgrundlage. Man hätte sich allerdings vorbehalten können, eine solche
später mit dem Lande zu vereinbaren. Allein jede Neuconstituirung hat ihr
Mißliches, und die Art'nüpsung an historische Voraussetzungen verdient fast
unter allen Umständen den Vorzug. An die eine oder die andere der Ver¬
fassungen von 1853 und 18S4 aber ließ sich nicht anknüpfen, schon weil sie
keine Verfassungen für Schleswig-Holstein waren. Dieselben waren ferner nicht
Staats-, sondern Provinzialverfassungen. die nur im Zusammenhang mit der
Gesammtverfassung der dänischen Monarchie Sinn hatten. Sie wurden von
der Bevölkerung der Herzogthümer mit vollem Recht als Ausdruck der Trennung
Schleswigs von Holstein und der Unterdrückung beider Lande durch Dänemark
betrachtet. Die Verfassung vom Is. September 1848 dagegen hat drei Jahre
hindurch in Wirksamkeit bestanden, ohne zu Unzuträglichkeiten zu führen. Sie
ist anerkannt worden von der gemeinsamen Negierung, welche nach dem sieben¬
ten Artikel des malmöcr Waffenstillstandes von Preußen und Dänemark ver¬
tragsmäßig eingesetzt worden war. und in gleicher Weise von der Statthalter¬
schaft, welche die damalige von allen deutschen Staaten anerkannte Centralgewalt
Deutschlands constituirte. Sie ist endlich der Bevölkerung der Herzogthümer
eine werthe historische Erinnerung, weil sie zusammenfällt mit einem mannhaften
Kampfe für die höchsten Güter dieser Lande, Recht und Nationalität, einem
Kampfe, den die Ereignisse der letzten dreizehn Jahre als einen durchaus ge¬
rechten erwiesen und für dessen Ziele jetzt wieder die Helden von Düppel und
Alsen ihr Blut vergossen haben.

2) die Septembervcrfasfung enthält in allen Partien brauchbare und der
Weiterbildung fähige Bestimmungen. Mehre derselben bilden die unentbehrliche
Grundlage einer neuen Entwickelung der Herzogthümer. Dazu gehört vor
allem der Grundsatz der Zusammengehörigkeit und der Unzertrennlichkeit bei¬
der Lande, wie er im ersten Artikel ausgesprochen und dann weiter im
Einzelnen durchgeführt ist, und die Anerkennung der Erbfolge, welche in Art. os.
in den Worten enthalten ist: „Die herzogliche Gewalt vererbt im Manns¬
stamme des oldenburgischen Fürstenhauses vermöge Abstammung aus rcchts-
giltiger Ehe nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen Linealfolgc
ohne Rücksicht auf die Nähe des Grades." ^

3) Eine ganze Reihe sehr weit gehender Beschränkungen der fürstlichen
Gewalt sind dadurch ohne weiteres außer Wirksamkeit gesetzt, daß die Personal¬
union zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark, welche sie zur Voraussetzung
haben, jetzt aufgelöst ist. Diese Bestimmungen der Verfassung ruhen gegen¬
wärtig, sie sind jedoch nicht völlig bedeutungslos und darum nicht kurzweg zu
streichen. Denn es liegt keineswegs außerhalb des Bereichs der Möglichkeiten,
daß Schleswig-Holstein im Lauf der Jahrhunderte wieder einmal an einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/200>, abgerufen am 01.10.2024.