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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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theils analog. Die wichtigsten Functionen jener, besonders in Bezug auf
Polizei-und Gerichtspflichten. können daher erst im Zusammenhange des ge¬
summten Communalwesens im weitesten Sinne richtig aufgefaßt werden.

Die gesteigerte Verwickelung der Beziehungen zwischen Staat und Bürger,
das Aufblühen der Industrie mit ihren Forderungen an Staat und Gesellschaft
und die durch sie bewirkte Umbildung und Verschiebung der socialen Schichten,
das mächtige, täglich eine größere Masse von Capital und Kraft absorbirende
Bedürfniß des Erwerbs, kurz die ganze gewaltige Bewegung hat auf dem
Gebiete der communalen Verwaltung manche Veränderungen hervorgerufen.
Am wenigsten ist von diesen Veränderungen gerade das wichtigste der commu¬
nalen Aemter berührt worden, wie auch der altenglische Geist, in dem dasselbe
verwaltet wird, sich bis jetzt unerschüttert erhalten hat. Das Friedensrichter¬
amt, der Hauptsitz des englischen Selfgovernment, hat sich stark und volkstüm¬
lich g.enug gezeigt, um durch die Fülle neuer Attribute, die es im Laufe der
Zeit mit der zunehmenden Complicirung der Staatsorganisation erhalten hat,
nicht zu einer Abweichung von den alten, bewährten Grundsätzen der Verwal¬
tung sich drängen zu lassen. Die Gentry, sobald sich die Nothwendigkeit einer
berufsmäßigen Vorbildung herausstellte, bat sich nicht gescheut, sich diese Vor¬
bildung durch Schul- und Universitätsstudien zu erwerben. So nur war es
möglich, daß trotz der gesteigerten Ansprüche an das Amt die Quorum statt,
wie man hätte vermuthen könne", die fnedensrichterliche Gentry mehr und
mehr in den Hintergrund zu drängen, fast ganz beseitigt wurden*).

Eine kurze Uebersicht über die Kompetenz des Fricdensrichteramtes, wel¬
ches Gneist mit sichtbarer Vorliebe und ausgezeichneter Gründlichkeit und trotz
der Schwierigkeiten, die einer Systematisirung des sehr umfangreichen, ver¬
wickelten und oft scheinbar zusammenhanglosen Materials sich darboten, mit
übersichtlicher Klarheit behandelt hat. wird einen ungefähren Begriff von dem
heutigen Standpunkte der Communalverwaltung geben; an diese Betrachtung
knüpft sich dann am zweckmäßigsten die Darstellung der hauptsächlichsten Ab¬
weichungen von dem alten Princip des Selfgovernments. die in der neuesten
Gesetzgebung zu Tage getreten sind.

Die Uebersichtlichkeit der Darstellung hat Gneist dadurch erreicht, daß er
getrennt behandelt die Befugnisse 1) der einzelnen Friedensrichter. 2) der Bc-
zirkssitzungcn. 3) der Quartalsitzungen der Friedensrichter. Eine Eintheilung
des Stoffes nach den administrativen und jurisdictivucllen Befugnissen würde
sich nicht durchführen lassen, weil in der Wirklichkeit Jurisdiction und Admini¬
stration gar nicht absolut getrennt sind, vielmehr immer festgehalten werden



') Die Form hierfür ist. daß in den Vollmachten für die Friedensrichter, in der Quorum-
Clausel einfach die Namen der Friedensrichter aus der Gentry wiederholt werden.
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theils analog. Die wichtigsten Functionen jener, besonders in Bezug auf
Polizei-und Gerichtspflichten. können daher erst im Zusammenhange des ge¬
summten Communalwesens im weitesten Sinne richtig aufgefaßt werden.

Die gesteigerte Verwickelung der Beziehungen zwischen Staat und Bürger,
das Aufblühen der Industrie mit ihren Forderungen an Staat und Gesellschaft
und die durch sie bewirkte Umbildung und Verschiebung der socialen Schichten,
das mächtige, täglich eine größere Masse von Capital und Kraft absorbirende
Bedürfniß des Erwerbs, kurz die ganze gewaltige Bewegung hat auf dem
Gebiete der communalen Verwaltung manche Veränderungen hervorgerufen.
Am wenigsten ist von diesen Veränderungen gerade das wichtigste der commu¬
nalen Aemter berührt worden, wie auch der altenglische Geist, in dem dasselbe
verwaltet wird, sich bis jetzt unerschüttert erhalten hat. Das Friedensrichter¬
amt, der Hauptsitz des englischen Selfgovernment, hat sich stark und volkstüm¬
lich g.enug gezeigt, um durch die Fülle neuer Attribute, die es im Laufe der
Zeit mit der zunehmenden Complicirung der Staatsorganisation erhalten hat,
nicht zu einer Abweichung von den alten, bewährten Grundsätzen der Verwal¬
tung sich drängen zu lassen. Die Gentry, sobald sich die Nothwendigkeit einer
berufsmäßigen Vorbildung herausstellte, bat sich nicht gescheut, sich diese Vor¬
bildung durch Schul- und Universitätsstudien zu erwerben. So nur war es
möglich, daß trotz der gesteigerten Ansprüche an das Amt die Quorum statt,
wie man hätte vermuthen könne», die fnedensrichterliche Gentry mehr und
mehr in den Hintergrund zu drängen, fast ganz beseitigt wurden*).

Eine kurze Uebersicht über die Kompetenz des Fricdensrichteramtes, wel¬
ches Gneist mit sichtbarer Vorliebe und ausgezeichneter Gründlichkeit und trotz
der Schwierigkeiten, die einer Systematisirung des sehr umfangreichen, ver¬
wickelten und oft scheinbar zusammenhanglosen Materials sich darboten, mit
übersichtlicher Klarheit behandelt hat. wird einen ungefähren Begriff von dem
heutigen Standpunkte der Communalverwaltung geben; an diese Betrachtung
knüpft sich dann am zweckmäßigsten die Darstellung der hauptsächlichsten Ab¬
weichungen von dem alten Princip des Selfgovernments. die in der neuesten
Gesetzgebung zu Tage getreten sind.

Die Uebersichtlichkeit der Darstellung hat Gneist dadurch erreicht, daß er
getrennt behandelt die Befugnisse 1) der einzelnen Friedensrichter. 2) der Bc-
zirkssitzungcn. 3) der Quartalsitzungen der Friedensrichter. Eine Eintheilung
des Stoffes nach den administrativen und jurisdictivucllen Befugnissen würde
sich nicht durchführen lassen, weil in der Wirklichkeit Jurisdiction und Admini¬
stration gar nicht absolut getrennt sind, vielmehr immer festgehalten werden



') Die Form hierfür ist. daß in den Vollmachten für die Friedensrichter, in der Quorum-
Clausel einfach die Namen der Friedensrichter aus der Gentry wiederholt werden.
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[0183] theils analog. Die wichtigsten Functionen jener, besonders in Bezug auf Polizei-und Gerichtspflichten. können daher erst im Zusammenhange des ge¬ summten Communalwesens im weitesten Sinne richtig aufgefaßt werden. Die gesteigerte Verwickelung der Beziehungen zwischen Staat und Bürger, das Aufblühen der Industrie mit ihren Forderungen an Staat und Gesellschaft und die durch sie bewirkte Umbildung und Verschiebung der socialen Schichten, das mächtige, täglich eine größere Masse von Capital und Kraft absorbirende Bedürfniß des Erwerbs, kurz die ganze gewaltige Bewegung hat auf dem Gebiete der communalen Verwaltung manche Veränderungen hervorgerufen. Am wenigsten ist von diesen Veränderungen gerade das wichtigste der commu¬ nalen Aemter berührt worden, wie auch der altenglische Geist, in dem dasselbe verwaltet wird, sich bis jetzt unerschüttert erhalten hat. Das Friedensrichter¬ amt, der Hauptsitz des englischen Selfgovernment, hat sich stark und volkstüm¬ lich g.enug gezeigt, um durch die Fülle neuer Attribute, die es im Laufe der Zeit mit der zunehmenden Complicirung der Staatsorganisation erhalten hat, nicht zu einer Abweichung von den alten, bewährten Grundsätzen der Verwal¬ tung sich drängen zu lassen. Die Gentry, sobald sich die Nothwendigkeit einer berufsmäßigen Vorbildung herausstellte, bat sich nicht gescheut, sich diese Vor¬ bildung durch Schul- und Universitätsstudien zu erwerben. So nur war es möglich, daß trotz der gesteigerten Ansprüche an das Amt die Quorum statt, wie man hätte vermuthen könne», die fnedensrichterliche Gentry mehr und mehr in den Hintergrund zu drängen, fast ganz beseitigt wurden*). Eine kurze Uebersicht über die Kompetenz des Fricdensrichteramtes, wel¬ ches Gneist mit sichtbarer Vorliebe und ausgezeichneter Gründlichkeit und trotz der Schwierigkeiten, die einer Systematisirung des sehr umfangreichen, ver¬ wickelten und oft scheinbar zusammenhanglosen Materials sich darboten, mit übersichtlicher Klarheit behandelt hat. wird einen ungefähren Begriff von dem heutigen Standpunkte der Communalverwaltung geben; an diese Betrachtung knüpft sich dann am zweckmäßigsten die Darstellung der hauptsächlichsten Ab¬ weichungen von dem alten Princip des Selfgovernments. die in der neuesten Gesetzgebung zu Tage getreten sind. Die Uebersichtlichkeit der Darstellung hat Gneist dadurch erreicht, daß er getrennt behandelt die Befugnisse 1) der einzelnen Friedensrichter. 2) der Bc- zirkssitzungcn. 3) der Quartalsitzungen der Friedensrichter. Eine Eintheilung des Stoffes nach den administrativen und jurisdictivucllen Befugnissen würde sich nicht durchführen lassen, weil in der Wirklichkeit Jurisdiction und Admini¬ stration gar nicht absolut getrennt sind, vielmehr immer festgehalten werden ') Die Form hierfür ist. daß in den Vollmachten für die Friedensrichter, in der Quorum- Clausel einfach die Namen der Friedensrichter aus der Gentry wiederholt werden. * 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/183>, abgerufen am 03.07.2024.