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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Die Regierungsprincipien werden fortan von der im Parlamente, genauer
gesagt im Unterhause, überwiegenden Partei bestimmt; die Classe, aus welcher
das Unterhaus hervorgeht, wird damit zu einer regierenden Classe. Unter den
Umständen, die zu dieser Umbildung geführt haben, wollen wir nur den einen
anführen, daß das Haus Hannover bei der principiell feindlichen Stellung, die
ihm gegenüber längere Zeit hindurch die Tories einnahmen, sich genöthigt
sah, sich lange Zeit hindurch auf die eine Partei, die der Whigs zustutzen.
Die Folge dieses Umstandes war, daß thatsächlich das Cabinet ein Ausschuß
der Majorität des Parlaments wurde. Daß aber der Schwerpunkt des Parla¬
ments nunmehr ganz in das Unterhaus fällt, entspricht vollkommen der ge¬
schichtlichen Entwickelung und den tief eingewurzelten Grundsätzen des Sels-
governments. Denn nicht das Oberhaus, sondern das Unterhaus repräsentirte
die Gesammtheit der steuerzahlenden und darum verwaltenden Classe, die in
ihrer höchsten Zusammenfassung als gewählte Körpcischaft nun auch die Ne¬
gierung übernahm. Das Oberhaus dagegen hatte, da ein persönlicher Familien-
zusammcnhang zwischen seinen Mitgliedern und den Baronen des Mittelalters
infolge der Vertilgung der alten 'Adelsfamilien gar nicht mehr bestand, jede
selbständige Bedeutung neben der gesammten Gentrh verloren.

Die massenhaften PairSernennungen des achtzehnten Jahrhunderts, weit
entfernt, ihm diese Selbständigkeit wiederzugeben, trugen nur dazu bei, den
Zusammenhang und die sociale Gleichartigkeit der beiden Körperschaften zu con-
statircn. Trotz seiner Ehrenvorrechtc wurde der Adel zu einer Ablagerung der
herrschenden Classe, der Gentry-Aristokratie, die wie jede Aristokratie eifrig
darauf bedacht war. jeder Emancipation ihrer hervorragenden Mitglieder von
dem Einfluß der Gesammtheit hindernd entgegenzutreten. So kam es denn
daß auch daS Pairscrnennungörecht der Krone nicht sowohl eine Verstärkung
der persönlichen Macht des Königs als eine Waffe in der Hand der das Cabinet
beherrschenden Majorität des Unterhauses wurde. Auch die persönlichsten
Handlungen des Königs in Staatsangelegenheiten wurden thatsächlich zu con-
stitutionellen Acten.

Die Gefahren dieses Systems wurden beseitigt durch den seinen und sichern
Takt, mit dem man, natürlich immer von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die
Institutionen deS Selfgovernments vor den verderblichen Einflüssen eines
wechselnden Parteiregiments sicher stellte. Es kam hier daraus an, Verstärken
Centralisation der allgemeinen Staatsangelegenheiten, die im Cabinete gipselten,
die Graffchastsvcrwaltung möglichst selbständig gegenüber zu stellen, d. h. zu
decentralisiren. Man erreichte dies einfach dadurch, daß man die sriedensrichter-
lichen Entscheidungen, so weit die Forderungen der Rechtspflege dies zuließen,


aus einem Organ des Absolutismus zu einem Organ des Parlamentarismus
geworden ist.

Die Regierungsprincipien werden fortan von der im Parlamente, genauer
gesagt im Unterhause, überwiegenden Partei bestimmt; die Classe, aus welcher
das Unterhaus hervorgeht, wird damit zu einer regierenden Classe. Unter den
Umständen, die zu dieser Umbildung geführt haben, wollen wir nur den einen
anführen, daß das Haus Hannover bei der principiell feindlichen Stellung, die
ihm gegenüber längere Zeit hindurch die Tories einnahmen, sich genöthigt
sah, sich lange Zeit hindurch auf die eine Partei, die der Whigs zustutzen.
Die Folge dieses Umstandes war, daß thatsächlich das Cabinet ein Ausschuß
der Majorität des Parlaments wurde. Daß aber der Schwerpunkt des Parla¬
ments nunmehr ganz in das Unterhaus fällt, entspricht vollkommen der ge¬
schichtlichen Entwickelung und den tief eingewurzelten Grundsätzen des Sels-
governments. Denn nicht das Oberhaus, sondern das Unterhaus repräsentirte
die Gesammtheit der steuerzahlenden und darum verwaltenden Classe, die in
ihrer höchsten Zusammenfassung als gewählte Körpcischaft nun auch die Ne¬
gierung übernahm. Das Oberhaus dagegen hatte, da ein persönlicher Familien-
zusammcnhang zwischen seinen Mitgliedern und den Baronen des Mittelalters
infolge der Vertilgung der alten 'Adelsfamilien gar nicht mehr bestand, jede
selbständige Bedeutung neben der gesammten Gentrh verloren.

Die massenhaften PairSernennungen des achtzehnten Jahrhunderts, weit
entfernt, ihm diese Selbständigkeit wiederzugeben, trugen nur dazu bei, den
Zusammenhang und die sociale Gleichartigkeit der beiden Körperschaften zu con-
statircn. Trotz seiner Ehrenvorrechtc wurde der Adel zu einer Ablagerung der
herrschenden Classe, der Gentry-Aristokratie, die wie jede Aristokratie eifrig
darauf bedacht war. jeder Emancipation ihrer hervorragenden Mitglieder von
dem Einfluß der Gesammtheit hindernd entgegenzutreten. So kam es denn
daß auch daS Pairscrnennungörecht der Krone nicht sowohl eine Verstärkung
der persönlichen Macht des Königs als eine Waffe in der Hand der das Cabinet
beherrschenden Majorität des Unterhauses wurde. Auch die persönlichsten
Handlungen des Königs in Staatsangelegenheiten wurden thatsächlich zu con-
stitutionellen Acten.

Die Gefahren dieses Systems wurden beseitigt durch den seinen und sichern
Takt, mit dem man, natürlich immer von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die
Institutionen deS Selfgovernments vor den verderblichen Einflüssen eines
wechselnden Parteiregiments sicher stellte. Es kam hier daraus an, Verstärken
Centralisation der allgemeinen Staatsangelegenheiten, die im Cabinete gipselten,
die Graffchastsvcrwaltung möglichst selbständig gegenüber zu stellen, d. h. zu
decentralisiren. Man erreichte dies einfach dadurch, daß man die sriedensrichter-
lichen Entscheidungen, so weit die Forderungen der Rechtspflege dies zuließen,


aus einem Organ des Absolutismus zu einem Organ des Parlamentarismus
geworden ist.
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[0177] Die Regierungsprincipien werden fortan von der im Parlamente, genauer gesagt im Unterhause, überwiegenden Partei bestimmt; die Classe, aus welcher das Unterhaus hervorgeht, wird damit zu einer regierenden Classe. Unter den Umständen, die zu dieser Umbildung geführt haben, wollen wir nur den einen anführen, daß das Haus Hannover bei der principiell feindlichen Stellung, die ihm gegenüber längere Zeit hindurch die Tories einnahmen, sich genöthigt sah, sich lange Zeit hindurch auf die eine Partei, die der Whigs zustutzen. Die Folge dieses Umstandes war, daß thatsächlich das Cabinet ein Ausschuß der Majorität des Parlaments wurde. Daß aber der Schwerpunkt des Parla¬ ments nunmehr ganz in das Unterhaus fällt, entspricht vollkommen der ge¬ schichtlichen Entwickelung und den tief eingewurzelten Grundsätzen des Sels- governments. Denn nicht das Oberhaus, sondern das Unterhaus repräsentirte die Gesammtheit der steuerzahlenden und darum verwaltenden Classe, die in ihrer höchsten Zusammenfassung als gewählte Körpcischaft nun auch die Ne¬ gierung übernahm. Das Oberhaus dagegen hatte, da ein persönlicher Familien- zusammcnhang zwischen seinen Mitgliedern und den Baronen des Mittelalters infolge der Vertilgung der alten 'Adelsfamilien gar nicht mehr bestand, jede selbständige Bedeutung neben der gesammten Gentrh verloren. Die massenhaften PairSernennungen des achtzehnten Jahrhunderts, weit entfernt, ihm diese Selbständigkeit wiederzugeben, trugen nur dazu bei, den Zusammenhang und die sociale Gleichartigkeit der beiden Körperschaften zu con- statircn. Trotz seiner Ehrenvorrechtc wurde der Adel zu einer Ablagerung der herrschenden Classe, der Gentry-Aristokratie, die wie jede Aristokratie eifrig darauf bedacht war. jeder Emancipation ihrer hervorragenden Mitglieder von dem Einfluß der Gesammtheit hindernd entgegenzutreten. So kam es denn daß auch daS Pairscrnennungörecht der Krone nicht sowohl eine Verstärkung der persönlichen Macht des Königs als eine Waffe in der Hand der das Cabinet beherrschenden Majorität des Unterhauses wurde. Auch die persönlichsten Handlungen des Königs in Staatsangelegenheiten wurden thatsächlich zu con- stitutionellen Acten. Die Gefahren dieses Systems wurden beseitigt durch den seinen und sichern Takt, mit dem man, natürlich immer von einzelnen Ausnahmen abgesehen, die Institutionen deS Selfgovernments vor den verderblichen Einflüssen eines wechselnden Parteiregiments sicher stellte. Es kam hier daraus an, Verstärken Centralisation der allgemeinen Staatsangelegenheiten, die im Cabinete gipselten, die Graffchastsvcrwaltung möglichst selbständig gegenüber zu stellen, d. h. zu decentralisiren. Man erreichte dies einfach dadurch, daß man die sriedensrichter- lichen Entscheidungen, so weit die Forderungen der Rechtspflege dies zuließen, aus einem Organ des Absolutismus zu einem Organ des Parlamentarismus geworden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/177>, abgerufen am 01.10.2024.