Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auch in dem Bewegungsmotiv der Gestalt durchaus unklar; und da dem Kopf
wie dem Knabenkörper die rechte Anmuth wie das heitre Leben fehlt, so bleibt
die technische Mannorarbeit wirklich das Einzige, und das ist nicht hinreichend,
ein plastisches Werk zu etwas zu machen.

Eine glatt und delikat aus dem Block geschnittne Marmorstatue ist die
Lorelcy Von Voß. Was ihr ein Recht zu diesem Namen giebt, verräth sie
selbst uns keineswegs; vergebens suchen wir nach etwas dämonisch Verlockendem,
Bestrickendem, süß Berauschendem und zugleich heimlich Furchtbaren in diesem
gleichartigen typischen und dabei noch ziemlich unplastisch magern Kopfe und in
der Bewegung der feinen Gestalt. Wenn diese Loreley kaum den Wunsch und
Willen ihres Autors merken läßt, derartiges auszudrücken, so läßt uns im Ge¬
gentheil eine zweite lebensgroße Lorelcy über solche Absicht des ihrigen, des
Bildhauers Pcnvlowsky, keinen Augenblick im Zweifel. In einer höchst wun-
derlichen, halb frühmittelalterlichen, halb heidnisch nackten Tracht, mit einem
seltsamen Felszacken ähnlichen Kopfschmuck auf dem in die flatternden Haare
gedrückten Helm, lehnt sie sich, halb auf ihrer Klippe knieend, die urwcltliche
Harfe im linken Arm, hinabblickcnd herüber und macht ein Gesicht und rollt
die Augen dazu so extravagant und beängstigend, daß sie die Schiffer unten
damit wohl mehr verscheuchen als verlocken würde.

Eine lebensgroße Marmorgruppe von Venus und Amor, von Werres, läßt
bei einer gewissen allgemeinen Grazie und Anmuth jeden individuellen Neiz
und Charakter wie den Ausdruck einer eigenartigen künstlerischen Persönlichkeit
nur zu sehr vermissen: -- der gewöhnliche Mangel der meisten modernen Schö¬
pfungen der "Jdeal-Sculptur". In dieser Hinsicht, auch in tüchtiger, verstand¬
ner Formengebung ist diesem Werk das große Gipsmodell einer Gruppe. "Ba-
chantin mit einem Knaben auf einem Panther scherzend", von Moritz Schulz,
einem sehr begabten jüngeren Bildhauer, weit voraus: lebendig, kühn und gra¬
ziös bewegt und gruppirt. Dennoch steht es gegen frühere Arbeiten seines Autors
zurück, deren man sich bei seiner Betrachtung nicht erinnern darf.

Eine ungemein schöne nackte Krähengestalt von feiner natürlicher Charak¬
teristik und zugleich weichem Fluß jugendlicher Anmuth bildete Eduard Meyer
in seinem "Bachus im Knabenalter". -- Als Meister unter den Lebenden in
der Porträtstatue erwies sich Fräulein Elisabeth Ney, die wohlbekannte Bild¬
hauerin. durch die kleine Bronzestatucttc eines Carl Brownlow, ein Werk
von sprechendsten Leben und höchst geistreicher Ausführung. Prof. Franz. im¬
mer mit Statuen und Gruppen aller Art und Größe zu der nie stockenden
Decorirung der Potsdamer Königsgcirtcn, Parks und Prachtbauten beauftragt,
hat ein tüchtiges Geschick und eine fertige Sicherheit für solche Aufgaben er¬
worben, und seine "Jäger". "Fischer". "Seelöwen" :c. sind auch diesmal so
brav wie je und werden, in Zink oder Marmor ausgeführt, auf den Terrassen


22 *

auch in dem Bewegungsmotiv der Gestalt durchaus unklar; und da dem Kopf
wie dem Knabenkörper die rechte Anmuth wie das heitre Leben fehlt, so bleibt
die technische Mannorarbeit wirklich das Einzige, und das ist nicht hinreichend,
ein plastisches Werk zu etwas zu machen.

Eine glatt und delikat aus dem Block geschnittne Marmorstatue ist die
Lorelcy Von Voß. Was ihr ein Recht zu diesem Namen giebt, verräth sie
selbst uns keineswegs; vergebens suchen wir nach etwas dämonisch Verlockendem,
Bestrickendem, süß Berauschendem und zugleich heimlich Furchtbaren in diesem
gleichartigen typischen und dabei noch ziemlich unplastisch magern Kopfe und in
der Bewegung der feinen Gestalt. Wenn diese Loreley kaum den Wunsch und
Willen ihres Autors merken läßt, derartiges auszudrücken, so läßt uns im Ge¬
gentheil eine zweite lebensgroße Lorelcy über solche Absicht des ihrigen, des
Bildhauers Pcnvlowsky, keinen Augenblick im Zweifel. In einer höchst wun-
derlichen, halb frühmittelalterlichen, halb heidnisch nackten Tracht, mit einem
seltsamen Felszacken ähnlichen Kopfschmuck auf dem in die flatternden Haare
gedrückten Helm, lehnt sie sich, halb auf ihrer Klippe knieend, die urwcltliche
Harfe im linken Arm, hinabblickcnd herüber und macht ein Gesicht und rollt
die Augen dazu so extravagant und beängstigend, daß sie die Schiffer unten
damit wohl mehr verscheuchen als verlocken würde.

Eine lebensgroße Marmorgruppe von Venus und Amor, von Werres, läßt
bei einer gewissen allgemeinen Grazie und Anmuth jeden individuellen Neiz
und Charakter wie den Ausdruck einer eigenartigen künstlerischen Persönlichkeit
nur zu sehr vermissen: — der gewöhnliche Mangel der meisten modernen Schö¬
pfungen der „Jdeal-Sculptur". In dieser Hinsicht, auch in tüchtiger, verstand¬
ner Formengebung ist diesem Werk das große Gipsmodell einer Gruppe. „Ba-
chantin mit einem Knaben auf einem Panther scherzend", von Moritz Schulz,
einem sehr begabten jüngeren Bildhauer, weit voraus: lebendig, kühn und gra¬
ziös bewegt und gruppirt. Dennoch steht es gegen frühere Arbeiten seines Autors
zurück, deren man sich bei seiner Betrachtung nicht erinnern darf.

Eine ungemein schöne nackte Krähengestalt von feiner natürlicher Charak¬
teristik und zugleich weichem Fluß jugendlicher Anmuth bildete Eduard Meyer
in seinem „Bachus im Knabenalter". — Als Meister unter den Lebenden in
der Porträtstatue erwies sich Fräulein Elisabeth Ney, die wohlbekannte Bild¬
hauerin. durch die kleine Bronzestatucttc eines Carl Brownlow, ein Werk
von sprechendsten Leben und höchst geistreicher Ausführung. Prof. Franz. im¬
mer mit Statuen und Gruppen aller Art und Größe zu der nie stockenden
Decorirung der Potsdamer Königsgcirtcn, Parks und Prachtbauten beauftragt,
hat ein tüchtiges Geschick und eine fertige Sicherheit für solche Aufgaben er¬
worben, und seine „Jäger". „Fischer". „Seelöwen" :c. sind auch diesmal so
brav wie je und werden, in Zink oder Marmor ausgeführt, auf den Terrassen


22 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189799"/>
          <p xml:id="ID_647" prev="#ID_646"> auch in dem Bewegungsmotiv der Gestalt durchaus unklar; und da dem Kopf<lb/>
wie dem Knabenkörper die rechte Anmuth wie das heitre Leben fehlt, so bleibt<lb/>
die technische Mannorarbeit wirklich das Einzige, und das ist nicht hinreichend,<lb/>
ein plastisches Werk zu etwas zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648"> Eine glatt und delikat aus dem Block geschnittne Marmorstatue ist die<lb/>
Lorelcy Von Voß. Was ihr ein Recht zu diesem Namen giebt, verräth sie<lb/>
selbst uns keineswegs; vergebens suchen wir nach etwas dämonisch Verlockendem,<lb/>
Bestrickendem, süß Berauschendem und zugleich heimlich Furchtbaren in diesem<lb/>
gleichartigen typischen und dabei noch ziemlich unplastisch magern Kopfe und in<lb/>
der Bewegung der feinen Gestalt. Wenn diese Loreley kaum den Wunsch und<lb/>
Willen ihres Autors merken läßt, derartiges auszudrücken, so läßt uns im Ge¬<lb/>
gentheil eine zweite lebensgroße Lorelcy über solche Absicht des ihrigen, des<lb/>
Bildhauers Pcnvlowsky, keinen Augenblick im Zweifel. In einer höchst wun-<lb/>
derlichen, halb frühmittelalterlichen, halb heidnisch nackten Tracht, mit einem<lb/>
seltsamen Felszacken ähnlichen Kopfschmuck auf dem in die flatternden Haare<lb/>
gedrückten Helm, lehnt sie sich, halb auf ihrer Klippe knieend, die urwcltliche<lb/>
Harfe im linken Arm, hinabblickcnd herüber und macht ein Gesicht und rollt<lb/>
die Augen dazu so extravagant und beängstigend, daß sie die Schiffer unten<lb/>
damit wohl mehr verscheuchen als verlocken würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_649"> Eine lebensgroße Marmorgruppe von Venus und Amor, von Werres, läßt<lb/>
bei einer gewissen allgemeinen Grazie und Anmuth jeden individuellen Neiz<lb/>
und Charakter wie den Ausdruck einer eigenartigen künstlerischen Persönlichkeit<lb/>
nur zu sehr vermissen: &#x2014; der gewöhnliche Mangel der meisten modernen Schö¬<lb/>
pfungen der &#x201E;Jdeal-Sculptur". In dieser Hinsicht, auch in tüchtiger, verstand¬<lb/>
ner Formengebung ist diesem Werk das große Gipsmodell einer Gruppe. &#x201E;Ba-<lb/>
chantin mit einem Knaben auf einem Panther scherzend", von Moritz Schulz,<lb/>
einem sehr begabten jüngeren Bildhauer, weit voraus: lebendig, kühn und gra¬<lb/>
ziös bewegt und gruppirt. Dennoch steht es gegen frühere Arbeiten seines Autors<lb/>
zurück, deren man sich bei seiner Betrachtung nicht erinnern darf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_650" next="#ID_651"> Eine ungemein schöne nackte Krähengestalt von feiner natürlicher Charak¬<lb/>
teristik und zugleich weichem Fluß jugendlicher Anmuth bildete Eduard Meyer<lb/>
in seinem &#x201E;Bachus im Knabenalter". &#x2014; Als Meister unter den Lebenden in<lb/>
der Porträtstatue erwies sich Fräulein Elisabeth Ney, die wohlbekannte Bild¬<lb/>
hauerin. durch die kleine Bronzestatucttc eines Carl Brownlow, ein Werk<lb/>
von sprechendsten Leben und höchst geistreicher Ausführung. Prof. Franz. im¬<lb/>
mer mit Statuen und Gruppen aller Art und Größe zu der nie stockenden<lb/>
Decorirung der Potsdamer Königsgcirtcn, Parks und Prachtbauten beauftragt,<lb/>
hat ein tüchtiges Geschick und eine fertige Sicherheit für solche Aufgaben er¬<lb/>
worben, und seine &#x201E;Jäger". &#x201E;Fischer". &#x201E;Seelöwen" :c. sind auch diesmal so<lb/>
brav wie je und werden, in Zink oder Marmor ausgeführt, auf den Terrassen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 22 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] auch in dem Bewegungsmotiv der Gestalt durchaus unklar; und da dem Kopf wie dem Knabenkörper die rechte Anmuth wie das heitre Leben fehlt, so bleibt die technische Mannorarbeit wirklich das Einzige, und das ist nicht hinreichend, ein plastisches Werk zu etwas zu machen. Eine glatt und delikat aus dem Block geschnittne Marmorstatue ist die Lorelcy Von Voß. Was ihr ein Recht zu diesem Namen giebt, verräth sie selbst uns keineswegs; vergebens suchen wir nach etwas dämonisch Verlockendem, Bestrickendem, süß Berauschendem und zugleich heimlich Furchtbaren in diesem gleichartigen typischen und dabei noch ziemlich unplastisch magern Kopfe und in der Bewegung der feinen Gestalt. Wenn diese Loreley kaum den Wunsch und Willen ihres Autors merken läßt, derartiges auszudrücken, so läßt uns im Ge¬ gentheil eine zweite lebensgroße Lorelcy über solche Absicht des ihrigen, des Bildhauers Pcnvlowsky, keinen Augenblick im Zweifel. In einer höchst wun- derlichen, halb frühmittelalterlichen, halb heidnisch nackten Tracht, mit einem seltsamen Felszacken ähnlichen Kopfschmuck auf dem in die flatternden Haare gedrückten Helm, lehnt sie sich, halb auf ihrer Klippe knieend, die urwcltliche Harfe im linken Arm, hinabblickcnd herüber und macht ein Gesicht und rollt die Augen dazu so extravagant und beängstigend, daß sie die Schiffer unten damit wohl mehr verscheuchen als verlocken würde. Eine lebensgroße Marmorgruppe von Venus und Amor, von Werres, läßt bei einer gewissen allgemeinen Grazie und Anmuth jeden individuellen Neiz und Charakter wie den Ausdruck einer eigenartigen künstlerischen Persönlichkeit nur zu sehr vermissen: — der gewöhnliche Mangel der meisten modernen Schö¬ pfungen der „Jdeal-Sculptur". In dieser Hinsicht, auch in tüchtiger, verstand¬ ner Formengebung ist diesem Werk das große Gipsmodell einer Gruppe. „Ba- chantin mit einem Knaben auf einem Panther scherzend", von Moritz Schulz, einem sehr begabten jüngeren Bildhauer, weit voraus: lebendig, kühn und gra¬ ziös bewegt und gruppirt. Dennoch steht es gegen frühere Arbeiten seines Autors zurück, deren man sich bei seiner Betrachtung nicht erinnern darf. Eine ungemein schöne nackte Krähengestalt von feiner natürlicher Charak¬ teristik und zugleich weichem Fluß jugendlicher Anmuth bildete Eduard Meyer in seinem „Bachus im Knabenalter". — Als Meister unter den Lebenden in der Porträtstatue erwies sich Fräulein Elisabeth Ney, die wohlbekannte Bild¬ hauerin. durch die kleine Bronzestatucttc eines Carl Brownlow, ein Werk von sprechendsten Leben und höchst geistreicher Ausführung. Prof. Franz. im¬ mer mit Statuen und Gruppen aller Art und Größe zu der nie stockenden Decorirung der Potsdamer Königsgcirtcn, Parks und Prachtbauten beauftragt, hat ein tüchtiges Geschick und eine fertige Sicherheit für solche Aufgaben er¬ worben, und seine „Jäger". „Fischer". „Seelöwen" :c. sind auch diesmal so brav wie je und werden, in Zink oder Marmor ausgeführt, auf den Terrassen 22 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/175>, abgerufen am 01.10.2024.