Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.Mir haben bei Gelegenheit der Concurrenz um das berliner Schillerdenkmal, Mir haben bei Gelegenheit der Concurrenz um das berliner Schillerdenkmal, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189795"/> <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Mir haben bei Gelegenheit der Concurrenz um das berliner Schillerdenkmal,<lb/> wie um das Monument Friedrich Wilhelm des Dritten für Köln nach beiden<lb/> Seiten erstaunliche Proben erlebt. Die Resultate beider Preisbewcrbungen waren<lb/> denn auch für des Künstlers Verhältniß zu dem dabei Ausschlag gebenden Theil<lb/> seines Publicums bezeichnend genug. In Köln erhielt sein Entwurf, gegen<lb/> dessen grandiose monumentale Schönheit und ursprüngliche" Genialität man<lb/> sich schlechterdings nicht verschließen konnte, den ersten Preis von 3000 Thlr.<lb/> Aber — ihn ausführen zu lassen, dagegen sträubt und wehrt sich der bürger¬<lb/> liche Geschmack wie die ästhetische Theorie des entscheidenden Comitös; lieber<lb/> schreibt man eine neue Concurrenz aus, und als diese, wie zu erwarten,<lb/> völlig resultatlos bleibt, geht man auf die Bewerber bei jener ersten zurück und<lb/> überträgt die Ausführung zwei im Uebrigen ganz tüchtigen und erprobten<lb/> Künstlern, von denen aber doch bei dieser besondern Aufgabe der eine nur<lb/> den dritten, der andre gar keinen Preis davon getragen hatte. Wie es bei dem<lb/> Schillerdenkmal herging, ist bekannt genug; wie die ganze Empörung des ästhe¬<lb/> tischen und städtischen Philisters gegen den Entwurf von Begas gehetzt und<lb/> entfesselt wurde und wie man endlich, in der Unmöglichkeit das bessere Urtheil und<lb/> Erkennen todt zu machen, Vegas zwar die Ausführung übertragen, zugleich<lb/> aber eine Ueberwachungscommission für ihn geschaffen hat, die dafür sorgen<lb/> soll, daß er sein Eignes opfernd sich den Wünschen natürlicher Gegner unter¬<lb/> ordne; die aber zugleich aus so disparaten, sich gegenseitig aufhebenden Ele¬<lb/> menten zusammengesetzt ist, daß ihre Einwirkung auf seine Arbeit eigentlich<lb/> nur darauf hinauskommen kann, ihm diese selbst gründlich zu verleiden. Doch<lb/> diese Dinge gehören eigentlich nicht in einen Ausstcllungsbcricht. Halten wir<lb/> uns an das Werk, welches er hierher geliefert: das lebensgroße Gipsmodell<lb/> einer Gruppe, Venus und Amor. Der kleine Liebesgott hat sich am Aermchen<lb/> verwundet (oder hat ihn, wie bei Anakreon, dort die Biene gestochen?) und<lb/> die herrliche Mutter spricht ihm zärtlichen Trost zu. Beide Gestalten sind fast<lb/> gänzlich nackt und zum ersten Mal in der heutigen Plastik sehen wir Gestalten<lb/> mit lebendigem warmen Fleisch geschaffen. Dieses energische wirkliche Leben<lb/> darin hat natürlich besonders bei denjenigen, die völlig unfähig sind, etwas<lb/> dem annähernd Aehnliches zu schaffen, das orthodox-ästhetische Geschrei über<lb/> den höchst verwerflichen, der reinen plastischen Kunst gänzlich unerlaubten „Rea-<lb/> lismus" des begasschcn Werkes hervorgerufen. Und doch — wer unter den<lb/> Lebenden wäre im Stande ein Gebilde von gleich mächtiger Schönheit, von<lb/> gleich hinreißender süßer Anmuth, von solcher gesunden Größe der Form und<lb/> inniger Beseelung des Ausdrucks zu schaffen! Dieser Göttinncnicib ist freilich<lb/> voller, fleischiger, mütterlicher als wir gewohnt sind, die schaumgeborne Aphro¬<lb/> dite von der Sculptur dargestellt zu sehen; und die derbe strotzende Kraft des<lb/> Körpers und der Glieder dieses jungen Cupido, der kindlich-komische, schmerzlich.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0171]
Mir haben bei Gelegenheit der Concurrenz um das berliner Schillerdenkmal,
wie um das Monument Friedrich Wilhelm des Dritten für Köln nach beiden
Seiten erstaunliche Proben erlebt. Die Resultate beider Preisbewcrbungen waren
denn auch für des Künstlers Verhältniß zu dem dabei Ausschlag gebenden Theil
seines Publicums bezeichnend genug. In Köln erhielt sein Entwurf, gegen
dessen grandiose monumentale Schönheit und ursprüngliche" Genialität man
sich schlechterdings nicht verschließen konnte, den ersten Preis von 3000 Thlr.
Aber — ihn ausführen zu lassen, dagegen sträubt und wehrt sich der bürger¬
liche Geschmack wie die ästhetische Theorie des entscheidenden Comitös; lieber
schreibt man eine neue Concurrenz aus, und als diese, wie zu erwarten,
völlig resultatlos bleibt, geht man auf die Bewerber bei jener ersten zurück und
überträgt die Ausführung zwei im Uebrigen ganz tüchtigen und erprobten
Künstlern, von denen aber doch bei dieser besondern Aufgabe der eine nur
den dritten, der andre gar keinen Preis davon getragen hatte. Wie es bei dem
Schillerdenkmal herging, ist bekannt genug; wie die ganze Empörung des ästhe¬
tischen und städtischen Philisters gegen den Entwurf von Begas gehetzt und
entfesselt wurde und wie man endlich, in der Unmöglichkeit das bessere Urtheil und
Erkennen todt zu machen, Vegas zwar die Ausführung übertragen, zugleich
aber eine Ueberwachungscommission für ihn geschaffen hat, die dafür sorgen
soll, daß er sein Eignes opfernd sich den Wünschen natürlicher Gegner unter¬
ordne; die aber zugleich aus so disparaten, sich gegenseitig aufhebenden Ele¬
menten zusammengesetzt ist, daß ihre Einwirkung auf seine Arbeit eigentlich
nur darauf hinauskommen kann, ihm diese selbst gründlich zu verleiden. Doch
diese Dinge gehören eigentlich nicht in einen Ausstcllungsbcricht. Halten wir
uns an das Werk, welches er hierher geliefert: das lebensgroße Gipsmodell
einer Gruppe, Venus und Amor. Der kleine Liebesgott hat sich am Aermchen
verwundet (oder hat ihn, wie bei Anakreon, dort die Biene gestochen?) und
die herrliche Mutter spricht ihm zärtlichen Trost zu. Beide Gestalten sind fast
gänzlich nackt und zum ersten Mal in der heutigen Plastik sehen wir Gestalten
mit lebendigem warmen Fleisch geschaffen. Dieses energische wirkliche Leben
darin hat natürlich besonders bei denjenigen, die völlig unfähig sind, etwas
dem annähernd Aehnliches zu schaffen, das orthodox-ästhetische Geschrei über
den höchst verwerflichen, der reinen plastischen Kunst gänzlich unerlaubten „Rea-
lismus" des begasschcn Werkes hervorgerufen. Und doch — wer unter den
Lebenden wäre im Stande ein Gebilde von gleich mächtiger Schönheit, von
gleich hinreißender süßer Anmuth, von solcher gesunden Größe der Form und
inniger Beseelung des Ausdrucks zu schaffen! Dieser Göttinncnicib ist freilich
voller, fleischiger, mütterlicher als wir gewohnt sind, die schaumgeborne Aphro¬
dite von der Sculptur dargestellt zu sehen; und die derbe strotzende Kraft des
Körpers und der Glieder dieses jungen Cupido, der kindlich-komische, schmerzlich.
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