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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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in Rom wenigstens erst ihre Vollendung finden könne. Cavour selbst, als ihm
unter den Handen das norditalische Reich zum Königreich Italien anwuchs,
ergriff diese Idee und starb unter den Anstrengungen, dieses höchste Ziel zu
erreichen. Das Parlament sprach wiederholt in feierlicher Weise Rom als die
Hauptstadt an, und seines der seitherigen Ministerien wagte das Programm
Cavours zu widerrufen. Selbst die Föderalisten, die Municipalisten, die wider¬
willig der unitarischen Tendenz folgten, blickten auf Rom, das allein mit dem
Einheitsstaate versöhnen könne und zu dessen Gunsten allein sämmtliche andere
Städte zu entsagen bereit waren.

Einer Idee gegenüber, welche sich so sehr in die Phantasie der Nation ein¬
gelebt und das Einheitsband aller Parteien gebildet hat, wird die nüchterne
politische Berechnung einen schweren Stand haben. Sie erfordert einen Grad
von Selbstverläugnung, der diese Krisis zu der schwersten macht, welche die
italienische Wiedergeburt bisher zu bestehen hatte. Alle jene municipalen Eifersüch¬
teleien, welche in dem Gedanken an Rom neutralisirt waren, leben von Neuem auf.
Turin gab das Signal, und Neapel wird der Versuchung schwer widerstehen,
in die es durch Turin gelockt worden ist. Was in der loyalen Stadt Turin
am 21. und 22. September vorging, ist das Vorspiel zu den Scenen, welche
die parlamentarische Debatte darbieten wird. Die Revolutionspartei, der es
ein Gräuel ist. durch Abkommen mit Frankreich einen Weg zur friedlichen Ge¬
winnung Roms eröffnet zu sehen, tritt mit frischen Waffen auf den Kampfplatz.
Ja auch die Entscheidung, welche zu seiner Zeit von Rom selbst abhängt, wird
fraglich: werden die Römer ebenso geneigt sein, ihre besonderen Ansprüche
der Vereinigung mit Italien zum Opfer zu bringen, als sie es ohne Zweifel
gewesen wären. König und Parlament in ihren Mauern zu empfangen? Auch
den Quinten ist kein kleines Opfer zugedacht, und sicher gehört dies gleichfalls
zur Berechnung Louis Napoleons, der so gerecht und unparteiisch zwischen Rom
und Italien abzuwägen verstand und eben mit dieser Bedingung ein schweres
Gewicht in die Wagschale des Papstthums legte. Und endlich tritt an die
ganze Schöpfung des Königreichs Italien die Lebensfrage heran, wie sie dann
bestehen wird, wenn ihr Schwerpunkt hinweggerückt ist von Piemont, das durch
seine angestammte stramme Zucht, durch seine Verwaltung und sein Militär
doch zumeist das Reich zusammengehalten, und dem die Zukunft Italiens auch
dies nicht vergessen wird, daß es zugleich die schwersten Opfer für die Unifica-
tion gebracht hat.

Mit ungewöhnlicher Spannung darf man unter diesen Umständen der Er¬
öffnung des Parlaments entgegensehen, von dessen Entscheidung zunächst die
Zukunft Roms und Italiens abhängt. Alle weiteren Fragen, welche sich an
die Räumung der ewigen Stadt knüpfen; welches die Stellung des Papstthums
nach Aufhebung seiner weltlichen Herrschaft sein, ob es daran gewinnen, ob


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in Rom wenigstens erst ihre Vollendung finden könne. Cavour selbst, als ihm
unter den Handen das norditalische Reich zum Königreich Italien anwuchs,
ergriff diese Idee und starb unter den Anstrengungen, dieses höchste Ziel zu
erreichen. Das Parlament sprach wiederholt in feierlicher Weise Rom als die
Hauptstadt an, und seines der seitherigen Ministerien wagte das Programm
Cavours zu widerrufen. Selbst die Föderalisten, die Municipalisten, die wider¬
willig der unitarischen Tendenz folgten, blickten auf Rom, das allein mit dem
Einheitsstaate versöhnen könne und zu dessen Gunsten allein sämmtliche andere
Städte zu entsagen bereit waren.

Einer Idee gegenüber, welche sich so sehr in die Phantasie der Nation ein¬
gelebt und das Einheitsband aller Parteien gebildet hat, wird die nüchterne
politische Berechnung einen schweren Stand haben. Sie erfordert einen Grad
von Selbstverläugnung, der diese Krisis zu der schwersten macht, welche die
italienische Wiedergeburt bisher zu bestehen hatte. Alle jene municipalen Eifersüch¬
teleien, welche in dem Gedanken an Rom neutralisirt waren, leben von Neuem auf.
Turin gab das Signal, und Neapel wird der Versuchung schwer widerstehen,
in die es durch Turin gelockt worden ist. Was in der loyalen Stadt Turin
am 21. und 22. September vorging, ist das Vorspiel zu den Scenen, welche
die parlamentarische Debatte darbieten wird. Die Revolutionspartei, der es
ein Gräuel ist. durch Abkommen mit Frankreich einen Weg zur friedlichen Ge¬
winnung Roms eröffnet zu sehen, tritt mit frischen Waffen auf den Kampfplatz.
Ja auch die Entscheidung, welche zu seiner Zeit von Rom selbst abhängt, wird
fraglich: werden die Römer ebenso geneigt sein, ihre besonderen Ansprüche
der Vereinigung mit Italien zum Opfer zu bringen, als sie es ohne Zweifel
gewesen wären. König und Parlament in ihren Mauern zu empfangen? Auch
den Quinten ist kein kleines Opfer zugedacht, und sicher gehört dies gleichfalls
zur Berechnung Louis Napoleons, der so gerecht und unparteiisch zwischen Rom
und Italien abzuwägen verstand und eben mit dieser Bedingung ein schweres
Gewicht in die Wagschale des Papstthums legte. Und endlich tritt an die
ganze Schöpfung des Königreichs Italien die Lebensfrage heran, wie sie dann
bestehen wird, wenn ihr Schwerpunkt hinweggerückt ist von Piemont, das durch
seine angestammte stramme Zucht, durch seine Verwaltung und sein Militär
doch zumeist das Reich zusammengehalten, und dem die Zukunft Italiens auch
dies nicht vergessen wird, daß es zugleich die schwersten Opfer für die Unifica-
tion gebracht hat.

Mit ungewöhnlicher Spannung darf man unter diesen Umständen der Er¬
öffnung des Parlaments entgegensehen, von dessen Entscheidung zunächst die
Zukunft Roms und Italiens abhängt. Alle weiteren Fragen, welche sich an
die Räumung der ewigen Stadt knüpfen; welches die Stellung des Papstthums
nach Aufhebung seiner weltlichen Herrschaft sein, ob es daran gewinnen, ob


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/151>, abgerufen am 22.07.2024.