Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

hat, die offenbar denn was die Denkschrift über die Bedeutungslosigkeit
fürstlicher Heirathen in jetziger Zeit vorbringt, ist doch kaum ernsthaft gemeint
-- den Zweck verfolgt, bis zu einem gewissen Grad zu ersetzen, was man durch
Aufhebung des londoner Protokolls in Dänemark verloren hat.

Die Denkschrift sucht das Verhalten des Großherzogs während der Exe-
cution und des Krieges in den Herzogthümern durch die Behauptung zu recht¬
fertigen, eine Kreuzung der augustenburgischen Bemühungen durch das Auf¬
treten eines zweiten Prätendenten hätte den Ausgang des Kampfes gefährden
können, und die große Masse hätte den Glauben, ein oldenburgisches Schleswig-
Holstein werde eine russische Satrapie sein, nicht aufgegeben. Wir antworten
darauf: nicht die Rücksicht auf den Ausgang des Kampfes, sondern der Wille
des Chefs des gottorpischen Hauses gebot dem Großherzoge jene schweigende
Zurückhaltung. Wer etwas von den politischen Fäden kennt, die zwischen
Oldenburg und Petersburg laufen, der wird daran nicht zweifeln, und der wird
sich ohne Mühe eine Vorstellung bilden können, welchen Einfluß künftig russische
Wünsche auf Deutschland üben würden, wenn der russische Candidat seine Pra"
tenfionen mit Erfolg gekrönt sähe. Glaubt jemand, daß der Großherzog dem
Chef seines Hauses, um nur ein Beispiel anzuführen, die kleine Bitte abschlagen
würde, im kieler Hafen eine Kohlenstation für russische Dampfer zu erhalten?
und giebt es jemand außer etwa den Verfasser unserer Denkschrift, der nicht
wüßte, wozu eine solche Station führen würde? Erinnern wir uns doch, daß
Großherzog Peter am 10. December 1832 auf sein Erbfolgerecht in Schleswig-
Holstein zu Gunsten des Prinzen Christian zu Glücksburg verzichtete "für den
Fall, daß Prinz Christian oder dessen männliche Nachkommen den Thron Däne¬
marks besteigen sollten." Der Verzichtende war ein von Dänemark durchaus
unabhängiger Mann, er stand in keiner Verbindung mit dem dänischen Hofe,
hatte nicht die mindeste Verpflichtung gegen denselben oder gegen den Glücks¬
burger. Weshalb gab er seine eventuellen Ansprüche zu Gunsten eines Fürsten
auf, von dem er jetzt behauptet, daß er kein Anrecht auf die Herzogtümer
habe? Wir glauben nicht zu irren, wenn wir behaupten, daß Rußland den
Verzicht verlangte. Und wir glauben ebensowenig fehl zu greifen, wenn wir
weiter schließen: war der Petersburger Einfluß auf den damaligen Erbgroßherzog
groß genug, um denselben zu veranlassen, seine eventuellen Erbrechte zu
Gunsten des dänischen Thronfolgers aufzugeben, so ist mit Sicherheit anzuneh¬
men, daß derselbe Einfluß auf den jetzigen Großherzog fortdauern und ihm
fernere Sessionen abverlangen und abgewinnen würde, wenn er Herzog von
Schleswig-Holstein werden sollte. Wenn die Denkschrift meint, niemand werde
im Großherzogthum Oldenburg etwas von dominirenden Einfluß aus Se. Pe¬
tersburg merken, so ist das zum Theil durch das Obige widerlegt, anderntheils
aber vermag das Land Oldenburg dem russischen Interesse kaum etwas zu


18*

hat, die offenbar denn was die Denkschrift über die Bedeutungslosigkeit
fürstlicher Heirathen in jetziger Zeit vorbringt, ist doch kaum ernsthaft gemeint
— den Zweck verfolgt, bis zu einem gewissen Grad zu ersetzen, was man durch
Aufhebung des londoner Protokolls in Dänemark verloren hat.

Die Denkschrift sucht das Verhalten des Großherzogs während der Exe-
cution und des Krieges in den Herzogthümern durch die Behauptung zu recht¬
fertigen, eine Kreuzung der augustenburgischen Bemühungen durch das Auf¬
treten eines zweiten Prätendenten hätte den Ausgang des Kampfes gefährden
können, und die große Masse hätte den Glauben, ein oldenburgisches Schleswig-
Holstein werde eine russische Satrapie sein, nicht aufgegeben. Wir antworten
darauf: nicht die Rücksicht auf den Ausgang des Kampfes, sondern der Wille
des Chefs des gottorpischen Hauses gebot dem Großherzoge jene schweigende
Zurückhaltung. Wer etwas von den politischen Fäden kennt, die zwischen
Oldenburg und Petersburg laufen, der wird daran nicht zweifeln, und der wird
sich ohne Mühe eine Vorstellung bilden können, welchen Einfluß künftig russische
Wünsche auf Deutschland üben würden, wenn der russische Candidat seine Pra«
tenfionen mit Erfolg gekrönt sähe. Glaubt jemand, daß der Großherzog dem
Chef seines Hauses, um nur ein Beispiel anzuführen, die kleine Bitte abschlagen
würde, im kieler Hafen eine Kohlenstation für russische Dampfer zu erhalten?
und giebt es jemand außer etwa den Verfasser unserer Denkschrift, der nicht
wüßte, wozu eine solche Station führen würde? Erinnern wir uns doch, daß
Großherzog Peter am 10. December 1832 auf sein Erbfolgerecht in Schleswig-
Holstein zu Gunsten des Prinzen Christian zu Glücksburg verzichtete „für den
Fall, daß Prinz Christian oder dessen männliche Nachkommen den Thron Däne¬
marks besteigen sollten." Der Verzichtende war ein von Dänemark durchaus
unabhängiger Mann, er stand in keiner Verbindung mit dem dänischen Hofe,
hatte nicht die mindeste Verpflichtung gegen denselben oder gegen den Glücks¬
burger. Weshalb gab er seine eventuellen Ansprüche zu Gunsten eines Fürsten
auf, von dem er jetzt behauptet, daß er kein Anrecht auf die Herzogtümer
habe? Wir glauben nicht zu irren, wenn wir behaupten, daß Rußland den
Verzicht verlangte. Und wir glauben ebensowenig fehl zu greifen, wenn wir
weiter schließen: war der Petersburger Einfluß auf den damaligen Erbgroßherzog
groß genug, um denselben zu veranlassen, seine eventuellen Erbrechte zu
Gunsten des dänischen Thronfolgers aufzugeben, so ist mit Sicherheit anzuneh¬
men, daß derselbe Einfluß auf den jetzigen Großherzog fortdauern und ihm
fernere Sessionen abverlangen und abgewinnen würde, wenn er Herzog von
Schleswig-Holstein werden sollte. Wenn die Denkschrift meint, niemand werde
im Großherzogthum Oldenburg etwas von dominirenden Einfluß aus Se. Pe¬
tersburg merken, so ist das zum Theil durch das Obige widerlegt, anderntheils
aber vermag das Land Oldenburg dem russischen Interesse kaum etwas zu


18*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189767"/>
          <p xml:id="ID_560" prev="#ID_559"> hat, die offenbar denn was die Denkschrift über die Bedeutungslosigkeit<lb/>
fürstlicher Heirathen in jetziger Zeit vorbringt, ist doch kaum ernsthaft gemeint<lb/>
&#x2014; den Zweck verfolgt, bis zu einem gewissen Grad zu ersetzen, was man durch<lb/>
Aufhebung des londoner Protokolls in Dänemark verloren hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_561" next="#ID_562"> Die Denkschrift sucht das Verhalten des Großherzogs während der Exe-<lb/>
cution und des Krieges in den Herzogthümern durch die Behauptung zu recht¬<lb/>
fertigen, eine Kreuzung der augustenburgischen Bemühungen durch das Auf¬<lb/>
treten eines zweiten Prätendenten hätte den Ausgang des Kampfes gefährden<lb/>
können, und die große Masse hätte den Glauben, ein oldenburgisches Schleswig-<lb/>
Holstein werde eine russische Satrapie sein, nicht aufgegeben. Wir antworten<lb/>
darauf: nicht die Rücksicht auf den Ausgang des Kampfes, sondern der Wille<lb/>
des Chefs des gottorpischen Hauses gebot dem Großherzoge jene schweigende<lb/>
Zurückhaltung. Wer etwas von den politischen Fäden kennt, die zwischen<lb/>
Oldenburg und Petersburg laufen, der wird daran nicht zweifeln, und der wird<lb/>
sich ohne Mühe eine Vorstellung bilden können, welchen Einfluß künftig russische<lb/>
Wünsche auf Deutschland üben würden, wenn der russische Candidat seine Pra«<lb/>
tenfionen mit Erfolg gekrönt sähe. Glaubt jemand, daß der Großherzog dem<lb/>
Chef seines Hauses, um nur ein Beispiel anzuführen, die kleine Bitte abschlagen<lb/>
würde, im kieler Hafen eine Kohlenstation für russische Dampfer zu erhalten?<lb/>
und giebt es jemand außer etwa den Verfasser unserer Denkschrift, der nicht<lb/>
wüßte, wozu eine solche Station führen würde? Erinnern wir uns doch, daß<lb/>
Großherzog Peter am 10. December 1832 auf sein Erbfolgerecht in Schleswig-<lb/>
Holstein zu Gunsten des Prinzen Christian zu Glücksburg verzichtete &#x201E;für den<lb/>
Fall, daß Prinz Christian oder dessen männliche Nachkommen den Thron Däne¬<lb/>
marks besteigen sollten." Der Verzichtende war ein von Dänemark durchaus<lb/>
unabhängiger Mann, er stand in keiner Verbindung mit dem dänischen Hofe,<lb/>
hatte nicht die mindeste Verpflichtung gegen denselben oder gegen den Glücks¬<lb/>
burger. Weshalb gab er seine eventuellen Ansprüche zu Gunsten eines Fürsten<lb/>
auf, von dem er jetzt behauptet, daß er kein Anrecht auf die Herzogtümer<lb/>
habe? Wir glauben nicht zu irren, wenn wir behaupten, daß Rußland den<lb/>
Verzicht verlangte. Und wir glauben ebensowenig fehl zu greifen, wenn wir<lb/>
weiter schließen: war der Petersburger Einfluß auf den damaligen Erbgroßherzog<lb/>
groß genug, um denselben zu veranlassen, seine eventuellen Erbrechte zu<lb/>
Gunsten des dänischen Thronfolgers aufzugeben, so ist mit Sicherheit anzuneh¬<lb/>
men, daß derselbe Einfluß auf den jetzigen Großherzog fortdauern und ihm<lb/>
fernere Sessionen abverlangen und abgewinnen würde, wenn er Herzog von<lb/>
Schleswig-Holstein werden sollte. Wenn die Denkschrift meint, niemand werde<lb/>
im Großherzogthum Oldenburg etwas von dominirenden Einfluß aus Se. Pe¬<lb/>
tersburg merken, so ist das zum Theil durch das Obige widerlegt, anderntheils<lb/>
aber vermag das Land Oldenburg dem russischen Interesse kaum etwas zu</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 18*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0143] hat, die offenbar denn was die Denkschrift über die Bedeutungslosigkeit fürstlicher Heirathen in jetziger Zeit vorbringt, ist doch kaum ernsthaft gemeint — den Zweck verfolgt, bis zu einem gewissen Grad zu ersetzen, was man durch Aufhebung des londoner Protokolls in Dänemark verloren hat. Die Denkschrift sucht das Verhalten des Großherzogs während der Exe- cution und des Krieges in den Herzogthümern durch die Behauptung zu recht¬ fertigen, eine Kreuzung der augustenburgischen Bemühungen durch das Auf¬ treten eines zweiten Prätendenten hätte den Ausgang des Kampfes gefährden können, und die große Masse hätte den Glauben, ein oldenburgisches Schleswig- Holstein werde eine russische Satrapie sein, nicht aufgegeben. Wir antworten darauf: nicht die Rücksicht auf den Ausgang des Kampfes, sondern der Wille des Chefs des gottorpischen Hauses gebot dem Großherzoge jene schweigende Zurückhaltung. Wer etwas von den politischen Fäden kennt, die zwischen Oldenburg und Petersburg laufen, der wird daran nicht zweifeln, und der wird sich ohne Mühe eine Vorstellung bilden können, welchen Einfluß künftig russische Wünsche auf Deutschland üben würden, wenn der russische Candidat seine Pra« tenfionen mit Erfolg gekrönt sähe. Glaubt jemand, daß der Großherzog dem Chef seines Hauses, um nur ein Beispiel anzuführen, die kleine Bitte abschlagen würde, im kieler Hafen eine Kohlenstation für russische Dampfer zu erhalten? und giebt es jemand außer etwa den Verfasser unserer Denkschrift, der nicht wüßte, wozu eine solche Station führen würde? Erinnern wir uns doch, daß Großherzog Peter am 10. December 1832 auf sein Erbfolgerecht in Schleswig- Holstein zu Gunsten des Prinzen Christian zu Glücksburg verzichtete „für den Fall, daß Prinz Christian oder dessen männliche Nachkommen den Thron Däne¬ marks besteigen sollten." Der Verzichtende war ein von Dänemark durchaus unabhängiger Mann, er stand in keiner Verbindung mit dem dänischen Hofe, hatte nicht die mindeste Verpflichtung gegen denselben oder gegen den Glücks¬ burger. Weshalb gab er seine eventuellen Ansprüche zu Gunsten eines Fürsten auf, von dem er jetzt behauptet, daß er kein Anrecht auf die Herzogtümer habe? Wir glauben nicht zu irren, wenn wir behaupten, daß Rußland den Verzicht verlangte. Und wir glauben ebensowenig fehl zu greifen, wenn wir weiter schließen: war der Petersburger Einfluß auf den damaligen Erbgroßherzog groß genug, um denselben zu veranlassen, seine eventuellen Erbrechte zu Gunsten des dänischen Thronfolgers aufzugeben, so ist mit Sicherheit anzuneh¬ men, daß derselbe Einfluß auf den jetzigen Großherzog fortdauern und ihm fernere Sessionen abverlangen und abgewinnen würde, wenn er Herzog von Schleswig-Holstein werden sollte. Wenn die Denkschrift meint, niemand werde im Großherzogthum Oldenburg etwas von dominirenden Einfluß aus Se. Pe¬ tersburg merken, so ist das zum Theil durch das Obige widerlegt, anderntheils aber vermag das Land Oldenburg dem russischen Interesse kaum etwas zu 18*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/143
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/143>, abgerufen am 01.10.2024.