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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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ihm gewollten Gesammtstaat Dänemark den damaligen Erbgroßhcrzog von
Oldenburg vor, wogegen Oldenburg dem Herzog von Augustenburg übergeben
werden sollte. Der Erbgroßherzog, jetzt Großherzog, Peter erklärte seine Be¬
reitwilligkeit, den gesammtstaatlichen Thron anzunehmen, wofern 1) die Rechte
der Herzogthümer aufrecht erhalten würden, 2) die Agnaten dieses Arrangement
guthießen, 3) der Bruder des Erbgroßherzogs Oldenburg bekäme. Für eine
Trennung der Herzogthümer von Dänemark hatte er kein Wort; mit der ersten
seiner Bedingungen war allerhöchstens die Personalunion gemeint, und da Ru߬
land diese damals nicht wollte, weil die Dänen entschieden gegen sie waren;
da Nußland ferner über Oldenburg anders disponirt haben wollte, so zerschlug
sich die Combination und ein anderer Candidat wurde erkoren. Die Denkschrift
deutet serner an, daß die Aufhebung des londoner Protokolls vorzüglich dem
Verhalten Rußlands auf der Konferenz zuzuschreiben sei. Sie sagt in dieser
Beziehung: "Nach der Cession von Kissingen ertheilte Rußland, bisher Eng¬
lands treuester Alliirter und Dänemarks bester Schutz auf der Konferenz, plötz¬
lich und unerwartet der dänischen Negierung den Nath, die von den deutschen
Großmächten geforderte Theilungslinie Apenrade-Tondern anzunehmen und
führte dadurch eine Ministerkrisis herbei. England stimmte ebenso plötzlich und
unerwartet seinen Ton gegenüber den deutschen Großmächten bedeutend herab,
und es wird wohl mit Recht dem Abfall Rußlands zugeschrieben, wenn diese
Macht trotz ihrer kriegerischen Drohungen, trotz des Lärms ihrer Presse, trotz
der im Lande herrschenden Erregung der öffentlichen Meinung sich entschloß,
auch der weiteren Entwickelung des Schleswig-holsteinischen Conflicts gegenüber
unthätig zu bleiben."

Was man nicht alles behaupten kann, wenn man vergißt, daß in England
Blaubücher existiren! Aus den Blaubüchern lesen wir einen ganz anderen Her¬
gang heraus. Nicht durch Nußland, sondern durch die Erklärung der deutschen
Bevollmächtigten in der Sitzung der Conferenz vom 28. Mai und durch den
darauf folgenden englischen, von Frankreich unterstützten Vorschlag einer Thei¬
lungslinie zwischen der Schlei und Husum wurde der Umschwung herbeigeführt,
welchen die Denkschrift von Rußland veranlaßt sein läßt. Der russische Bevoll¬
mächtigte hat dazu nicht nur nichts beigetragen, sondern gegen dieses Fallen¬
lassen des londoner Protokolls protestirt, und erst als die Petersburger Politik
fand, daß letzteres nicht mehr zu halten, erst in der Sitzung vom 2. Juni gab
ihr Vertreter seine Erklärung zu Gunsten Oldenburgs ab. Ja selbst dann ver¬
suchte sie das Protokoll noch zu retten. Am 16. Juni rieth der russische Ge¬
sandte in Kopenhagen dem König Christian, die Theilungslinie Apenrade-Ton¬
dern anzunehmen; Schleswig südlich von dieser Linie solle mit Holstein ver¬
bunden, Nordschleswig Dänemark einverleibt werden; willige der König in dieses
Arrangement, so würde Nußland sich bemühen, daß Südschleswig und Holstein


ihm gewollten Gesammtstaat Dänemark den damaligen Erbgroßhcrzog von
Oldenburg vor, wogegen Oldenburg dem Herzog von Augustenburg übergeben
werden sollte. Der Erbgroßherzog, jetzt Großherzog, Peter erklärte seine Be¬
reitwilligkeit, den gesammtstaatlichen Thron anzunehmen, wofern 1) die Rechte
der Herzogthümer aufrecht erhalten würden, 2) die Agnaten dieses Arrangement
guthießen, 3) der Bruder des Erbgroßherzogs Oldenburg bekäme. Für eine
Trennung der Herzogthümer von Dänemark hatte er kein Wort; mit der ersten
seiner Bedingungen war allerhöchstens die Personalunion gemeint, und da Ru߬
land diese damals nicht wollte, weil die Dänen entschieden gegen sie waren;
da Nußland ferner über Oldenburg anders disponirt haben wollte, so zerschlug
sich die Combination und ein anderer Candidat wurde erkoren. Die Denkschrift
deutet serner an, daß die Aufhebung des londoner Protokolls vorzüglich dem
Verhalten Rußlands auf der Konferenz zuzuschreiben sei. Sie sagt in dieser
Beziehung: „Nach der Cession von Kissingen ertheilte Rußland, bisher Eng¬
lands treuester Alliirter und Dänemarks bester Schutz auf der Konferenz, plötz¬
lich und unerwartet der dänischen Negierung den Nath, die von den deutschen
Großmächten geforderte Theilungslinie Apenrade-Tondern anzunehmen und
führte dadurch eine Ministerkrisis herbei. England stimmte ebenso plötzlich und
unerwartet seinen Ton gegenüber den deutschen Großmächten bedeutend herab,
und es wird wohl mit Recht dem Abfall Rußlands zugeschrieben, wenn diese
Macht trotz ihrer kriegerischen Drohungen, trotz des Lärms ihrer Presse, trotz
der im Lande herrschenden Erregung der öffentlichen Meinung sich entschloß,
auch der weiteren Entwickelung des Schleswig-holsteinischen Conflicts gegenüber
unthätig zu bleiben."

Was man nicht alles behaupten kann, wenn man vergißt, daß in England
Blaubücher existiren! Aus den Blaubüchern lesen wir einen ganz anderen Her¬
gang heraus. Nicht durch Nußland, sondern durch die Erklärung der deutschen
Bevollmächtigten in der Sitzung der Conferenz vom 28. Mai und durch den
darauf folgenden englischen, von Frankreich unterstützten Vorschlag einer Thei¬
lungslinie zwischen der Schlei und Husum wurde der Umschwung herbeigeführt,
welchen die Denkschrift von Rußland veranlaßt sein läßt. Der russische Bevoll¬
mächtigte hat dazu nicht nur nichts beigetragen, sondern gegen dieses Fallen¬
lassen des londoner Protokolls protestirt, und erst als die Petersburger Politik
fand, daß letzteres nicht mehr zu halten, erst in der Sitzung vom 2. Juni gab
ihr Vertreter seine Erklärung zu Gunsten Oldenburgs ab. Ja selbst dann ver¬
suchte sie das Protokoll noch zu retten. Am 16. Juni rieth der russische Ge¬
sandte in Kopenhagen dem König Christian, die Theilungslinie Apenrade-Ton¬
dern anzunehmen; Schleswig südlich von dieser Linie solle mit Holstein ver¬
bunden, Nordschleswig Dänemark einverleibt werden; willige der König in dieses
Arrangement, so würde Nußland sich bemühen, daß Südschleswig und Holstein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/140>, abgerufen am 01.10.2024.