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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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nossen ganz unabhängig war. So blieben also innerhalb der Gesammtheit der
Milites alle in der That bestehenden Unterschiede flüssig. Daß aber diese
unter sich durch ein gemeinsames Band verknüpfte Gesammtheit sich nicht
nach unten hin kastenartig gegen die Masse der Bevölkerung absolut abschloß,
zu diesem großen Ergebniß haben mehre Ursachen mitgewirkt. Zunächst
der Mangel aller nutzbaren Privilegien und Hoheitsrechte für die höheren
Classen.

Der Gedanke, daß es ein Adelsvorrecht sei, weniger Steuern zu zahlen
als die übrige Bevölkerung, konnte unter den strengen normannischen Herren,
die an denjenigen, der am meisten besaß, auch die größten Ansprüche machten, gar
nicht aufkommen. Eine misera ooirtridueus pieds hat es in England nicht
gegeben. Dazu kam ferner die ununterbrochene und lebendige Verbindung, die
der Gerichts- und Polizcidienst der Grafschaft zwischen allen Classen der freien
Bevölkerung anknüpfte und erhielt; wo der Ritter, und zwar stets im Namen
des Königs, unausgesetzt dieselben oder ähnliche Amtspflichten wie jeder Frei¬
sasse zu erfüllen hatte, mußte das nach Isolirun.z strebende Standesbewußtsein
zurücktreten vor der Verantwortlichkeit, die mit jeder auferlegten Dienstpflicht
nothwendig verbunden ist. So wurde in den höheren Classen früh das Gefühl
erweckt und unerschütterlich befestigt, daß die Standesehre ein Gut sei, das
durch strenge und ernste Bethätigung für das Gemeinwohl stets neu erworben
werden-müsse, und daß erst die Erfüllung der Pflichten Rechte begründe. Es
kommt aber noch ein Moment hinzu, welches die Annäherung des niederen
Adels an die Mittelclassen förderte. Rechtlich, sahen wir. haben sich allmälig
die Unterschiede unter den verschiedenen Classen der Vasallen ausgeglichen. Aber
der thatsächliche Unterschied zwischen großen und mächtigen Herren und kleinen
Rittergutsbesitzern ließ sich doch nicht vollkommen ausgleichen. Auch war die
Bedeutung der großen Barone in Folge ihrer größeren Fähigkeit, die Kriegs¬
lasten zu tragen, so überwiegend, daß dieselben, nicht minder wie die hohe
Geistlichkeit, zu dem Könige in ein ganz anderes Verhältniß traten als die
Masse der Ritterschaft. Damit war der Ausgangspunkt für die Bildung eines
hohen Adels gewonnen. Je mehr diese Standesbildung fortschreitet, um so
Mehr ist der niedere Adel darauf angewiesen, dem Mittelstande, dem er an Reich¬
thum viel näher stand als den großen Herren, sich anzuschließen.

Von bedeutendem Einfluß auf diesen Verschmelzungsproceß war natürlich
das nahe Zusammenleben der verschiedenen Stände in den Städten, die selbst
wieder der Landbevölkerung viel näher standen, als auf dem Continente. Eine
wirklich politische Bedeutung gewinnen diese neuen Bildungen aber erst in der
reichsständischen Periode unter den Plantagcncts.

Alle Einrichtungen der ersten normannischen Könige trugen dazu bei, der
königlichen Gewalt eine Fülle ausgedehnter Befugnisse zu geben, die sehr von


Grenjboten IV. 1864. 17

nossen ganz unabhängig war. So blieben also innerhalb der Gesammtheit der
Milites alle in der That bestehenden Unterschiede flüssig. Daß aber diese
unter sich durch ein gemeinsames Band verknüpfte Gesammtheit sich nicht
nach unten hin kastenartig gegen die Masse der Bevölkerung absolut abschloß,
zu diesem großen Ergebniß haben mehre Ursachen mitgewirkt. Zunächst
der Mangel aller nutzbaren Privilegien und Hoheitsrechte für die höheren
Classen.

Der Gedanke, daß es ein Adelsvorrecht sei, weniger Steuern zu zahlen
als die übrige Bevölkerung, konnte unter den strengen normannischen Herren,
die an denjenigen, der am meisten besaß, auch die größten Ansprüche machten, gar
nicht aufkommen. Eine misera ooirtridueus pieds hat es in England nicht
gegeben. Dazu kam ferner die ununterbrochene und lebendige Verbindung, die
der Gerichts- und Polizcidienst der Grafschaft zwischen allen Classen der freien
Bevölkerung anknüpfte und erhielt; wo der Ritter, und zwar stets im Namen
des Königs, unausgesetzt dieselben oder ähnliche Amtspflichten wie jeder Frei¬
sasse zu erfüllen hatte, mußte das nach Isolirun.z strebende Standesbewußtsein
zurücktreten vor der Verantwortlichkeit, die mit jeder auferlegten Dienstpflicht
nothwendig verbunden ist. So wurde in den höheren Classen früh das Gefühl
erweckt und unerschütterlich befestigt, daß die Standesehre ein Gut sei, das
durch strenge und ernste Bethätigung für das Gemeinwohl stets neu erworben
werden-müsse, und daß erst die Erfüllung der Pflichten Rechte begründe. Es
kommt aber noch ein Moment hinzu, welches die Annäherung des niederen
Adels an die Mittelclassen förderte. Rechtlich, sahen wir. haben sich allmälig
die Unterschiede unter den verschiedenen Classen der Vasallen ausgeglichen. Aber
der thatsächliche Unterschied zwischen großen und mächtigen Herren und kleinen
Rittergutsbesitzern ließ sich doch nicht vollkommen ausgleichen. Auch war die
Bedeutung der großen Barone in Folge ihrer größeren Fähigkeit, die Kriegs¬
lasten zu tragen, so überwiegend, daß dieselben, nicht minder wie die hohe
Geistlichkeit, zu dem Könige in ein ganz anderes Verhältniß traten als die
Masse der Ritterschaft. Damit war der Ausgangspunkt für die Bildung eines
hohen Adels gewonnen. Je mehr diese Standesbildung fortschreitet, um so
Mehr ist der niedere Adel darauf angewiesen, dem Mittelstande, dem er an Reich¬
thum viel näher stand als den großen Herren, sich anzuschließen.

Von bedeutendem Einfluß auf diesen Verschmelzungsproceß war natürlich
das nahe Zusammenleben der verschiedenen Stände in den Städten, die selbst
wieder der Landbevölkerung viel näher standen, als auf dem Continente. Eine
wirklich politische Bedeutung gewinnen diese neuen Bildungen aber erst in der
reichsständischen Periode unter den Plantagcncts.

Alle Einrichtungen der ersten normannischen Könige trugen dazu bei, der
königlichen Gewalt eine Fülle ausgedehnter Befugnisse zu geben, die sehr von


Grenjboten IV. 1864. 17
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[0133] nossen ganz unabhängig war. So blieben also innerhalb der Gesammtheit der Milites alle in der That bestehenden Unterschiede flüssig. Daß aber diese unter sich durch ein gemeinsames Band verknüpfte Gesammtheit sich nicht nach unten hin kastenartig gegen die Masse der Bevölkerung absolut abschloß, zu diesem großen Ergebniß haben mehre Ursachen mitgewirkt. Zunächst der Mangel aller nutzbaren Privilegien und Hoheitsrechte für die höheren Classen. Der Gedanke, daß es ein Adelsvorrecht sei, weniger Steuern zu zahlen als die übrige Bevölkerung, konnte unter den strengen normannischen Herren, die an denjenigen, der am meisten besaß, auch die größten Ansprüche machten, gar nicht aufkommen. Eine misera ooirtridueus pieds hat es in England nicht gegeben. Dazu kam ferner die ununterbrochene und lebendige Verbindung, die der Gerichts- und Polizcidienst der Grafschaft zwischen allen Classen der freien Bevölkerung anknüpfte und erhielt; wo der Ritter, und zwar stets im Namen des Königs, unausgesetzt dieselben oder ähnliche Amtspflichten wie jeder Frei¬ sasse zu erfüllen hatte, mußte das nach Isolirun.z strebende Standesbewußtsein zurücktreten vor der Verantwortlichkeit, die mit jeder auferlegten Dienstpflicht nothwendig verbunden ist. So wurde in den höheren Classen früh das Gefühl erweckt und unerschütterlich befestigt, daß die Standesehre ein Gut sei, das durch strenge und ernste Bethätigung für das Gemeinwohl stets neu erworben werden-müsse, und daß erst die Erfüllung der Pflichten Rechte begründe. Es kommt aber noch ein Moment hinzu, welches die Annäherung des niederen Adels an die Mittelclassen förderte. Rechtlich, sahen wir. haben sich allmälig die Unterschiede unter den verschiedenen Classen der Vasallen ausgeglichen. Aber der thatsächliche Unterschied zwischen großen und mächtigen Herren und kleinen Rittergutsbesitzern ließ sich doch nicht vollkommen ausgleichen. Auch war die Bedeutung der großen Barone in Folge ihrer größeren Fähigkeit, die Kriegs¬ lasten zu tragen, so überwiegend, daß dieselben, nicht minder wie die hohe Geistlichkeit, zu dem Könige in ein ganz anderes Verhältniß traten als die Masse der Ritterschaft. Damit war der Ausgangspunkt für die Bildung eines hohen Adels gewonnen. Je mehr diese Standesbildung fortschreitet, um so Mehr ist der niedere Adel darauf angewiesen, dem Mittelstande, dem er an Reich¬ thum viel näher stand als den großen Herren, sich anzuschließen. Von bedeutendem Einfluß auf diesen Verschmelzungsproceß war natürlich das nahe Zusammenleben der verschiedenen Stände in den Städten, die selbst wieder der Landbevölkerung viel näher standen, als auf dem Continente. Eine wirklich politische Bedeutung gewinnen diese neuen Bildungen aber erst in der reichsständischen Periode unter den Plantagcncts. Alle Einrichtungen der ersten normannischen Könige trugen dazu bei, der königlichen Gewalt eine Fülle ausgedehnter Befugnisse zu geben, die sehr von Grenjboten IV. 1864. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/133>, abgerufen am 01.10.2024.