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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Hier am Thore sowohl wie an dem dicht davor gelegenen Vorwerk stand alte
französische Garde, welche die Gebäude mit Schießscharten versehen und die Ein¬
gänge zu denselben verbcmikadirt hatte.

Die anstürmenden Truppen der Brigade Vorfielt -- das pommersche Gre-
nadierbataillvn unter dem Major von Romberg und das erste pommersche In¬
fanterieregiment -- hatten im Verlauf der heißen Arbeit bis zur Erstürmung
des Hintcrthores große Verluste.

Hier wie am grimmaisehen Thore mußte die Theilnahme der Artillerie
schwer vermißt werden; es war daher auch hier die gegen die Stadt Leipzig
beobachtete "Humanitätsrücksicht" die Ursache zu so großen Menschenopfern.

Wenn nun das königsberger Landwehrbataillon unter dem Major Friccius
bei Erstürmung des äußeren grirnmaischen Thores und mit Inbegriff der
am 18. October bei Seller Hausen Gefallenen und Verwundeten einen Gesammt-
verlust von 6 Offizieren und 177 Unteroffizieren und Gemeinen zu beklagen
hatte, so kommt der Verlust der Truppen, welche das Milchinselvvrwerk und
das Hinterthor erstürmten, dem ziemlich gleich, woraus denn hervorgeht, daß
die Erstürmung des Hintertbors nicht minder schwierig gewesen, als die Er¬
stürmung des grimmaischen. Diese letztere That aber ist immer über alles her¬
vorgehoben worden während der Erstürmung des Hintcrthores in der Regel
nur oberflächliche oder gar leine Erwähnung geschenkt wird. Wenn man also
so oft von Verkürzung des Verdienstes der Landwehr spricht, so muß nicht ver¬
gessen werden, daß hier einmal das Gegentheil der Fall ist, und daß man den
braven Pommern in der Schätzung ihres Antheils am Siege nicht gerecht ge¬
worden ist. Der jetzige Besitzer der Milchinsel, Herr Dr. Karl Lampe, hat das
schöne Verdienst, die Sühne für dieses Unrecht der öffentlichen Meinung dadurch
vollzogen zu haben, daß er den auf seinem Grundstücke gefallenen Kämpfern
in dem sogenannten "Kugcldcnkmal" ein Monument errichtete.

Um aber die oben ausgesprochene Behauptung, daß pommersche Truppen-
theile früher in die Stadt eingedrungen seien als die stürmenden am grim¬
maischen Thore näher zu begründen, möge es mir gestattet sein, die mir kürz¬
lich während meiner Anwesenheit in Leipzig gewordenen Mittheilungen von zehn
Veteranen des pommerschen Grcnadierbataillons und des ersten pommerschen
Infanterieregiments, welche sämmtlich bei der Erstürmung der Stadt Leipzig
betheiligt gewesen waren, hier folgen zu lassen.

Der Wortführer derselben war der Veteranen-Unteroffizier. Ritter des eiser¬
nen Kreuzes Eicke. gegenwärtig in Prenzlau wohnhaft. Dieser sehr verstän¬
dige Mann erzählte mir im Beisein seiner neun Kameraden ungefähr Folgendes:

"Aus dein Bivouak bei Paunsdorf brach unsere Brigade -- Borstell --
c"n 19. October als es Tag geworden gegen Leipzig auf.

Nachdem die Vorstadt "Kohlgarten" und das Dorf Raudnitz Von den da-


Hier am Thore sowohl wie an dem dicht davor gelegenen Vorwerk stand alte
französische Garde, welche die Gebäude mit Schießscharten versehen und die Ein¬
gänge zu denselben verbcmikadirt hatte.

Die anstürmenden Truppen der Brigade Vorfielt — das pommersche Gre-
nadierbataillvn unter dem Major von Romberg und das erste pommersche In¬
fanterieregiment — hatten im Verlauf der heißen Arbeit bis zur Erstürmung
des Hintcrthores große Verluste.

Hier wie am grimmaisehen Thore mußte die Theilnahme der Artillerie
schwer vermißt werden; es war daher auch hier die gegen die Stadt Leipzig
beobachtete „Humanitätsrücksicht" die Ursache zu so großen Menschenopfern.

Wenn nun das königsberger Landwehrbataillon unter dem Major Friccius
bei Erstürmung des äußeren grirnmaischen Thores und mit Inbegriff der
am 18. October bei Seller Hausen Gefallenen und Verwundeten einen Gesammt-
verlust von 6 Offizieren und 177 Unteroffizieren und Gemeinen zu beklagen
hatte, so kommt der Verlust der Truppen, welche das Milchinselvvrwerk und
das Hinterthor erstürmten, dem ziemlich gleich, woraus denn hervorgeht, daß
die Erstürmung des Hintertbors nicht minder schwierig gewesen, als die Er¬
stürmung des grimmaischen. Diese letztere That aber ist immer über alles her¬
vorgehoben worden während der Erstürmung des Hintcrthores in der Regel
nur oberflächliche oder gar leine Erwähnung geschenkt wird. Wenn man also
so oft von Verkürzung des Verdienstes der Landwehr spricht, so muß nicht ver¬
gessen werden, daß hier einmal das Gegentheil der Fall ist, und daß man den
braven Pommern in der Schätzung ihres Antheils am Siege nicht gerecht ge¬
worden ist. Der jetzige Besitzer der Milchinsel, Herr Dr. Karl Lampe, hat das
schöne Verdienst, die Sühne für dieses Unrecht der öffentlichen Meinung dadurch
vollzogen zu haben, daß er den auf seinem Grundstücke gefallenen Kämpfern
in dem sogenannten „Kugcldcnkmal" ein Monument errichtete.

Um aber die oben ausgesprochene Behauptung, daß pommersche Truppen-
theile früher in die Stadt eingedrungen seien als die stürmenden am grim¬
maischen Thore näher zu begründen, möge es mir gestattet sein, die mir kürz¬
lich während meiner Anwesenheit in Leipzig gewordenen Mittheilungen von zehn
Veteranen des pommerschen Grcnadierbataillons und des ersten pommerschen
Infanterieregiments, welche sämmtlich bei der Erstürmung der Stadt Leipzig
betheiligt gewesen waren, hier folgen zu lassen.

Der Wortführer derselben war der Veteranen-Unteroffizier. Ritter des eiser¬
nen Kreuzes Eicke. gegenwärtig in Prenzlau wohnhaft. Dieser sehr verstän¬
dige Mann erzählte mir im Beisein seiner neun Kameraden ungefähr Folgendes:

„Aus dein Bivouak bei Paunsdorf brach unsere Brigade — Borstell —
c»n 19. October als es Tag geworden gegen Leipzig auf.

Nachdem die Vorstadt „Kohlgarten" und das Dorf Raudnitz Von den da-


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[0115] Hier am Thore sowohl wie an dem dicht davor gelegenen Vorwerk stand alte französische Garde, welche die Gebäude mit Schießscharten versehen und die Ein¬ gänge zu denselben verbcmikadirt hatte. Die anstürmenden Truppen der Brigade Vorfielt — das pommersche Gre- nadierbataillvn unter dem Major von Romberg und das erste pommersche In¬ fanterieregiment — hatten im Verlauf der heißen Arbeit bis zur Erstürmung des Hintcrthores große Verluste. Hier wie am grimmaisehen Thore mußte die Theilnahme der Artillerie schwer vermißt werden; es war daher auch hier die gegen die Stadt Leipzig beobachtete „Humanitätsrücksicht" die Ursache zu so großen Menschenopfern. Wenn nun das königsberger Landwehrbataillon unter dem Major Friccius bei Erstürmung des äußeren grirnmaischen Thores und mit Inbegriff der am 18. October bei Seller Hausen Gefallenen und Verwundeten einen Gesammt- verlust von 6 Offizieren und 177 Unteroffizieren und Gemeinen zu beklagen hatte, so kommt der Verlust der Truppen, welche das Milchinselvvrwerk und das Hinterthor erstürmten, dem ziemlich gleich, woraus denn hervorgeht, daß die Erstürmung des Hintertbors nicht minder schwierig gewesen, als die Er¬ stürmung des grimmaischen. Diese letztere That aber ist immer über alles her¬ vorgehoben worden während der Erstürmung des Hintcrthores in der Regel nur oberflächliche oder gar leine Erwähnung geschenkt wird. Wenn man also so oft von Verkürzung des Verdienstes der Landwehr spricht, so muß nicht ver¬ gessen werden, daß hier einmal das Gegentheil der Fall ist, und daß man den braven Pommern in der Schätzung ihres Antheils am Siege nicht gerecht ge¬ worden ist. Der jetzige Besitzer der Milchinsel, Herr Dr. Karl Lampe, hat das schöne Verdienst, die Sühne für dieses Unrecht der öffentlichen Meinung dadurch vollzogen zu haben, daß er den auf seinem Grundstücke gefallenen Kämpfern in dem sogenannten „Kugcldcnkmal" ein Monument errichtete. Um aber die oben ausgesprochene Behauptung, daß pommersche Truppen- theile früher in die Stadt eingedrungen seien als die stürmenden am grim¬ maischen Thore näher zu begründen, möge es mir gestattet sein, die mir kürz¬ lich während meiner Anwesenheit in Leipzig gewordenen Mittheilungen von zehn Veteranen des pommerschen Grcnadierbataillons und des ersten pommerschen Infanterieregiments, welche sämmtlich bei der Erstürmung der Stadt Leipzig betheiligt gewesen waren, hier folgen zu lassen. Der Wortführer derselben war der Veteranen-Unteroffizier. Ritter des eiser¬ nen Kreuzes Eicke. gegenwärtig in Prenzlau wohnhaft. Dieser sehr verstän¬ dige Mann erzählte mir im Beisein seiner neun Kameraden ungefähr Folgendes: „Aus dein Bivouak bei Paunsdorf brach unsere Brigade — Borstell — c»n 19. October als es Tag geworden gegen Leipzig auf. Nachdem die Vorstadt „Kohlgarten" und das Dorf Raudnitz Von den da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/115>, abgerufen am 03.07.2024.