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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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nach und erreichte etwa im Verlauf einer Stunde die östlich vor Leipzig be-
legene "Kohlgartenvorstadt". Dort bei einer dicht an die Landstraße stoßenden
kleinen Kirche machte die Brigade Krafft Halt.

Von diesem Standorte aus hatten wir die Stadt Leipzig und insbesondere
das äußere grimmaische Thor und die Stadtmauer aus etwa 1300 Schritt vor
Augen; denn damals war das Feld zwischen der erwähnten Kirche und der
Stadt noch nicht mit Häusern bebaut. Wir konnten daher alles, was sich
diesseits der Mauer ereignete, genau beobachten.

Wir sahen, daß unmittelbar dem Thor gegenüber zwei Batterien, eine
preußische und eine russische, placirt waren, welche die außerhalb des Thores
aufgestellten feindlichen Truppen und Geschütze aus einer ziemlich weiten Ent¬
fernung beschossen. In der Nähe dieser Batterien waren mehre Bataillone
aufgestellt.

Nach einer Weile gegenseitigen Geschützfcuers zog sich der Feind in das
Innere des Thores zurück, ließ jedoch ein Paar seiner Geschütze, welche demon-
tirt sein mochten, außerhalb des Thores stehen.

Der Zurückgang des Feindes gab unsrerseits Veranlassung, eine Abtheilung,
die unsrem Ucberschlage nach ein Bataillon betragen mochte, stürmend gegen
das Thor vorzuführen. Es war, wie wir später erfuhren, das Landwchr-
bataiilon Friccius.

Das Bataillon ging unter Trommelschlag gegen das Thor, erhielt jedoch
aus den in der Mauer angebrachten Schießlöchern sowie aus einem die Mauer
überragenden Hause, dem Armenhause, ja sogar von dem benachbarten Johannis-
thurm, ein sehr heftiges Gewehrfeuer, welches, wie wir deutlich sahen, seinen
bösen Erfolg nicht verfehlte.

Wir Artilleristen, die wir dies Gefecht mit aller Ruhe aus der Ferne de-
"beichteten, waren der Meinung, daß die vorerwähnten beiden Batterien aus
zu weiter Ferne operirt und daß mithin die Wirkung der Geschütze gegen das
Thor und die Stadtmauer eine ungenügende gewesen sei.

Das stürmend vorschreitende Bataillon mußte daher auf einen die Kräfte
desselben überbietendem Widerstand stoßen.

Ueber die Wirkung der Artillerie war ma" aber damals, namentlich in
den anderen Waffengattungen, noch sehr im Unklaren. Auch heutzutage be¬
gegnet man noch viel zu oft in dieser Hinsicht übertriebenen Vorstellungen.

Will man den Sturmangriff gegen ein verrammeltes Thor und gegen eine
mit Schießscharten versehene Stadtmauer mit Erfolg vorbereiten, so genügt es
nicht, eine Anzahl Geschütze aus weiter Ferne eine gewisse Zahl Kugeln ab¬
schießen zu lassen.

Die Geschütze, welche den Sturm präpariren sollen -- ich rede hier natür¬
lich nur von nicht-gezogenen Geschützen -- müssen zu diesem Behuf mindestens


Grenzboten IV. 1804. 14

nach und erreichte etwa im Verlauf einer Stunde die östlich vor Leipzig be-
legene „Kohlgartenvorstadt". Dort bei einer dicht an die Landstraße stoßenden
kleinen Kirche machte die Brigade Krafft Halt.

Von diesem Standorte aus hatten wir die Stadt Leipzig und insbesondere
das äußere grimmaische Thor und die Stadtmauer aus etwa 1300 Schritt vor
Augen; denn damals war das Feld zwischen der erwähnten Kirche und der
Stadt noch nicht mit Häusern bebaut. Wir konnten daher alles, was sich
diesseits der Mauer ereignete, genau beobachten.

Wir sahen, daß unmittelbar dem Thor gegenüber zwei Batterien, eine
preußische und eine russische, placirt waren, welche die außerhalb des Thores
aufgestellten feindlichen Truppen und Geschütze aus einer ziemlich weiten Ent¬
fernung beschossen. In der Nähe dieser Batterien waren mehre Bataillone
aufgestellt.

Nach einer Weile gegenseitigen Geschützfcuers zog sich der Feind in das
Innere des Thores zurück, ließ jedoch ein Paar seiner Geschütze, welche demon-
tirt sein mochten, außerhalb des Thores stehen.

Der Zurückgang des Feindes gab unsrerseits Veranlassung, eine Abtheilung,
die unsrem Ucberschlage nach ein Bataillon betragen mochte, stürmend gegen
das Thor vorzuführen. Es war, wie wir später erfuhren, das Landwchr-
bataiilon Friccius.

Das Bataillon ging unter Trommelschlag gegen das Thor, erhielt jedoch
aus den in der Mauer angebrachten Schießlöchern sowie aus einem die Mauer
überragenden Hause, dem Armenhause, ja sogar von dem benachbarten Johannis-
thurm, ein sehr heftiges Gewehrfeuer, welches, wie wir deutlich sahen, seinen
bösen Erfolg nicht verfehlte.

Wir Artilleristen, die wir dies Gefecht mit aller Ruhe aus der Ferne de-
»beichteten, waren der Meinung, daß die vorerwähnten beiden Batterien aus
zu weiter Ferne operirt und daß mithin die Wirkung der Geschütze gegen das
Thor und die Stadtmauer eine ungenügende gewesen sei.

Das stürmend vorschreitende Bataillon mußte daher auf einen die Kräfte
desselben überbietendem Widerstand stoßen.

Ueber die Wirkung der Artillerie war ma» aber damals, namentlich in
den anderen Waffengattungen, noch sehr im Unklaren. Auch heutzutage be¬
gegnet man noch viel zu oft in dieser Hinsicht übertriebenen Vorstellungen.

Will man den Sturmangriff gegen ein verrammeltes Thor und gegen eine
mit Schießscharten versehene Stadtmauer mit Erfolg vorbereiten, so genügt es
nicht, eine Anzahl Geschütze aus weiter Ferne eine gewisse Zahl Kugeln ab¬
schießen zu lassen.

Die Geschütze, welche den Sturm präpariren sollen — ich rede hier natür¬
lich nur von nicht-gezogenen Geschützen — müssen zu diesem Behuf mindestens


Grenzboten IV. 1804. 14
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[0109] nach und erreichte etwa im Verlauf einer Stunde die östlich vor Leipzig be- legene „Kohlgartenvorstadt". Dort bei einer dicht an die Landstraße stoßenden kleinen Kirche machte die Brigade Krafft Halt. Von diesem Standorte aus hatten wir die Stadt Leipzig und insbesondere das äußere grimmaische Thor und die Stadtmauer aus etwa 1300 Schritt vor Augen; denn damals war das Feld zwischen der erwähnten Kirche und der Stadt noch nicht mit Häusern bebaut. Wir konnten daher alles, was sich diesseits der Mauer ereignete, genau beobachten. Wir sahen, daß unmittelbar dem Thor gegenüber zwei Batterien, eine preußische und eine russische, placirt waren, welche die außerhalb des Thores aufgestellten feindlichen Truppen und Geschütze aus einer ziemlich weiten Ent¬ fernung beschossen. In der Nähe dieser Batterien waren mehre Bataillone aufgestellt. Nach einer Weile gegenseitigen Geschützfcuers zog sich der Feind in das Innere des Thores zurück, ließ jedoch ein Paar seiner Geschütze, welche demon- tirt sein mochten, außerhalb des Thores stehen. Der Zurückgang des Feindes gab unsrerseits Veranlassung, eine Abtheilung, die unsrem Ucberschlage nach ein Bataillon betragen mochte, stürmend gegen das Thor vorzuführen. Es war, wie wir später erfuhren, das Landwchr- bataiilon Friccius. Das Bataillon ging unter Trommelschlag gegen das Thor, erhielt jedoch aus den in der Mauer angebrachten Schießlöchern sowie aus einem die Mauer überragenden Hause, dem Armenhause, ja sogar von dem benachbarten Johannis- thurm, ein sehr heftiges Gewehrfeuer, welches, wie wir deutlich sahen, seinen bösen Erfolg nicht verfehlte. Wir Artilleristen, die wir dies Gefecht mit aller Ruhe aus der Ferne de- »beichteten, waren der Meinung, daß die vorerwähnten beiden Batterien aus zu weiter Ferne operirt und daß mithin die Wirkung der Geschütze gegen das Thor und die Stadtmauer eine ungenügende gewesen sei. Das stürmend vorschreitende Bataillon mußte daher auf einen die Kräfte desselben überbietendem Widerstand stoßen. Ueber die Wirkung der Artillerie war ma» aber damals, namentlich in den anderen Waffengattungen, noch sehr im Unklaren. Auch heutzutage be¬ gegnet man noch viel zu oft in dieser Hinsicht übertriebenen Vorstellungen. Will man den Sturmangriff gegen ein verrammeltes Thor und gegen eine mit Schießscharten versehene Stadtmauer mit Erfolg vorbereiten, so genügt es nicht, eine Anzahl Geschütze aus weiter Ferne eine gewisse Zahl Kugeln ab¬ schießen zu lassen. Die Geschütze, welche den Sturm präpariren sollen — ich rede hier natür¬ lich nur von nicht-gezogenen Geschützen — müssen zu diesem Behuf mindestens Grenzboten IV. 1804. 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/109>, abgerufen am 01.10.2024.