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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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weise an den paulinischen Briefen genau controliren können. Die Vertauschung
der Rollen ist vollständig. Nicht nur sprechen sich die Säulenapostel ganz in
paulinischen Sinne aus, nicht nur tauft Petrus vor dem Auftreten des Pau¬
lus den ersten Heiden mit Zustimmung der jerusalcmischen Gemeinde, sondern
Paulus, damit die Judenchristen kein Arg mehr an ihm fänden, wird zu einem
gcsctzesfrommcn Jsraeliten gemacht! Er muß den Heidenchristen Timotheus
selber beschneiden, muß trotz dringender Geschäfte die herkömmliche Reise nach
Jerusalem machen, muß Gelübde übelnehmen, ausdrücklich um der Verläum-
dung, daß er Abfall vom Gesetz lebse. entgegenzuwirken, muß immer zu¬
erst den Juden predigen und darf nur gezwungen durch ihren Unglauben oder
getrieben durch besondere göttliche Befehle sich an die Heiden wenden. Kurz,
es ist die völlige Umkehrung der Geschichte, um den Paulus und seine Sache
den Judenchristen zu empfehlen und zugleich den Pauliuern eine solche Ansicht
sowohl von Petrus als von Paulus beizubringen, die sie einer Verständigung
mit den Judenchristen geneigt machte.

Was der Verfasser der Apostelgeschichte durch seine Darstellung erst an¬
strebt, die Gleichstellung der beiden Apostel, das sehen wir gegen das Ende
des zweiten Jahrhunderts wirtlich erreicht. Die Stifter der Kirche, Petrus und
Paulus, haben sich jetzt als Brüder gegenseitig anerkannt und sich die Hand
zum Frieden gereicht.

Schon bei Jrcncius und Tertullian gilt es als eine feststehende Thatsache,
daß die römische Gemeinde, die jetzt bereits die angesehenste war, von den bei¬
den glorreichsten Aposteln gemeinschaftlich begründet worden sei. Jede Erinne¬
rung an den Zwiespalt ist jetzt aus dem Gedächtniß verlöscht, dir Autorität beider
steht gleich fest, und eben aus ihrem einmüthigen Zusammenwirken ist die Kirche
begründet.

Dennoch verleugnete sich die dominirende Stellung des Judenchristenthums
auch jetzt nicht. Dem Petrus wurde doch immer wieder ein kleiner Vorzug
eingeräumt. Der eigentliche Apostel der römischen Gemeinde sollte doch Petrus
gewesen sein, der in Wahrheit niemals in Rom war. Schon im Anfang des
dritten Jahrhunderts zeigte man, in Rom die Stätten, wo beide als Märtyrer
gestorben waren und ihre Ruhe gefunden hatten, aber es ist bezeichnend, daß
man das Grab des Petrus an den Fuß des Vatican, an die Trümmer des ne-
rvmschen Circus verlegte, wo sich dann später die stolze Basilica zu Sanct Pe¬
ter erhob, während Paulus seine Ruhestätte und seine Basilica am Wege nach
Ostia -- t'uvri 1e murs, fand.

Die herrschende Stellung des Judcnchristenthums behauptete sich indessen
nicht nur darin, daß sie auf diesem persönlichen Gebiet Zugeständnisse von den
Paulinern ertrotzte. Auch in dem Lchrinhalt der Kirche war der Sieg des Pau-
linismus ein sehr prekärer, durch Compromisse erkaufter, und noch mehr setzte


weise an den paulinischen Briefen genau controliren können. Die Vertauschung
der Rollen ist vollständig. Nicht nur sprechen sich die Säulenapostel ganz in
paulinischen Sinne aus, nicht nur tauft Petrus vor dem Auftreten des Pau¬
lus den ersten Heiden mit Zustimmung der jerusalcmischen Gemeinde, sondern
Paulus, damit die Judenchristen kein Arg mehr an ihm fänden, wird zu einem
gcsctzesfrommcn Jsraeliten gemacht! Er muß den Heidenchristen Timotheus
selber beschneiden, muß trotz dringender Geschäfte die herkömmliche Reise nach
Jerusalem machen, muß Gelübde übelnehmen, ausdrücklich um der Verläum-
dung, daß er Abfall vom Gesetz lebse. entgegenzuwirken, muß immer zu¬
erst den Juden predigen und darf nur gezwungen durch ihren Unglauben oder
getrieben durch besondere göttliche Befehle sich an die Heiden wenden. Kurz,
es ist die völlige Umkehrung der Geschichte, um den Paulus und seine Sache
den Judenchristen zu empfehlen und zugleich den Pauliuern eine solche Ansicht
sowohl von Petrus als von Paulus beizubringen, die sie einer Verständigung
mit den Judenchristen geneigt machte.

Was der Verfasser der Apostelgeschichte durch seine Darstellung erst an¬
strebt, die Gleichstellung der beiden Apostel, das sehen wir gegen das Ende
des zweiten Jahrhunderts wirtlich erreicht. Die Stifter der Kirche, Petrus und
Paulus, haben sich jetzt als Brüder gegenseitig anerkannt und sich die Hand
zum Frieden gereicht.

Schon bei Jrcncius und Tertullian gilt es als eine feststehende Thatsache,
daß die römische Gemeinde, die jetzt bereits die angesehenste war, von den bei¬
den glorreichsten Aposteln gemeinschaftlich begründet worden sei. Jede Erinne¬
rung an den Zwiespalt ist jetzt aus dem Gedächtniß verlöscht, dir Autorität beider
steht gleich fest, und eben aus ihrem einmüthigen Zusammenwirken ist die Kirche
begründet.

Dennoch verleugnete sich die dominirende Stellung des Judenchristenthums
auch jetzt nicht. Dem Petrus wurde doch immer wieder ein kleiner Vorzug
eingeräumt. Der eigentliche Apostel der römischen Gemeinde sollte doch Petrus
gewesen sein, der in Wahrheit niemals in Rom war. Schon im Anfang des
dritten Jahrhunderts zeigte man, in Rom die Stätten, wo beide als Märtyrer
gestorben waren und ihre Ruhe gefunden hatten, aber es ist bezeichnend, daß
man das Grab des Petrus an den Fuß des Vatican, an die Trümmer des ne-
rvmschen Circus verlegte, wo sich dann später die stolze Basilica zu Sanct Pe¬
ter erhob, während Paulus seine Ruhestätte und seine Basilica am Wege nach
Ostia — t'uvri 1e murs, fand.

Die herrschende Stellung des Judcnchristenthums behauptete sich indessen
nicht nur darin, daß sie auf diesem persönlichen Gebiet Zugeständnisse von den
Paulinern ertrotzte. Auch in dem Lchrinhalt der Kirche war der Sieg des Pau-
linismus ein sehr prekärer, durch Compromisse erkaufter, und noch mehr setzte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/104>, abgerufen am 01.10.2024.