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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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auf kaiserliche Requisition zum Tode verurtheilt, nicht in Potsdam enthauptet,
ja überhaupt nicht enthauptet worden, und auch in andern wesentlichen Punkten
der oben angeführten Notizen über ihn irrt der Berichterstatter ganz oder theil¬
weise, so daß kaum zuviel, eher zu wenig gesagt ist, wenn wir behaupten, sein
Referat enthalte ungefähr so viel Unrichtigkeiten als Zeilen.

Wie der Gelehrte des Conversationslexikons aus Kleist, so hat dieser ent¬
weder aus Peter Hases märkischer Chronik, oder wahrscheinlicher aus Erzäh¬
lungen Pfuels geschöpft, die der Lectüre von Hases Arbeit entstammten, und
diese mündlichen Mittheilungen mit poetischer Zuthat verarbeitet. Aber selbst
Hases Darstellung ist nichts weniger als genau, und erst jetzt haben wir in
dem soeben erschienenen Schriftchen "Der historische Kohlhase und Hein¬
rich v. Kleists Michael Kohlhaas. Nach neuaufgefundenen Quellen dar¬
gestellt von Dr. C. A. H. Burkhardt" (Leipzig, Vogel) ein wirklich geschicht¬
lich treues und durchgehends befriedigendes Portrait von unserm Helden erhalten,
von dem wir hoffen wollen, daß es den Pseudo-Kohlhase der Fabrikliteratur,
deren Verdienste wir im Uebrigen gern anerkennen, bei den neuen Auflagen
verdrängen wird.

Die Geschichte des echten Kohlhase, von Burkhardt aus Acten, die sich
im Archive des Sachsen-ernestinischen Hauses befinden, geschöpft und durch Notizen
aus den Staatsarchiven in Dresden und Berlin ergänzt, ist in Kurzem folgende:

Am Abend des ersten Octobers des Jahres 1532 erschien vor der Schenke
des Dorfes Wellaune an der wittenberg-leipziger Straße ein fremder Reiters-
mann mit noch einem Pferde, um rasch einen Krug zu leeren und dann weiter
' zu eilen. Verschiedene Umstände erweckten den Verdacht dort zechender Leute
des dasigen Gutsherrn, des Junkers Günther v. Zaschwitz. Man fragte:
"Woher des Weges und wohinaus?" erhielt eine unholde Antwort, fragte
gröber, ließ die Meinung fallen, die Pferde des Fremden wären gestohlen,
und gab so diesem Veranlassung, den betreffenden Bauer weidlich durchzubläuen.
Der Uebermacht weichend, machte sich der Fremde hierauf zu Fuße davon, die
zurückgebliebenen Gäule aber wurden in den Stall des anwesenden Richters
gebracht.

Der Flüchtling war Hans Kohlhase, Kaufmann von Cölln an der
Spree, bis dahin ein gutbeleumundeter, nicht unbegüterter Bürger, der, wie
seine spätere Geschichte zeigt, eine gewisse Bildung, sogar Kenntniß des Latei-
nischen, einen klaren Kopf und eine nicht geringe Gewandtheit der Rede besaß,
und der jetzt nach der leipziger Messe wollte, wohin er seine Waaren, aus
Honig, Speck und Heringen bestehend, über Dommatsch und Eilenburg voraus¬
gesandt hatte. Am 2. October früh traf er daselbst ein, aber nur, um schlechte
Geschäfte zu machen, so daß er mit Verlust loszuschlagen genöthigt war. Miß-
muthig kehrte er am 11. oder 12., mit einem Empfehlungsbrief aus Leipzig


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auf kaiserliche Requisition zum Tode verurtheilt, nicht in Potsdam enthauptet,
ja überhaupt nicht enthauptet worden, und auch in andern wesentlichen Punkten
der oben angeführten Notizen über ihn irrt der Berichterstatter ganz oder theil¬
weise, so daß kaum zuviel, eher zu wenig gesagt ist, wenn wir behaupten, sein
Referat enthalte ungefähr so viel Unrichtigkeiten als Zeilen.

Wie der Gelehrte des Conversationslexikons aus Kleist, so hat dieser ent¬
weder aus Peter Hases märkischer Chronik, oder wahrscheinlicher aus Erzäh¬
lungen Pfuels geschöpft, die der Lectüre von Hases Arbeit entstammten, und
diese mündlichen Mittheilungen mit poetischer Zuthat verarbeitet. Aber selbst
Hases Darstellung ist nichts weniger als genau, und erst jetzt haben wir in
dem soeben erschienenen Schriftchen „Der historische Kohlhase und Hein¬
rich v. Kleists Michael Kohlhaas. Nach neuaufgefundenen Quellen dar¬
gestellt von Dr. C. A. H. Burkhardt" (Leipzig, Vogel) ein wirklich geschicht¬
lich treues und durchgehends befriedigendes Portrait von unserm Helden erhalten,
von dem wir hoffen wollen, daß es den Pseudo-Kohlhase der Fabrikliteratur,
deren Verdienste wir im Uebrigen gern anerkennen, bei den neuen Auflagen
verdrängen wird.

Die Geschichte des echten Kohlhase, von Burkhardt aus Acten, die sich
im Archive des Sachsen-ernestinischen Hauses befinden, geschöpft und durch Notizen
aus den Staatsarchiven in Dresden und Berlin ergänzt, ist in Kurzem folgende:

Am Abend des ersten Octobers des Jahres 1532 erschien vor der Schenke
des Dorfes Wellaune an der wittenberg-leipziger Straße ein fremder Reiters-
mann mit noch einem Pferde, um rasch einen Krug zu leeren und dann weiter
' zu eilen. Verschiedene Umstände erweckten den Verdacht dort zechender Leute
des dasigen Gutsherrn, des Junkers Günther v. Zaschwitz. Man fragte:
„Woher des Weges und wohinaus?" erhielt eine unholde Antwort, fragte
gröber, ließ die Meinung fallen, die Pferde des Fremden wären gestohlen,
und gab so diesem Veranlassung, den betreffenden Bauer weidlich durchzubläuen.
Der Uebermacht weichend, machte sich der Fremde hierauf zu Fuße davon, die
zurückgebliebenen Gäule aber wurden in den Stall des anwesenden Richters
gebracht.

Der Flüchtling war Hans Kohlhase, Kaufmann von Cölln an der
Spree, bis dahin ein gutbeleumundeter, nicht unbegüterter Bürger, der, wie
seine spätere Geschichte zeigt, eine gewisse Bildung, sogar Kenntniß des Latei-
nischen, einen klaren Kopf und eine nicht geringe Gewandtheit der Rede besaß,
und der jetzt nach der leipziger Messe wollte, wohin er seine Waaren, aus
Honig, Speck und Heringen bestehend, über Dommatsch und Eilenburg voraus¬
gesandt hatte. Am 2. October früh traf er daselbst ein, aber nur, um schlechte
Geschäfte zu machen, so daß er mit Verlust loszuschlagen genöthigt war. Miß-
muthig kehrte er am 11. oder 12., mit einem Empfehlungsbrief aus Leipzig


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[0091] auf kaiserliche Requisition zum Tode verurtheilt, nicht in Potsdam enthauptet, ja überhaupt nicht enthauptet worden, und auch in andern wesentlichen Punkten der oben angeführten Notizen über ihn irrt der Berichterstatter ganz oder theil¬ weise, so daß kaum zuviel, eher zu wenig gesagt ist, wenn wir behaupten, sein Referat enthalte ungefähr so viel Unrichtigkeiten als Zeilen. Wie der Gelehrte des Conversationslexikons aus Kleist, so hat dieser ent¬ weder aus Peter Hases märkischer Chronik, oder wahrscheinlicher aus Erzäh¬ lungen Pfuels geschöpft, die der Lectüre von Hases Arbeit entstammten, und diese mündlichen Mittheilungen mit poetischer Zuthat verarbeitet. Aber selbst Hases Darstellung ist nichts weniger als genau, und erst jetzt haben wir in dem soeben erschienenen Schriftchen „Der historische Kohlhase und Hein¬ rich v. Kleists Michael Kohlhaas. Nach neuaufgefundenen Quellen dar¬ gestellt von Dr. C. A. H. Burkhardt" (Leipzig, Vogel) ein wirklich geschicht¬ lich treues und durchgehends befriedigendes Portrait von unserm Helden erhalten, von dem wir hoffen wollen, daß es den Pseudo-Kohlhase der Fabrikliteratur, deren Verdienste wir im Uebrigen gern anerkennen, bei den neuen Auflagen verdrängen wird. Die Geschichte des echten Kohlhase, von Burkhardt aus Acten, die sich im Archive des Sachsen-ernestinischen Hauses befinden, geschöpft und durch Notizen aus den Staatsarchiven in Dresden und Berlin ergänzt, ist in Kurzem folgende: Am Abend des ersten Octobers des Jahres 1532 erschien vor der Schenke des Dorfes Wellaune an der wittenberg-leipziger Straße ein fremder Reiters- mann mit noch einem Pferde, um rasch einen Krug zu leeren und dann weiter ' zu eilen. Verschiedene Umstände erweckten den Verdacht dort zechender Leute des dasigen Gutsherrn, des Junkers Günther v. Zaschwitz. Man fragte: „Woher des Weges und wohinaus?" erhielt eine unholde Antwort, fragte gröber, ließ die Meinung fallen, die Pferde des Fremden wären gestohlen, und gab so diesem Veranlassung, den betreffenden Bauer weidlich durchzubläuen. Der Uebermacht weichend, machte sich der Fremde hierauf zu Fuße davon, die zurückgebliebenen Gäule aber wurden in den Stall des anwesenden Richters gebracht. Der Flüchtling war Hans Kohlhase, Kaufmann von Cölln an der Spree, bis dahin ein gutbeleumundeter, nicht unbegüterter Bürger, der, wie seine spätere Geschichte zeigt, eine gewisse Bildung, sogar Kenntniß des Latei- nischen, einen klaren Kopf und eine nicht geringe Gewandtheit der Rede besaß, und der jetzt nach der leipziger Messe wollte, wohin er seine Waaren, aus Honig, Speck und Heringen bestehend, über Dommatsch und Eilenburg voraus¬ gesandt hatte. Am 2. October früh traf er daselbst ein, aber nur, um schlechte Geschäfte zu machen, so daß er mit Verlust loszuschlagen genöthigt war. Miß- muthig kehrte er am 11. oder 12., mit einem Empfehlungsbrief aus Leipzig 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/91>, abgerufen am 28.09.2024.