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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Ambras Hofer.
i.

Das folgende Charakterbild von Andreas Hofer und den Kämpfen der
Tiroler mit Napoleon und den Bayern ist von einem Tiroler entworfen. Seine
Quellen waren alte Handschriften und wenig bekannt gewordene Schilderungen
von Zeitgenossen des Wirths von Passeier. Wenn das Bild von der her¬
gebrachten Auffassung des Originals wesentlich abweicht, so mag Nachstehendes
zur Erklärung dienen.

Jahrhunderte lang war das Volk der Alpen unter der Zucht seiner Jesui¬
ten aufgewachsen, sie hatten es, wie ihnen noch jetzt ihre Freunde nachrühmen,
streng gehütet vor dem Seelengifte vorwitzigen Wissens, der Berührung mit
den Irrgläubigen, der Sichtung des Aberglaubens, und als Maria Theresia den
herrschsüchtigen Orden aufhob, Joseph der Zweite sein Toleranzpatent verkündete,
den Ceremoniendienst beschränkte, Wallfahrten und Brüderschaften abschaffte, war
großer Jammer im Lande; ja es war, wenn anders jenen Zionswächtern zu glau¬
ben ist, einem Aufstand nahe. Auch zeigen die Beschwerden, die nach des großen
Kaisers Tode auf dem offenen Landtag von 1790 laut wurden, wie mit gerin¬
gen Ausnahmen der alte Krebsschaden sich in das Herz des Volkes eingefressen.
Leopold der Zweite ließ zwar die Bitte um Zurücknahme des Toleranzpatentes
unberücksichtigt, doch sowohl er als Franz der Zweite waren in der Hand¬
habung der neuen Gesetze so nachsichtig, daß die Beschränkungen der geistlichen
Machtvollkommenheit größtentheils nur noch dem Namen nach bestanden, und
als Tirol durch den prcsburgcr Frieden an Bayern überging, war die gute
alte Zeit, die dem Klerus in kirchlichen Dingen möglichst freie Hand ließ, der
Hauptsache noch völlig zurückgekehrt. Dies wollte dem bayerischen Minister
Montgelas wenig gefallen. Tirol sollte sich mit Bayern zu einem einigen Kö'
nigreiche verschmelzen, die Herrschaft des Klerus gebrochen, seine Bildung ge¬
fördert, der Aberglaube dem Volke genommen werden. Ein Rescript vom 16.
April 1806 ordnete die Prüfung der Kleriker vor der Priesterweihe durch welt¬
liche Professoren an, der Geistlichkeit wurde unbedingter Gehorsam in allen
Gegenständen der Kirchcnpolizei aufgetragen, die Verleihung aller geistlichen
Pfründen dem König vorbehalten. Vom Papst dazu ermuntert, widersetzten sich


Grenzboten III. 1864. 1
Ambras Hofer.
i.

Das folgende Charakterbild von Andreas Hofer und den Kämpfen der
Tiroler mit Napoleon und den Bayern ist von einem Tiroler entworfen. Seine
Quellen waren alte Handschriften und wenig bekannt gewordene Schilderungen
von Zeitgenossen des Wirths von Passeier. Wenn das Bild von der her¬
gebrachten Auffassung des Originals wesentlich abweicht, so mag Nachstehendes
zur Erklärung dienen.

Jahrhunderte lang war das Volk der Alpen unter der Zucht seiner Jesui¬
ten aufgewachsen, sie hatten es, wie ihnen noch jetzt ihre Freunde nachrühmen,
streng gehütet vor dem Seelengifte vorwitzigen Wissens, der Berührung mit
den Irrgläubigen, der Sichtung des Aberglaubens, und als Maria Theresia den
herrschsüchtigen Orden aufhob, Joseph der Zweite sein Toleranzpatent verkündete,
den Ceremoniendienst beschränkte, Wallfahrten und Brüderschaften abschaffte, war
großer Jammer im Lande; ja es war, wenn anders jenen Zionswächtern zu glau¬
ben ist, einem Aufstand nahe. Auch zeigen die Beschwerden, die nach des großen
Kaisers Tode auf dem offenen Landtag von 1790 laut wurden, wie mit gerin¬
gen Ausnahmen der alte Krebsschaden sich in das Herz des Volkes eingefressen.
Leopold der Zweite ließ zwar die Bitte um Zurücknahme des Toleranzpatentes
unberücksichtigt, doch sowohl er als Franz der Zweite waren in der Hand¬
habung der neuen Gesetze so nachsichtig, daß die Beschränkungen der geistlichen
Machtvollkommenheit größtentheils nur noch dem Namen nach bestanden, und
als Tirol durch den prcsburgcr Frieden an Bayern überging, war die gute
alte Zeit, die dem Klerus in kirchlichen Dingen möglichst freie Hand ließ, der
Hauptsache noch völlig zurückgekehrt. Dies wollte dem bayerischen Minister
Montgelas wenig gefallen. Tirol sollte sich mit Bayern zu einem einigen Kö'
nigreiche verschmelzen, die Herrschaft des Klerus gebrochen, seine Bildung ge¬
fördert, der Aberglaube dem Volke genommen werden. Ein Rescript vom 16.
April 1806 ordnete die Prüfung der Kleriker vor der Priesterweihe durch welt¬
liche Professoren an, der Geistlichkeit wurde unbedingter Gehorsam in allen
Gegenständen der Kirchcnpolizei aufgetragen, die Verleihung aller geistlichen
Pfründen dem König vorbehalten. Vom Papst dazu ermuntert, widersetzten sich


Grenzboten III. 1864. 1
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[0009] Ambras Hofer. i. Das folgende Charakterbild von Andreas Hofer und den Kämpfen der Tiroler mit Napoleon und den Bayern ist von einem Tiroler entworfen. Seine Quellen waren alte Handschriften und wenig bekannt gewordene Schilderungen von Zeitgenossen des Wirths von Passeier. Wenn das Bild von der her¬ gebrachten Auffassung des Originals wesentlich abweicht, so mag Nachstehendes zur Erklärung dienen. Jahrhunderte lang war das Volk der Alpen unter der Zucht seiner Jesui¬ ten aufgewachsen, sie hatten es, wie ihnen noch jetzt ihre Freunde nachrühmen, streng gehütet vor dem Seelengifte vorwitzigen Wissens, der Berührung mit den Irrgläubigen, der Sichtung des Aberglaubens, und als Maria Theresia den herrschsüchtigen Orden aufhob, Joseph der Zweite sein Toleranzpatent verkündete, den Ceremoniendienst beschränkte, Wallfahrten und Brüderschaften abschaffte, war großer Jammer im Lande; ja es war, wenn anders jenen Zionswächtern zu glau¬ ben ist, einem Aufstand nahe. Auch zeigen die Beschwerden, die nach des großen Kaisers Tode auf dem offenen Landtag von 1790 laut wurden, wie mit gerin¬ gen Ausnahmen der alte Krebsschaden sich in das Herz des Volkes eingefressen. Leopold der Zweite ließ zwar die Bitte um Zurücknahme des Toleranzpatentes unberücksichtigt, doch sowohl er als Franz der Zweite waren in der Hand¬ habung der neuen Gesetze so nachsichtig, daß die Beschränkungen der geistlichen Machtvollkommenheit größtentheils nur noch dem Namen nach bestanden, und als Tirol durch den prcsburgcr Frieden an Bayern überging, war die gute alte Zeit, die dem Klerus in kirchlichen Dingen möglichst freie Hand ließ, der Hauptsache noch völlig zurückgekehrt. Dies wollte dem bayerischen Minister Montgelas wenig gefallen. Tirol sollte sich mit Bayern zu einem einigen Kö' nigreiche verschmelzen, die Herrschaft des Klerus gebrochen, seine Bildung ge¬ fördert, der Aberglaube dem Volke genommen werden. Ein Rescript vom 16. April 1806 ordnete die Prüfung der Kleriker vor der Priesterweihe durch welt¬ liche Professoren an, der Geistlichkeit wurde unbedingter Gehorsam in allen Gegenständen der Kirchcnpolizei aufgetragen, die Verleihung aller geistlichen Pfründen dem König vorbehalten. Vom Papst dazu ermuntert, widersetzten sich Grenzboten III. 1864. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/9>, abgerufen am 28.09.2024.