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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Initiative angeregten möglichst ausgedehnten Tractat in der türkischen Frage
wieder auszugleichen, so hatte Palmerston gerade das entgegengesetzte Interesse,
daß der bevorstehende Vertrag möglichst mager und ärmlich ausfalle, damit
durch die Bedeutungslosigkeit desselben sowohl der Tractat vom Is. Juli, wie
auch die Niederlage Frankreichs in ein möglichst Helles '.Licht trete. Ferner
war es klar, daß eine förmliche vertragsmäßige Erklärung zu Gunsten der
Integrität der Türkei eine sehr unverblümte Beleidigung Rußlands sein würde,
die auch gewiß von Guizot. keineswegs aber von Palmerston, der Nußland
sehr zu Dank verpflichtet war, beabsichtigt wurde. Der Versuch der französischen
Politik, den Bann, der bisher auf Frankreich gelastet hattet ohne Weiteres auf
Rußland zu wälzen, war zu handgreiflich, um irgendwelche Aussicht auf
Erfolg zu haben. Die Wünsche Frankreichs wurden denn auch in feiner, aber
treffender und entschiedener Weise abgelehnt, mit Ausnahme der auf Sperrung
der Meerenge bezüglichen. Dieser Wunsch konnte um so eher zugegeben werden,
da er im Grunde gegenstandslos war; denn mit dem bereits zur vollendeten
Thatsache gewordenen Falle des Vertrages von Unkiar-Skelessi war die Sperrung
der Meerenge selbstverständlich wieder hergestellt.

Uebrigens blieb, während die Ungeduld der deutschen Mächte über die durch
die Hartnäckigkeit bald des Pascha, bald des Divans veranlaßte Verzögerung
des Abschlusses sich in lebhaften Aeußerungen kundgab, Palmerston sehr ruhig,
schritt gegen Pvnsonbys Excentricitäten nur ein, wo es unvermeidlich war, und
griff in den natürlichen Verlauf der Lösung in keiner Weise em. Auch Guizot
hätte, da ein Fall des Whigministcriums unvermeidlich war, eine Verzögerung
des Abschlusses gewünscht, weil er bei einem Tory-Ministerium auf eine wesent¬
lich günstigere Stimmung gegen Frankreich glaubte rechnen zu dürfen. Da in¬
dessen nach Beseitigung aller Aufstände ein längeres Zaudern völlig unmotivirt
gewesen wäre, so erfolgte am 13. Juli 1841 der Abschluß der Convention, durch
welche der alte Usus, daß kein fremdes Kriegsschiff die Meerenge Passiren dürfe,
von Neuem sanctionirt wurde.

Guizot ist wie schon in den früheren Bänden aufrichtig genug, den aus
Überschätzung der Macht Mehemets und unrichtiger Beurtheilung der europäischen
Verhältnisse hervorgegangenen Fehler Frankreichs in dieser Angelegenheit ohne
Umschweif einzugestehen und auch seinen Antheil an dem allgemeinen Irrthum
durchaus nicht zu verschleiern. Erklärlich ist es demgemäß, daß er in dem Ab¬
schluß der Convention vom 13. Juli 1841 ein verhältnismäßig günstiges
Resultat sieht, und daß er zugleich die Schwierigkeiten, die zur Erreichung dieses
Zieles zu überwinden waren, sehr stark hervorhebt. In der That verdient die
Festigkeit, mit der er, nachdem einmal jeder Gedanke an Widerstand gegen
Europa aufgegeben war, die Würde Frankreichs gewahrt hat, Anerkennung.
Ein positives Resultat hat er durch seine Haltung aber nicht erreicht; ein solches


Initiative angeregten möglichst ausgedehnten Tractat in der türkischen Frage
wieder auszugleichen, so hatte Palmerston gerade das entgegengesetzte Interesse,
daß der bevorstehende Vertrag möglichst mager und ärmlich ausfalle, damit
durch die Bedeutungslosigkeit desselben sowohl der Tractat vom Is. Juli, wie
auch die Niederlage Frankreichs in ein möglichst Helles '.Licht trete. Ferner
war es klar, daß eine förmliche vertragsmäßige Erklärung zu Gunsten der
Integrität der Türkei eine sehr unverblümte Beleidigung Rußlands sein würde,
die auch gewiß von Guizot. keineswegs aber von Palmerston, der Nußland
sehr zu Dank verpflichtet war, beabsichtigt wurde. Der Versuch der französischen
Politik, den Bann, der bisher auf Frankreich gelastet hattet ohne Weiteres auf
Rußland zu wälzen, war zu handgreiflich, um irgendwelche Aussicht auf
Erfolg zu haben. Die Wünsche Frankreichs wurden denn auch in feiner, aber
treffender und entschiedener Weise abgelehnt, mit Ausnahme der auf Sperrung
der Meerenge bezüglichen. Dieser Wunsch konnte um so eher zugegeben werden,
da er im Grunde gegenstandslos war; denn mit dem bereits zur vollendeten
Thatsache gewordenen Falle des Vertrages von Unkiar-Skelessi war die Sperrung
der Meerenge selbstverständlich wieder hergestellt.

Uebrigens blieb, während die Ungeduld der deutschen Mächte über die durch
die Hartnäckigkeit bald des Pascha, bald des Divans veranlaßte Verzögerung
des Abschlusses sich in lebhaften Aeußerungen kundgab, Palmerston sehr ruhig,
schritt gegen Pvnsonbys Excentricitäten nur ein, wo es unvermeidlich war, und
griff in den natürlichen Verlauf der Lösung in keiner Weise em. Auch Guizot
hätte, da ein Fall des Whigministcriums unvermeidlich war, eine Verzögerung
des Abschlusses gewünscht, weil er bei einem Tory-Ministerium auf eine wesent¬
lich günstigere Stimmung gegen Frankreich glaubte rechnen zu dürfen. Da in¬
dessen nach Beseitigung aller Aufstände ein längeres Zaudern völlig unmotivirt
gewesen wäre, so erfolgte am 13. Juli 1841 der Abschluß der Convention, durch
welche der alte Usus, daß kein fremdes Kriegsschiff die Meerenge Passiren dürfe,
von Neuem sanctionirt wurde.

Guizot ist wie schon in den früheren Bänden aufrichtig genug, den aus
Überschätzung der Macht Mehemets und unrichtiger Beurtheilung der europäischen
Verhältnisse hervorgegangenen Fehler Frankreichs in dieser Angelegenheit ohne
Umschweif einzugestehen und auch seinen Antheil an dem allgemeinen Irrthum
durchaus nicht zu verschleiern. Erklärlich ist es demgemäß, daß er in dem Ab¬
schluß der Convention vom 13. Juli 1841 ein verhältnismäßig günstiges
Resultat sieht, und daß er zugleich die Schwierigkeiten, die zur Erreichung dieses
Zieles zu überwinden waren, sehr stark hervorhebt. In der That verdient die
Festigkeit, mit der er, nachdem einmal jeder Gedanke an Widerstand gegen
Europa aufgegeben war, die Würde Frankreichs gewahrt hat, Anerkennung.
Ein positives Resultat hat er durch seine Haltung aber nicht erreicht; ein solches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/82>, abgerufen am 28.09.2024.