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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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in Frankreich die Sache für abgemacht hielt. Dessenungeachtet unterließ Pal-
merston nicht, seinerseits gegen Thiers Auffassung zu protestiren, unbekümmert
darum, daß die Antwort gar nicht an Thiers, sondern an Guizots Adresse
kam. Er wahrte aufs nachdrücklichste das Recht des Sultans, nach seinem
Gefallen über seine Provinzen zu entscheiden. Auch begnügte er sich nicht, die
Depesche Guizots mittheilen zu lassen, sondern ließ sie wenige Tage darauf im
Morning Chronicle erscheinen. Natürlich wurde durch diesen Schritt die ver¬
glimmende Knegsleidenschaft in Frankreich von neuem angefacht; wenn auch
dieser Zwischenfall ohne weitere Folgen vorüberging, da Palmerston befriedigende
Erklärungen gab, wornach seine Depesche den Anschein einer theoretischen Contro-
verse gewann.

Indessen hatten die Niederlagen Ibrahims in Syrien, die Demoralisation
seiner Armee und vor allem der rasche Fall Akres (9. November 1840) der
französischen Negierung den klaren Beweis geliefert, daß alle Hoffnungen, die
sie auf die Widerstandskraft des Pascha gesetzt hatte, Täuschungen gewesen
waren: die mit Zähigkeit festgehaltene Erwartung, daß irgendeine, wenn auch
nur kleine, Entschädigung für den Pascha Frankreich als Preis sür seinen An¬
schluß an den europäischen Verein geboten werden würde, konnte nicht länger
festgehalten werden. Metternich schrieb an seinen Bevollmächtigten in London,
Naumann: Man darf Frankreich keine Illusion mehr in Betreff Syriens lassen;
Syrien ist unwiderruflich verloren, in, seiner ganzen Ausdehnung verloren.
Man muß an Aegypten denken; das Uebel wächst auf diesem Punkte; man
darf keinen Augenblick verlieren, um Mehemed Ali zur Unterwerfung zu bestimmen.
Die von Metternich im Interesse des Friedens so sehnlich gewünschte Unter¬
werfung ließ nicht lange auf sich warten. Dem englischen Kommodore Sir
Charles Napier gelang es, Mehemed Ali zu einer Convention zu bewegen, in
der derselbe sich verpflichtete, dem Sultan die Flotte zurückzugeben, sobald die
Mächte ihm die erbliche Herrschaft über Aegypten zugesichert haben würden.
Zugleich erging an Ibrahim der Befehl, Syrien vollständig zu räumen.
(25. November.)

Je größer die Freude der Verbündeten über diesen Erfolg war, um so
größer war der Verdruß der deutschen Mächte, daß die Pforte, der von Lord
Ponsonby der möglichste VorMb geleistet wurde, sich weigerte, dem Pascha
den erblichen Besitz Aegyptens zuzusichern. Besonders war Metternich be¬
unruhigt; er ging so weit zu erklären, daß Oestreich auf die Erblichkeit bestehen
würde, und daß eine Weigerung der Pforte Oestreich bestimmen würde, dem
Sultan seinen moralischen und materiellen Beistand zu entziehen. In diesem
Sinne wurde in London und in Konstcuttinovel auf die Pforte gewirkt, die
endlich dem Drucke nachgebend sich scheinbar in das Unvermeidliche fügte und
mittelst eines Firmans vom 13. Februar, unter gewissen Bedingungen Mehemed


in Frankreich die Sache für abgemacht hielt. Dessenungeachtet unterließ Pal-
merston nicht, seinerseits gegen Thiers Auffassung zu protestiren, unbekümmert
darum, daß die Antwort gar nicht an Thiers, sondern an Guizots Adresse
kam. Er wahrte aufs nachdrücklichste das Recht des Sultans, nach seinem
Gefallen über seine Provinzen zu entscheiden. Auch begnügte er sich nicht, die
Depesche Guizots mittheilen zu lassen, sondern ließ sie wenige Tage darauf im
Morning Chronicle erscheinen. Natürlich wurde durch diesen Schritt die ver¬
glimmende Knegsleidenschaft in Frankreich von neuem angefacht; wenn auch
dieser Zwischenfall ohne weitere Folgen vorüberging, da Palmerston befriedigende
Erklärungen gab, wornach seine Depesche den Anschein einer theoretischen Contro-
verse gewann.

Indessen hatten die Niederlagen Ibrahims in Syrien, die Demoralisation
seiner Armee und vor allem der rasche Fall Akres (9. November 1840) der
französischen Negierung den klaren Beweis geliefert, daß alle Hoffnungen, die
sie auf die Widerstandskraft des Pascha gesetzt hatte, Täuschungen gewesen
waren: die mit Zähigkeit festgehaltene Erwartung, daß irgendeine, wenn auch
nur kleine, Entschädigung für den Pascha Frankreich als Preis sür seinen An¬
schluß an den europäischen Verein geboten werden würde, konnte nicht länger
festgehalten werden. Metternich schrieb an seinen Bevollmächtigten in London,
Naumann: Man darf Frankreich keine Illusion mehr in Betreff Syriens lassen;
Syrien ist unwiderruflich verloren, in, seiner ganzen Ausdehnung verloren.
Man muß an Aegypten denken; das Uebel wächst auf diesem Punkte; man
darf keinen Augenblick verlieren, um Mehemed Ali zur Unterwerfung zu bestimmen.
Die von Metternich im Interesse des Friedens so sehnlich gewünschte Unter¬
werfung ließ nicht lange auf sich warten. Dem englischen Kommodore Sir
Charles Napier gelang es, Mehemed Ali zu einer Convention zu bewegen, in
der derselbe sich verpflichtete, dem Sultan die Flotte zurückzugeben, sobald die
Mächte ihm die erbliche Herrschaft über Aegypten zugesichert haben würden.
Zugleich erging an Ibrahim der Befehl, Syrien vollständig zu räumen.
(25. November.)

Je größer die Freude der Verbündeten über diesen Erfolg war, um so
größer war der Verdruß der deutschen Mächte, daß die Pforte, der von Lord
Ponsonby der möglichste VorMb geleistet wurde, sich weigerte, dem Pascha
den erblichen Besitz Aegyptens zuzusichern. Besonders war Metternich be¬
unruhigt; er ging so weit zu erklären, daß Oestreich auf die Erblichkeit bestehen
würde, und daß eine Weigerung der Pforte Oestreich bestimmen würde, dem
Sultan seinen moralischen und materiellen Beistand zu entziehen. In diesem
Sinne wurde in London und in Konstcuttinovel auf die Pforte gewirkt, die
endlich dem Drucke nachgebend sich scheinbar in das Unvermeidliche fügte und
mittelst eines Firmans vom 13. Februar, unter gewissen Bedingungen Mehemed


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/80>, abgerufen am 28.09.2024.