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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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"Da hört ich sagen, die von der Welt das Rechte lehren, daß der Anti¬
christ soll mit Elias kämpfen. Der Bösewicht ist gewaffnet, der Krieg bricht
zwischen ihnen los. Die Kämpfer sind so kraftvoll, so schwer ist dieser Handel.
Elias streitet für das ewige Leben. Er will der Guten und Gerechten Reich
verstärken. Darum wird ihm helfen, der des Himmels waltet. Der Antichrist
steht auf des Erbfeinds Seite, steht bei dem Satan, der ihn wird zu Falle
bringen. Er wird aus der Kampfstätte verwundet niedersinken und bei diesem
Gange sieglos werden. Doch glauben viele weise Gottesmänner, daß der
Heilige in dem Kampfe verletzt werden soll. Und wenn des Elias Blut auf
die Erde traust, so entzünden sich die Berge, kein Baum steht auf dem Boden
fest, die Gewässer alle vertrocknen, das Meer verschluckt sich selbst, der Himmel
wird verzehrt in Flammen, herab fällt der Mond, die Erdscheibe brennt, stehen
bleibt kein Fels. Wann der Straftag fährt ins Land und mit diesem Feuer
sucht die Menschen heim, da kann kein Blutsfreund helfen vor dem Weltbrand.
Wenn der unermeßliche Gluthregen alles verbrennt und Feuer und Luft es
alles durchfegt, wo ist dann die Mark, um die der Mensch mit seinen Sippen
stritt? Die Mark ist verbrannt, die Seele steht verzweifelt, mit nichts mehr
kann sie Buße thun -- stracks fährt sie zur Hölle."

Mit Recht findet der Verfasser, daß dieser Zusatz einen begabteren Dichter
bekundet als das übrige Gedicht. "Ueberall ist er sehr kurz, sehr sparsam mit
Worten, stets nur die Sache bezeichnend, verzichtend auf jeden Schmuck. Die
Größe des Gegenstandes ist völlig rein aufgefaßt und wirkt allein durch sich
selbst, wie eine Choralmelodie ohne Harmonisirung und Begleitung," wogegen
man dem ersteren Dickter den Vorwurf machen muß, daß seine Schilderungen
trotz des größeren Wortaufwandes nicht immer recht anschaulich werden. Daß
in beiden und namentlich in dem zweiten heidnische Anschauungen vom Welt¬
untergang nachklingen, bedarf für Kenner der Edda nicht des Nachweises.

Wir stehen am Schluß unsrer Auszüge. "Von den Erzeugnissen eines
augenblicklichen und zufälligen Bedürfnisses bis zu solchen Schöpfungen, welche
der Genius der echten Poesie im Fluge wenigstens gestreift hat, sind die sämmt¬
lichen Denkmäler unsrer ältesten Literatur an uns vorübergezogen. Ihrer aller
Lebenselement ist das Christenthum. Ihrer aller Anreger -- mittelbar oder
unmittelbar, gleichviel -- ist Karl der Große." An seinen Namen knüpft sich
für alle Zeit der Anfang einer Entwickelung des deutschen Volkes, durch welche
dasselbe, losgewunden aus der Gebundenheit einer für sich seienden Bildung,
an die große Kette der Weltcultur als neues Glied sich fügte, und durch
welche es sich anschickte, den untergegangnen Civilisationen eine Stätte ewiger
Fortdauer zu bereiten.




„Da hört ich sagen, die von der Welt das Rechte lehren, daß der Anti¬
christ soll mit Elias kämpfen. Der Bösewicht ist gewaffnet, der Krieg bricht
zwischen ihnen los. Die Kämpfer sind so kraftvoll, so schwer ist dieser Handel.
Elias streitet für das ewige Leben. Er will der Guten und Gerechten Reich
verstärken. Darum wird ihm helfen, der des Himmels waltet. Der Antichrist
steht auf des Erbfeinds Seite, steht bei dem Satan, der ihn wird zu Falle
bringen. Er wird aus der Kampfstätte verwundet niedersinken und bei diesem
Gange sieglos werden. Doch glauben viele weise Gottesmänner, daß der
Heilige in dem Kampfe verletzt werden soll. Und wenn des Elias Blut auf
die Erde traust, so entzünden sich die Berge, kein Baum steht auf dem Boden
fest, die Gewässer alle vertrocknen, das Meer verschluckt sich selbst, der Himmel
wird verzehrt in Flammen, herab fällt der Mond, die Erdscheibe brennt, stehen
bleibt kein Fels. Wann der Straftag fährt ins Land und mit diesem Feuer
sucht die Menschen heim, da kann kein Blutsfreund helfen vor dem Weltbrand.
Wenn der unermeßliche Gluthregen alles verbrennt und Feuer und Luft es
alles durchfegt, wo ist dann die Mark, um die der Mensch mit seinen Sippen
stritt? Die Mark ist verbrannt, die Seele steht verzweifelt, mit nichts mehr
kann sie Buße thun — stracks fährt sie zur Hölle."

Mit Recht findet der Verfasser, daß dieser Zusatz einen begabteren Dichter
bekundet als das übrige Gedicht. „Ueberall ist er sehr kurz, sehr sparsam mit
Worten, stets nur die Sache bezeichnend, verzichtend auf jeden Schmuck. Die
Größe des Gegenstandes ist völlig rein aufgefaßt und wirkt allein durch sich
selbst, wie eine Choralmelodie ohne Harmonisirung und Begleitung," wogegen
man dem ersteren Dickter den Vorwurf machen muß, daß seine Schilderungen
trotz des größeren Wortaufwandes nicht immer recht anschaulich werden. Daß
in beiden und namentlich in dem zweiten heidnische Anschauungen vom Welt¬
untergang nachklingen, bedarf für Kenner der Edda nicht des Nachweises.

Wir stehen am Schluß unsrer Auszüge. „Von den Erzeugnissen eines
augenblicklichen und zufälligen Bedürfnisses bis zu solchen Schöpfungen, welche
der Genius der echten Poesie im Fluge wenigstens gestreift hat, sind die sämmt¬
lichen Denkmäler unsrer ältesten Literatur an uns vorübergezogen. Ihrer aller
Lebenselement ist das Christenthum. Ihrer aller Anreger — mittelbar oder
unmittelbar, gleichviel — ist Karl der Große." An seinen Namen knüpft sich
für alle Zeit der Anfang einer Entwickelung des deutschen Volkes, durch welche
dasselbe, losgewunden aus der Gebundenheit einer für sich seienden Bildung,
an die große Kette der Weltcultur als neues Glied sich fügte, und durch
welche es sich anschickte, den untergegangnen Civilisationen eine Stätte ewiger
Fortdauer zu bereiten.




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[0525] „Da hört ich sagen, die von der Welt das Rechte lehren, daß der Anti¬ christ soll mit Elias kämpfen. Der Bösewicht ist gewaffnet, der Krieg bricht zwischen ihnen los. Die Kämpfer sind so kraftvoll, so schwer ist dieser Handel. Elias streitet für das ewige Leben. Er will der Guten und Gerechten Reich verstärken. Darum wird ihm helfen, der des Himmels waltet. Der Antichrist steht auf des Erbfeinds Seite, steht bei dem Satan, der ihn wird zu Falle bringen. Er wird aus der Kampfstätte verwundet niedersinken und bei diesem Gange sieglos werden. Doch glauben viele weise Gottesmänner, daß der Heilige in dem Kampfe verletzt werden soll. Und wenn des Elias Blut auf die Erde traust, so entzünden sich die Berge, kein Baum steht auf dem Boden fest, die Gewässer alle vertrocknen, das Meer verschluckt sich selbst, der Himmel wird verzehrt in Flammen, herab fällt der Mond, die Erdscheibe brennt, stehen bleibt kein Fels. Wann der Straftag fährt ins Land und mit diesem Feuer sucht die Menschen heim, da kann kein Blutsfreund helfen vor dem Weltbrand. Wenn der unermeßliche Gluthregen alles verbrennt und Feuer und Luft es alles durchfegt, wo ist dann die Mark, um die der Mensch mit seinen Sippen stritt? Die Mark ist verbrannt, die Seele steht verzweifelt, mit nichts mehr kann sie Buße thun — stracks fährt sie zur Hölle." Mit Recht findet der Verfasser, daß dieser Zusatz einen begabteren Dichter bekundet als das übrige Gedicht. „Ueberall ist er sehr kurz, sehr sparsam mit Worten, stets nur die Sache bezeichnend, verzichtend auf jeden Schmuck. Die Größe des Gegenstandes ist völlig rein aufgefaßt und wirkt allein durch sich selbst, wie eine Choralmelodie ohne Harmonisirung und Begleitung," wogegen man dem ersteren Dickter den Vorwurf machen muß, daß seine Schilderungen trotz des größeren Wortaufwandes nicht immer recht anschaulich werden. Daß in beiden und namentlich in dem zweiten heidnische Anschauungen vom Welt¬ untergang nachklingen, bedarf für Kenner der Edda nicht des Nachweises. Wir stehen am Schluß unsrer Auszüge. „Von den Erzeugnissen eines augenblicklichen und zufälligen Bedürfnisses bis zu solchen Schöpfungen, welche der Genius der echten Poesie im Fluge wenigstens gestreift hat, sind die sämmt¬ lichen Denkmäler unsrer ältesten Literatur an uns vorübergezogen. Ihrer aller Lebenselement ist das Christenthum. Ihrer aller Anreger — mittelbar oder unmittelbar, gleichviel — ist Karl der Große." An seinen Namen knüpft sich für alle Zeit der Anfang einer Entwickelung des deutschen Volkes, durch welche dasselbe, losgewunden aus der Gebundenheit einer für sich seienden Bildung, an die große Kette der Weltcultur als neues Glied sich fügte, und durch welche es sich anschickte, den untergegangnen Civilisationen eine Stätte ewiger Fortdauer zu bereiten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/525>, abgerufen am 28.09.2024.