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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Behuf dieser Gesetzdentung, oder zur Erleichterung der vorher erwähnten Unter¬
suchung der Gesetzkunde unter dem Volke Übertragungen einzelner Volksrechte
ins Deutsche angefertigt worden sind, und dann würde ein uns erhaltenes Bruch¬
stück einer Verdeutschung des salischen Gesetzes vielleicht diesem Anlaß seine Ent¬
stehung verdanken. Auf einer weiteren Reichsversammlung. die im Jahre 803
zu Mainz stattfand, kamen vielleicht die sogenannten Statuten des heiligen Bo-
nifacius zu Stande, welche alle Priester mit Verlust ihrer Stelle bedrohen, die den
Täuflingen das Glaubensbekenntnis; und die Abrenunciation nicht in ihrer Mutter¬
sprache abfragen wollten, und möglicherweise hängt hiermit die Abfassung eines
jedenfalls im Mainzer Sprengel entstandenen deutschen Taufgelöbnisses zusammen.

"Dies ist," sagt unser Verfasser, "der Gesammtbestand der deutschen Prosa¬
literatur aus der Zeit Karls des Großen. Ein einziges Rcchtsdenkmal, die übrigen
religiösen Inhalts, alle gleicherweise Uebersetzungen, höchstens unfreie Bearbei¬
tungen lateinischer Originale."

Poetische Denkmäler aus der Zeit Karls des Großen find nicht so viele
auf uns gekommen als prosaische. Man hatte deutsche Gebete, von denen uns
zwei erhalten sind. Das ältere lautet in jetzigem Deutsch:


Herre Gott, du hilf mir und du verleih mir
>" deinen Gnaden den rechten Glauben
und guten Willen, Weisheit und Klugheit
Heil und Gesundheit und deine gute Huld.

Von größerem Interesse, obwohl von geringerem poetischen Werth ist das so¬
genannte Wcssobrunner Gebet, dessen Verfasser das Reinste und Beste seiner Gedan¬
ken andern Gedichten, z. B. aus obigem Gebet und aus einem christlichen Epos
von der Weltschöpfung entnahm, welches letztere aus den letzten Jahren des
achten Jahrhunderts stammte. Die Geistlichkeit liebte es, christliche Feste auf
die Zeit altheidnischer zu verlegen und jene mit diesen zu verschmelzen. Aehn-
lich verfuhr der Dichter jenes Epos, indem er sein Werk im Anschluß an die
folgende Strophe eines heidnischen Gesanges dichtete, die in unserer Sprache
lautet:


Das vernahm' ich unter den Menschen als der Wunder größtes,
Daß Erde nicht war noch der Oberhimmel,
Daß kein glänzender Stern noch die Sonne leuchtete.
Noch der Mond, noch das herrliche Meer.

Diese Gedanken finden sich fast gleichlautend, nur etwas weiter ausgeführt, in
der ältern Edda (Völuspa 9 bis 12 und 19 bis 21). Man sieht beim Ver¬
gleich, es ist dieselbe heidnische Ansicht von einem uranfänglichen Nichts. Ihr
steht die christliche Vorstellung durchaus entgegen, welche der Dichter ausspricht,
wenn er weiter singt:


65*

Behuf dieser Gesetzdentung, oder zur Erleichterung der vorher erwähnten Unter¬
suchung der Gesetzkunde unter dem Volke Übertragungen einzelner Volksrechte
ins Deutsche angefertigt worden sind, und dann würde ein uns erhaltenes Bruch¬
stück einer Verdeutschung des salischen Gesetzes vielleicht diesem Anlaß seine Ent¬
stehung verdanken. Auf einer weiteren Reichsversammlung. die im Jahre 803
zu Mainz stattfand, kamen vielleicht die sogenannten Statuten des heiligen Bo-
nifacius zu Stande, welche alle Priester mit Verlust ihrer Stelle bedrohen, die den
Täuflingen das Glaubensbekenntnis; und die Abrenunciation nicht in ihrer Mutter¬
sprache abfragen wollten, und möglicherweise hängt hiermit die Abfassung eines
jedenfalls im Mainzer Sprengel entstandenen deutschen Taufgelöbnisses zusammen.

„Dies ist," sagt unser Verfasser, „der Gesammtbestand der deutschen Prosa¬
literatur aus der Zeit Karls des Großen. Ein einziges Rcchtsdenkmal, die übrigen
religiösen Inhalts, alle gleicherweise Uebersetzungen, höchstens unfreie Bearbei¬
tungen lateinischer Originale."

Poetische Denkmäler aus der Zeit Karls des Großen find nicht so viele
auf uns gekommen als prosaische. Man hatte deutsche Gebete, von denen uns
zwei erhalten sind. Das ältere lautet in jetzigem Deutsch:


Herre Gott, du hilf mir und du verleih mir
>» deinen Gnaden den rechten Glauben
und guten Willen, Weisheit und Klugheit
Heil und Gesundheit und deine gute Huld.

Von größerem Interesse, obwohl von geringerem poetischen Werth ist das so¬
genannte Wcssobrunner Gebet, dessen Verfasser das Reinste und Beste seiner Gedan¬
ken andern Gedichten, z. B. aus obigem Gebet und aus einem christlichen Epos
von der Weltschöpfung entnahm, welches letztere aus den letzten Jahren des
achten Jahrhunderts stammte. Die Geistlichkeit liebte es, christliche Feste auf
die Zeit altheidnischer zu verlegen und jene mit diesen zu verschmelzen. Aehn-
lich verfuhr der Dichter jenes Epos, indem er sein Werk im Anschluß an die
folgende Strophe eines heidnischen Gesanges dichtete, die in unserer Sprache
lautet:


Das vernahm' ich unter den Menschen als der Wunder größtes,
Daß Erde nicht war noch der Oberhimmel,
Daß kein glänzender Stern noch die Sonne leuchtete.
Noch der Mond, noch das herrliche Meer.

Diese Gedanken finden sich fast gleichlautend, nur etwas weiter ausgeführt, in
der ältern Edda (Völuspa 9 bis 12 und 19 bis 21). Man sieht beim Ver¬
gleich, es ist dieselbe heidnische Ansicht von einem uranfänglichen Nichts. Ihr
steht die christliche Vorstellung durchaus entgegen, welche der Dichter ausspricht,
wenn er weiter singt:


65*
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[0523] Behuf dieser Gesetzdentung, oder zur Erleichterung der vorher erwähnten Unter¬ suchung der Gesetzkunde unter dem Volke Übertragungen einzelner Volksrechte ins Deutsche angefertigt worden sind, und dann würde ein uns erhaltenes Bruch¬ stück einer Verdeutschung des salischen Gesetzes vielleicht diesem Anlaß seine Ent¬ stehung verdanken. Auf einer weiteren Reichsversammlung. die im Jahre 803 zu Mainz stattfand, kamen vielleicht die sogenannten Statuten des heiligen Bo- nifacius zu Stande, welche alle Priester mit Verlust ihrer Stelle bedrohen, die den Täuflingen das Glaubensbekenntnis; und die Abrenunciation nicht in ihrer Mutter¬ sprache abfragen wollten, und möglicherweise hängt hiermit die Abfassung eines jedenfalls im Mainzer Sprengel entstandenen deutschen Taufgelöbnisses zusammen. „Dies ist," sagt unser Verfasser, „der Gesammtbestand der deutschen Prosa¬ literatur aus der Zeit Karls des Großen. Ein einziges Rcchtsdenkmal, die übrigen religiösen Inhalts, alle gleicherweise Uebersetzungen, höchstens unfreie Bearbei¬ tungen lateinischer Originale." Poetische Denkmäler aus der Zeit Karls des Großen find nicht so viele auf uns gekommen als prosaische. Man hatte deutsche Gebete, von denen uns zwei erhalten sind. Das ältere lautet in jetzigem Deutsch: Herre Gott, du hilf mir und du verleih mir >» deinen Gnaden den rechten Glauben und guten Willen, Weisheit und Klugheit Heil und Gesundheit und deine gute Huld. Von größerem Interesse, obwohl von geringerem poetischen Werth ist das so¬ genannte Wcssobrunner Gebet, dessen Verfasser das Reinste und Beste seiner Gedan¬ ken andern Gedichten, z. B. aus obigem Gebet und aus einem christlichen Epos von der Weltschöpfung entnahm, welches letztere aus den letzten Jahren des achten Jahrhunderts stammte. Die Geistlichkeit liebte es, christliche Feste auf die Zeit altheidnischer zu verlegen und jene mit diesen zu verschmelzen. Aehn- lich verfuhr der Dichter jenes Epos, indem er sein Werk im Anschluß an die folgende Strophe eines heidnischen Gesanges dichtete, die in unserer Sprache lautet: Das vernahm' ich unter den Menschen als der Wunder größtes, Daß Erde nicht war noch der Oberhimmel, Daß kein glänzender Stern noch die Sonne leuchtete. Noch der Mond, noch das herrliche Meer. Diese Gedanken finden sich fast gleichlautend, nur etwas weiter ausgeführt, in der ältern Edda (Völuspa 9 bis 12 und 19 bis 21). Man sieht beim Ver¬ gleich, es ist dieselbe heidnische Ansicht von einem uranfänglichen Nichts. Ihr steht die christliche Vorstellung durchaus entgegen, welche der Dichter ausspricht, wenn er weiter singt: 65*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/523>, abgerufen am 28.09.2024.