Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Machwerke als ihrer Ausgangspunkte zu bedienen hatte, welche Wirkung sie
auf die Zuhörer geübt, kann man leicht ermessen.

Alle diese literarischen Arbeiten verdanken dem localen Bedürfniß des Augen¬
blicks ihre Entstehung. Karl der Große hatte auf dieselbe nur mittelbar hin¬
gewirkt. Nun berichtet aber dessen Biograph Einhard, daß Karl alte deutsche
Gedichte habe aufschreiben lassen, daß er eine deutsche Grammatik begonnen
und den Monaten und den Winden deutsche Namen gegeben habe. Nur der
Hinweis auf die alten Gesänge ist hierbei wichtig, das Uebrige erscheint ledig¬
lich als gelehrte Spielerei eines großen Herrn. Sollte Karl aber dabei stehen
geblieben sein? fragt Scherer, oder wenn er sich darauf beschränkte, sollten seine
Bemühungen um die deutsche Sprache ein vereinzeltes Phänomen sein? Müssen wir
nicht vielmehr glauben, daß er dabei nur einem auch sonst in der Zeit liegen¬
den Drange und Streben folgte? Und wenn auf der andern Seite Mönche dem
zwar nützlichen, aber doch nicht nothwendigen, dabei für sie höchst mühevollen
Geschäft der Verdeutschung sich unterzogen, werden wir da nicht auf eine mitt¬
lere Region geführt, von welcher gleichmäßig nach oben wie nach unten zu der¬
artigen Arbeiten Anregung ausging? Und werden wir diese Anreger zu deut¬
scher Schriftstellern nicht endlich am natürlichsten unter Karls nächster Umgebung
suchen?

Wir haben Grund zu diesen Vermuthungen, und wir finden sie durch eine
ganze Reihe von Uebersetzungen bestätigt, welche schon durch ihre weite Ver¬
breitung im fränkischen Reiche und dann durch ihre Meisterschaft in der Be¬
handlung des Lateinischen und des Deutschen auf die Kreise der höchsten da¬
maligen Bildung als auf die Stätte ihres Ursprungs hinweisen. So das auf
treffliche Art ins Deutsche übersetzte Matthäusevangelium. So ferner die Uever-
tragung des ersten Buchs aus dem Werke des Isidorus gegen die Juden, die
noch besser gerathen ist. So endlich verschiedene Predigten des Augustinus,
die ebenfalls in wohlgelungnen deutschen Uebersetzungen dem Volke jener Zeit
zugänglich gemacht wurden.

So war die deutsche Sprache in die Schule des Lateins genommen. Für
alle wesentlichen Begriffe des Christenthums mußten erst deutsche Worte geschaf¬
fen werden, und das geschah auf dreierlei Weisen. Man nahm analoge Aus¬
drücke für christliche Dinge aus dem heidnischen Ideenkreise herüber, z. B. Hölle
für den christlichen Strafort des Jenseits. Man setzte angelsächsische christliche
Benennungen in deutsche um, wohin die Wiedergabe des Namens Jesus durch
"Heiland" gehört. Man ließ endlich lateinische Worte wie ätadolus, MgeluZ
u. s. w. zu. Gezwungen ferner durch die unselbständige Art ihrer Production
sannen die emsigen Männer, welche die Anfänge deutscher Schriftsprache pfleg¬
ten, auf Mittel, den langen Perioden und dem vielgegliederten Satzbau ihrer
Vorlagen beizukommen. "Unsre alte Sprache bewegte sich in kurzen, einander


Grenzboten III. 1864. 6ö

Machwerke als ihrer Ausgangspunkte zu bedienen hatte, welche Wirkung sie
auf die Zuhörer geübt, kann man leicht ermessen.

Alle diese literarischen Arbeiten verdanken dem localen Bedürfniß des Augen¬
blicks ihre Entstehung. Karl der Große hatte auf dieselbe nur mittelbar hin¬
gewirkt. Nun berichtet aber dessen Biograph Einhard, daß Karl alte deutsche
Gedichte habe aufschreiben lassen, daß er eine deutsche Grammatik begonnen
und den Monaten und den Winden deutsche Namen gegeben habe. Nur der
Hinweis auf die alten Gesänge ist hierbei wichtig, das Uebrige erscheint ledig¬
lich als gelehrte Spielerei eines großen Herrn. Sollte Karl aber dabei stehen
geblieben sein? fragt Scherer, oder wenn er sich darauf beschränkte, sollten seine
Bemühungen um die deutsche Sprache ein vereinzeltes Phänomen sein? Müssen wir
nicht vielmehr glauben, daß er dabei nur einem auch sonst in der Zeit liegen¬
den Drange und Streben folgte? Und wenn auf der andern Seite Mönche dem
zwar nützlichen, aber doch nicht nothwendigen, dabei für sie höchst mühevollen
Geschäft der Verdeutschung sich unterzogen, werden wir da nicht auf eine mitt¬
lere Region geführt, von welcher gleichmäßig nach oben wie nach unten zu der¬
artigen Arbeiten Anregung ausging? Und werden wir diese Anreger zu deut¬
scher Schriftstellern nicht endlich am natürlichsten unter Karls nächster Umgebung
suchen?

Wir haben Grund zu diesen Vermuthungen, und wir finden sie durch eine
ganze Reihe von Uebersetzungen bestätigt, welche schon durch ihre weite Ver¬
breitung im fränkischen Reiche und dann durch ihre Meisterschaft in der Be¬
handlung des Lateinischen und des Deutschen auf die Kreise der höchsten da¬
maligen Bildung als auf die Stätte ihres Ursprungs hinweisen. So das auf
treffliche Art ins Deutsche übersetzte Matthäusevangelium. So ferner die Uever-
tragung des ersten Buchs aus dem Werke des Isidorus gegen die Juden, die
noch besser gerathen ist. So endlich verschiedene Predigten des Augustinus,
die ebenfalls in wohlgelungnen deutschen Uebersetzungen dem Volke jener Zeit
zugänglich gemacht wurden.

So war die deutsche Sprache in die Schule des Lateins genommen. Für
alle wesentlichen Begriffe des Christenthums mußten erst deutsche Worte geschaf¬
fen werden, und das geschah auf dreierlei Weisen. Man nahm analoge Aus¬
drücke für christliche Dinge aus dem heidnischen Ideenkreise herüber, z. B. Hölle
für den christlichen Strafort des Jenseits. Man setzte angelsächsische christliche
Benennungen in deutsche um, wohin die Wiedergabe des Namens Jesus durch
„Heiland" gehört. Man ließ endlich lateinische Worte wie ätadolus, MgeluZ
u. s. w. zu. Gezwungen ferner durch die unselbständige Art ihrer Production
sannen die emsigen Männer, welche die Anfänge deutscher Schriftsprache pfleg¬
ten, auf Mittel, den langen Perioden und dem vielgegliederten Satzbau ihrer
Vorlagen beizukommen. „Unsre alte Sprache bewegte sich in kurzen, einander


Grenzboten III. 1864. 6ö
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189616"/>
          <p xml:id="ID_1903" prev="#ID_1902"> Machwerke als ihrer Ausgangspunkte zu bedienen hatte, welche Wirkung sie<lb/>
auf die Zuhörer geübt, kann man leicht ermessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1904"> Alle diese literarischen Arbeiten verdanken dem localen Bedürfniß des Augen¬<lb/>
blicks ihre Entstehung. Karl der Große hatte auf dieselbe nur mittelbar hin¬<lb/>
gewirkt. Nun berichtet aber dessen Biograph Einhard, daß Karl alte deutsche<lb/>
Gedichte habe aufschreiben lassen, daß er eine deutsche Grammatik begonnen<lb/>
und den Monaten und den Winden deutsche Namen gegeben habe. Nur der<lb/>
Hinweis auf die alten Gesänge ist hierbei wichtig, das Uebrige erscheint ledig¬<lb/>
lich als gelehrte Spielerei eines großen Herrn. Sollte Karl aber dabei stehen<lb/>
geblieben sein? fragt Scherer, oder wenn er sich darauf beschränkte, sollten seine<lb/>
Bemühungen um die deutsche Sprache ein vereinzeltes Phänomen sein? Müssen wir<lb/>
nicht vielmehr glauben, daß er dabei nur einem auch sonst in der Zeit liegen¬<lb/>
den Drange und Streben folgte? Und wenn auf der andern Seite Mönche dem<lb/>
zwar nützlichen, aber doch nicht nothwendigen, dabei für sie höchst mühevollen<lb/>
Geschäft der Verdeutschung sich unterzogen, werden wir da nicht auf eine mitt¬<lb/>
lere Region geführt, von welcher gleichmäßig nach oben wie nach unten zu der¬<lb/>
artigen Arbeiten Anregung ausging? Und werden wir diese Anreger zu deut¬<lb/>
scher Schriftstellern nicht endlich am natürlichsten unter Karls nächster Umgebung<lb/>
suchen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1905"> Wir haben Grund zu diesen Vermuthungen, und wir finden sie durch eine<lb/>
ganze Reihe von Uebersetzungen bestätigt, welche schon durch ihre weite Ver¬<lb/>
breitung im fränkischen Reiche und dann durch ihre Meisterschaft in der Be¬<lb/>
handlung des Lateinischen und des Deutschen auf die Kreise der höchsten da¬<lb/>
maligen Bildung als auf die Stätte ihres Ursprungs hinweisen. So das auf<lb/>
treffliche Art ins Deutsche übersetzte Matthäusevangelium. So ferner die Uever-<lb/>
tragung des ersten Buchs aus dem Werke des Isidorus gegen die Juden, die<lb/>
noch besser gerathen ist. So endlich verschiedene Predigten des Augustinus,<lb/>
die ebenfalls in wohlgelungnen deutschen Uebersetzungen dem Volke jener Zeit<lb/>
zugänglich gemacht wurden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1906" next="#ID_1907"> So war die deutsche Sprache in die Schule des Lateins genommen. Für<lb/>
alle wesentlichen Begriffe des Christenthums mußten erst deutsche Worte geschaf¬<lb/>
fen werden, und das geschah auf dreierlei Weisen. Man nahm analoge Aus¬<lb/>
drücke für christliche Dinge aus dem heidnischen Ideenkreise herüber, z. B. Hölle<lb/>
für den christlichen Strafort des Jenseits. Man setzte angelsächsische christliche<lb/>
Benennungen in deutsche um, wohin die Wiedergabe des Namens Jesus durch<lb/>
&#x201E;Heiland" gehört. Man ließ endlich lateinische Worte wie ätadolus, MgeluZ<lb/>
u. s. w. zu. Gezwungen ferner durch die unselbständige Art ihrer Production<lb/>
sannen die emsigen Männer, welche die Anfänge deutscher Schriftsprache pfleg¬<lb/>
ten, auf Mittel, den langen Perioden und dem vielgegliederten Satzbau ihrer<lb/>
Vorlagen beizukommen.  &#x201E;Unsre alte Sprache bewegte sich in kurzen, einander</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1864. 6ö</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] Machwerke als ihrer Ausgangspunkte zu bedienen hatte, welche Wirkung sie auf die Zuhörer geübt, kann man leicht ermessen. Alle diese literarischen Arbeiten verdanken dem localen Bedürfniß des Augen¬ blicks ihre Entstehung. Karl der Große hatte auf dieselbe nur mittelbar hin¬ gewirkt. Nun berichtet aber dessen Biograph Einhard, daß Karl alte deutsche Gedichte habe aufschreiben lassen, daß er eine deutsche Grammatik begonnen und den Monaten und den Winden deutsche Namen gegeben habe. Nur der Hinweis auf die alten Gesänge ist hierbei wichtig, das Uebrige erscheint ledig¬ lich als gelehrte Spielerei eines großen Herrn. Sollte Karl aber dabei stehen geblieben sein? fragt Scherer, oder wenn er sich darauf beschränkte, sollten seine Bemühungen um die deutsche Sprache ein vereinzeltes Phänomen sein? Müssen wir nicht vielmehr glauben, daß er dabei nur einem auch sonst in der Zeit liegen¬ den Drange und Streben folgte? Und wenn auf der andern Seite Mönche dem zwar nützlichen, aber doch nicht nothwendigen, dabei für sie höchst mühevollen Geschäft der Verdeutschung sich unterzogen, werden wir da nicht auf eine mitt¬ lere Region geführt, von welcher gleichmäßig nach oben wie nach unten zu der¬ artigen Arbeiten Anregung ausging? Und werden wir diese Anreger zu deut¬ scher Schriftstellern nicht endlich am natürlichsten unter Karls nächster Umgebung suchen? Wir haben Grund zu diesen Vermuthungen, und wir finden sie durch eine ganze Reihe von Uebersetzungen bestätigt, welche schon durch ihre weite Ver¬ breitung im fränkischen Reiche und dann durch ihre Meisterschaft in der Be¬ handlung des Lateinischen und des Deutschen auf die Kreise der höchsten da¬ maligen Bildung als auf die Stätte ihres Ursprungs hinweisen. So das auf treffliche Art ins Deutsche übersetzte Matthäusevangelium. So ferner die Uever- tragung des ersten Buchs aus dem Werke des Isidorus gegen die Juden, die noch besser gerathen ist. So endlich verschiedene Predigten des Augustinus, die ebenfalls in wohlgelungnen deutschen Uebersetzungen dem Volke jener Zeit zugänglich gemacht wurden. So war die deutsche Sprache in die Schule des Lateins genommen. Für alle wesentlichen Begriffe des Christenthums mußten erst deutsche Worte geschaf¬ fen werden, und das geschah auf dreierlei Weisen. Man nahm analoge Aus¬ drücke für christliche Dinge aus dem heidnischen Ideenkreise herüber, z. B. Hölle für den christlichen Strafort des Jenseits. Man setzte angelsächsische christliche Benennungen in deutsche um, wohin die Wiedergabe des Namens Jesus durch „Heiland" gehört. Man ließ endlich lateinische Worte wie ätadolus, MgeluZ u. s. w. zu. Gezwungen ferner durch die unselbständige Art ihrer Production sannen die emsigen Männer, welche die Anfänge deutscher Schriftsprache pfleg¬ ten, auf Mittel, den langen Perioden und dem vielgegliederten Satzbau ihrer Vorlagen beizukommen. „Unsre alte Sprache bewegte sich in kurzen, einander Grenzboten III. 1864. 6ö

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/521>, abgerufen am 28.09.2024.