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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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zu unterscheiden, schritt man dazu fort, einen eigenthümlichen Zwischenzustand
für den Auferstandenen anzunehmen, der seinen Abschluß, seine bestimmte Grenze
an der Himmelsahrtsgeschichte erhielt. Es liegt eine merkwürdige Konsequenz
in dieser stetigen Ausbildung der Auferstehungssage, die freilich in ihren Ein¬
zelheiten das allmälige Anwachsen und das mühsame Zusammenschweißen dis-
parater Elemente noch deutlich verräth. Aber es gehörte der Scharfsinn eines
Strauß dazu, die in einen dichten Knäuel zusammengeballte Erzählung, wie
sie uns vorliegt, vollständig zu entwirren und auflösend zugleich nachzuweisen,
wie die Fäden sich in einander geschlungen haben. Die ganze Phänomenologie
der Auferstehungssage ist einer der meisterhaftesten Abschnitte seines neuen Buchs.

Aber während so die ausschmückende Sage gleichsam im innersten Heilig-
thum der Gemeinde Bild zum Bilde, Ereignis) zum Ereigniß, Wunder zum
Wunder fügte, hatte auch das Bekenntniß der Gemeinde dorther seinen bestimm¬
ten Inhalt genommen. Alles was Jesus selbst als die Kennzeichen und For¬
derungen seines Reichs bezeichnet hatte, jene unmittelbare Verwirklichung des
religiösen Ideals durch eine selbstlose Gottes- und Menschenliebe, trat jetzt zurück
gegen die neu in den Gemüthern befestigte Thatsache von der Mcssianität Jesu
und gegen die Erwartung der künftigen Zeiten der Erfüllung. Je angestreng¬
ter der geistige Kampf der Jünger gewesen war, um sich der Mcssianität Jesu
zu versichern, um so mehr ging nun ihre Predigt auf in dem einen Satze, daß
Jesus von Nazareth der Messias ist, welcher dereinst wiederkommen wird.
Nicht als ob sie jene sittlichen Forderungen vergessen hätten; tief genug hatten
sich die goldenen Worte Jesu in ihre Herzen eingegraben. Allein die Sitt¬
lichkeit, welche Jesus um ihrer selbst willen gelehrt hatte, und deren Verwirk¬
lichung in theokratischer Form er erst gegen das Ende seines Lebens in voraus-
grcifender Hoffnung in einer nahen Zukunft gedacht haben mochte, ward nun
in ganz bestimmte Beziehung gesetzt zu dem kommenden Reich, sie war nur die
Vorbereitung für die zu erwartenden Zeiten. Sie war nur das Mittel, das
Kommen des Menschensohns mit den Wolken des Himmels war das Ziel. Von
der irdischen Gestalt ihres gekreuzigten Meisters rissen sie sich los und fixirten
ihre Blicke auf sein künftiges Erscheinen in der Herrlichkeit Gottes. Sie hat¬
ten schließlich doch nur dadurch die Mcssianität Jesu mit seinem Schicksal zu
vereinigen gewußt, daß sie vom kommenden Messias das erwarteten, was der
lebende nicht geleistet hatte. Er war gleichsam nur der Vorläufer seiner selbst
gewesen. Ihr ganzes Bewußtsein füllte sich aus mit den Bildern der Zukunft.
Ihre Weltanschauung ward eine phantastische. Was war ihnen das gegenwär¬
tige Leben, wenn es doch in einer nahen Zukunft vom großen Tag deS Herrn
verschlungen wurde! Sie ahnten nicht, daß, indem sie die Konsequenzen aus ihrem
Messiasglauben grübelnd weiter spannen, sie selbst die ersten Steine zu dem un¬
endlichen Bau fügten, dessen Grund vom lebenden Meister selbst gelegt worden.


zu unterscheiden, schritt man dazu fort, einen eigenthümlichen Zwischenzustand
für den Auferstandenen anzunehmen, der seinen Abschluß, seine bestimmte Grenze
an der Himmelsahrtsgeschichte erhielt. Es liegt eine merkwürdige Konsequenz
in dieser stetigen Ausbildung der Auferstehungssage, die freilich in ihren Ein¬
zelheiten das allmälige Anwachsen und das mühsame Zusammenschweißen dis-
parater Elemente noch deutlich verräth. Aber es gehörte der Scharfsinn eines
Strauß dazu, die in einen dichten Knäuel zusammengeballte Erzählung, wie
sie uns vorliegt, vollständig zu entwirren und auflösend zugleich nachzuweisen,
wie die Fäden sich in einander geschlungen haben. Die ganze Phänomenologie
der Auferstehungssage ist einer der meisterhaftesten Abschnitte seines neuen Buchs.

Aber während so die ausschmückende Sage gleichsam im innersten Heilig-
thum der Gemeinde Bild zum Bilde, Ereignis) zum Ereigniß, Wunder zum
Wunder fügte, hatte auch das Bekenntniß der Gemeinde dorther seinen bestimm¬
ten Inhalt genommen. Alles was Jesus selbst als die Kennzeichen und For¬
derungen seines Reichs bezeichnet hatte, jene unmittelbare Verwirklichung des
religiösen Ideals durch eine selbstlose Gottes- und Menschenliebe, trat jetzt zurück
gegen die neu in den Gemüthern befestigte Thatsache von der Mcssianität Jesu
und gegen die Erwartung der künftigen Zeiten der Erfüllung. Je angestreng¬
ter der geistige Kampf der Jünger gewesen war, um sich der Mcssianität Jesu
zu versichern, um so mehr ging nun ihre Predigt auf in dem einen Satze, daß
Jesus von Nazareth der Messias ist, welcher dereinst wiederkommen wird.
Nicht als ob sie jene sittlichen Forderungen vergessen hätten; tief genug hatten
sich die goldenen Worte Jesu in ihre Herzen eingegraben. Allein die Sitt¬
lichkeit, welche Jesus um ihrer selbst willen gelehrt hatte, und deren Verwirk¬
lichung in theokratischer Form er erst gegen das Ende seines Lebens in voraus-
grcifender Hoffnung in einer nahen Zukunft gedacht haben mochte, ward nun
in ganz bestimmte Beziehung gesetzt zu dem kommenden Reich, sie war nur die
Vorbereitung für die zu erwartenden Zeiten. Sie war nur das Mittel, das
Kommen des Menschensohns mit den Wolken des Himmels war das Ziel. Von
der irdischen Gestalt ihres gekreuzigten Meisters rissen sie sich los und fixirten
ihre Blicke auf sein künftiges Erscheinen in der Herrlichkeit Gottes. Sie hat¬
ten schließlich doch nur dadurch die Mcssianität Jesu mit seinem Schicksal zu
vereinigen gewußt, daß sie vom kommenden Messias das erwarteten, was der
lebende nicht geleistet hatte. Er war gleichsam nur der Vorläufer seiner selbst
gewesen. Ihr ganzes Bewußtsein füllte sich aus mit den Bildern der Zukunft.
Ihre Weltanschauung ward eine phantastische. Was war ihnen das gegenwär¬
tige Leben, wenn es doch in einer nahen Zukunft vom großen Tag deS Herrn
verschlungen wurde! Sie ahnten nicht, daß, indem sie die Konsequenzen aus ihrem
Messiasglauben grübelnd weiter spannen, sie selbst die ersten Steine zu dem un¬
endlichen Bau fügten, dessen Grund vom lebenden Meister selbst gelegt worden.


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[0510] zu unterscheiden, schritt man dazu fort, einen eigenthümlichen Zwischenzustand für den Auferstandenen anzunehmen, der seinen Abschluß, seine bestimmte Grenze an der Himmelsahrtsgeschichte erhielt. Es liegt eine merkwürdige Konsequenz in dieser stetigen Ausbildung der Auferstehungssage, die freilich in ihren Ein¬ zelheiten das allmälige Anwachsen und das mühsame Zusammenschweißen dis- parater Elemente noch deutlich verräth. Aber es gehörte der Scharfsinn eines Strauß dazu, die in einen dichten Knäuel zusammengeballte Erzählung, wie sie uns vorliegt, vollständig zu entwirren und auflösend zugleich nachzuweisen, wie die Fäden sich in einander geschlungen haben. Die ganze Phänomenologie der Auferstehungssage ist einer der meisterhaftesten Abschnitte seines neuen Buchs. Aber während so die ausschmückende Sage gleichsam im innersten Heilig- thum der Gemeinde Bild zum Bilde, Ereignis) zum Ereigniß, Wunder zum Wunder fügte, hatte auch das Bekenntniß der Gemeinde dorther seinen bestimm¬ ten Inhalt genommen. Alles was Jesus selbst als die Kennzeichen und For¬ derungen seines Reichs bezeichnet hatte, jene unmittelbare Verwirklichung des religiösen Ideals durch eine selbstlose Gottes- und Menschenliebe, trat jetzt zurück gegen die neu in den Gemüthern befestigte Thatsache von der Mcssianität Jesu und gegen die Erwartung der künftigen Zeiten der Erfüllung. Je angestreng¬ ter der geistige Kampf der Jünger gewesen war, um sich der Mcssianität Jesu zu versichern, um so mehr ging nun ihre Predigt auf in dem einen Satze, daß Jesus von Nazareth der Messias ist, welcher dereinst wiederkommen wird. Nicht als ob sie jene sittlichen Forderungen vergessen hätten; tief genug hatten sich die goldenen Worte Jesu in ihre Herzen eingegraben. Allein die Sitt¬ lichkeit, welche Jesus um ihrer selbst willen gelehrt hatte, und deren Verwirk¬ lichung in theokratischer Form er erst gegen das Ende seines Lebens in voraus- grcifender Hoffnung in einer nahen Zukunft gedacht haben mochte, ward nun in ganz bestimmte Beziehung gesetzt zu dem kommenden Reich, sie war nur die Vorbereitung für die zu erwartenden Zeiten. Sie war nur das Mittel, das Kommen des Menschensohns mit den Wolken des Himmels war das Ziel. Von der irdischen Gestalt ihres gekreuzigten Meisters rissen sie sich los und fixirten ihre Blicke auf sein künftiges Erscheinen in der Herrlichkeit Gottes. Sie hat¬ ten schließlich doch nur dadurch die Mcssianität Jesu mit seinem Schicksal zu vereinigen gewußt, daß sie vom kommenden Messias das erwarteten, was der lebende nicht geleistet hatte. Er war gleichsam nur der Vorläufer seiner selbst gewesen. Ihr ganzes Bewußtsein füllte sich aus mit den Bildern der Zukunft. Ihre Weltanschauung ward eine phantastische. Was war ihnen das gegenwär¬ tige Leben, wenn es doch in einer nahen Zukunft vom großen Tag deS Herrn verschlungen wurde! Sie ahnten nicht, daß, indem sie die Konsequenzen aus ihrem Messiasglauben grübelnd weiter spannen, sie selbst die ersten Steine zu dem un¬ endlichen Bau fügten, dessen Grund vom lebenden Meister selbst gelegt worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/510>, abgerufen am 21.10.2024.