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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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die mythenbildende Phantasie der Gemeinde zum Stifter des Christenthums
machen.

Aber die geschichtliche Ansicht hat sich nicht damit zu begnügen, die Wider¬
sprüche in der evangelischen Erzählung aufzudecken und diese als Mythus nach¬
zuweisen. Sie muß sich vielmehr bemühen, das Dunkel aufzuhellen, in welches
die Zeiten unmittelbar nach dem Tode Jesu eingehüllt sind. Freilich nicht so,
als ob es ihre Aufgabe wäre, irgendeinen sogenannten geschichtlichen Kern aus
dem Auferstehungsmythus herauszuschälen. Dies war das Bemühen des älteren
und neueren Nationalismus, der aber, blos auf die Beseitigung des Wunder¬
baren bedacht, bald zu der Annahme eines Leichendiebstahles, bald zu der noch
widerlicheren Auskunft, daß das Leben aus dem Körper des Gekreuzigten noch
nicht völlig entflohen gewesen sei, die Zuflucht nehmen mußte. Diejenige That¬
sache, an welche die Geschichte sich zu halten hat, ist keine andere, als der
Glaube der Jünger an die Auferstehung. Hier haben wir eine unzweifel¬
haft historische Thatsache. Die Frage ist nicht die: was ist an den Aufcrstehungs-
berichten Geschichtliches, sondern: wie konnte der Glaube der Jünger an den
Auferstandenen sich bilden? So gestellt ist freilich die Frage um so schwieriger
zu beantworten, als wir damit auf das Gebiet subjectiver, psychologischer Vor¬
gänge verwiesen sind, welche sich der Natur der Sache nach einer genauen
Analyse entziehen, noch ganz abgesehen davon, daß die an sich einfachen und
natürlichen Borgänge durch die materialistisch ausgebildete Sage überwuchert
sind. Dennoch ist es uns noch möglich, wenigstens die Elemente zu erkennen,
aus welchen jener unendlich folgenschwere Glaube sich gebildet hat. Denn
nicht auf der Thatsache der Auferstehung, wohl aber auf der innersten Ueber¬
zeugung der Jünger, daß ihr gekreuzigter Meister die Fesseln des Grabes ge¬
sprengt habe, beruhte ihr Muth, die Sache Jesu fortzusetzen und ihre Gemein¬
schaft aufrecht zu halten.

Wären die evangelischen Erzähler unmittelbare Jünger Jesu, die folglich
aus eigener Erfahrung und Erinnerung von den Erscheinungen des Auferstan¬
denen berichteten, so würden wir diese ohne Zweifel ganz in derselben Art er¬
zählt lesen, wie Paulus von der ihm selbst zu Theil gewordenen Christus¬
erscheinung spricht. Der Apostel Paulus ist der älteste Gewährsmann für die
Auferstehung Jesu. Der Beweis für dieselbe ist ihm neben dem Zeugniß der
älteren Apostel seine eigene Erfahrung, daß nämlich der Auferstandene ihm
selbst erschienen ist, und, was nun die Hauptsache ist: die ihm zu Theil ge¬
wordene Erscheinung oder Erscheinungen -- denn er spricht auch von wieder¬
holten Offenbarungen -- stellt er ganz in dieselbe Linie mit denjenigen, welcher
die älteren Apostel sich rühmten. Er betont es mit eifersüchtigen Stolze, daß
ihm der Auferstandene ebensogut sich gezeigt habe wie den Urapostcln, daß
seine Erscheinung eine ebenbürtige, Vollgiltige gewesen sei, von gleichem Werth


Grenzboten III. 1864. 63

die mythenbildende Phantasie der Gemeinde zum Stifter des Christenthums
machen.

Aber die geschichtliche Ansicht hat sich nicht damit zu begnügen, die Wider¬
sprüche in der evangelischen Erzählung aufzudecken und diese als Mythus nach¬
zuweisen. Sie muß sich vielmehr bemühen, das Dunkel aufzuhellen, in welches
die Zeiten unmittelbar nach dem Tode Jesu eingehüllt sind. Freilich nicht so,
als ob es ihre Aufgabe wäre, irgendeinen sogenannten geschichtlichen Kern aus
dem Auferstehungsmythus herauszuschälen. Dies war das Bemühen des älteren
und neueren Nationalismus, der aber, blos auf die Beseitigung des Wunder¬
baren bedacht, bald zu der Annahme eines Leichendiebstahles, bald zu der noch
widerlicheren Auskunft, daß das Leben aus dem Körper des Gekreuzigten noch
nicht völlig entflohen gewesen sei, die Zuflucht nehmen mußte. Diejenige That¬
sache, an welche die Geschichte sich zu halten hat, ist keine andere, als der
Glaube der Jünger an die Auferstehung. Hier haben wir eine unzweifel¬
haft historische Thatsache. Die Frage ist nicht die: was ist an den Aufcrstehungs-
berichten Geschichtliches, sondern: wie konnte der Glaube der Jünger an den
Auferstandenen sich bilden? So gestellt ist freilich die Frage um so schwieriger
zu beantworten, als wir damit auf das Gebiet subjectiver, psychologischer Vor¬
gänge verwiesen sind, welche sich der Natur der Sache nach einer genauen
Analyse entziehen, noch ganz abgesehen davon, daß die an sich einfachen und
natürlichen Borgänge durch die materialistisch ausgebildete Sage überwuchert
sind. Dennoch ist es uns noch möglich, wenigstens die Elemente zu erkennen,
aus welchen jener unendlich folgenschwere Glaube sich gebildet hat. Denn
nicht auf der Thatsache der Auferstehung, wohl aber auf der innersten Ueber¬
zeugung der Jünger, daß ihr gekreuzigter Meister die Fesseln des Grabes ge¬
sprengt habe, beruhte ihr Muth, die Sache Jesu fortzusetzen und ihre Gemein¬
schaft aufrecht zu halten.

Wären die evangelischen Erzähler unmittelbare Jünger Jesu, die folglich
aus eigener Erfahrung und Erinnerung von den Erscheinungen des Auferstan¬
denen berichteten, so würden wir diese ohne Zweifel ganz in derselben Art er¬
zählt lesen, wie Paulus von der ihm selbst zu Theil gewordenen Christus¬
erscheinung spricht. Der Apostel Paulus ist der älteste Gewährsmann für die
Auferstehung Jesu. Der Beweis für dieselbe ist ihm neben dem Zeugniß der
älteren Apostel seine eigene Erfahrung, daß nämlich der Auferstandene ihm
selbst erschienen ist, und, was nun die Hauptsache ist: die ihm zu Theil ge¬
wordene Erscheinung oder Erscheinungen — denn er spricht auch von wieder¬
holten Offenbarungen — stellt er ganz in dieselbe Linie mit denjenigen, welcher
die älteren Apostel sich rühmten. Er betont es mit eifersüchtigen Stolze, daß
ihm der Auferstandene ebensogut sich gezeigt habe wie den Urapostcln, daß
seine Erscheinung eine ebenbürtige, Vollgiltige gewesen sei, von gleichem Werth


Grenzboten III. 1864. 63
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[0505] die mythenbildende Phantasie der Gemeinde zum Stifter des Christenthums machen. Aber die geschichtliche Ansicht hat sich nicht damit zu begnügen, die Wider¬ sprüche in der evangelischen Erzählung aufzudecken und diese als Mythus nach¬ zuweisen. Sie muß sich vielmehr bemühen, das Dunkel aufzuhellen, in welches die Zeiten unmittelbar nach dem Tode Jesu eingehüllt sind. Freilich nicht so, als ob es ihre Aufgabe wäre, irgendeinen sogenannten geschichtlichen Kern aus dem Auferstehungsmythus herauszuschälen. Dies war das Bemühen des älteren und neueren Nationalismus, der aber, blos auf die Beseitigung des Wunder¬ baren bedacht, bald zu der Annahme eines Leichendiebstahles, bald zu der noch widerlicheren Auskunft, daß das Leben aus dem Körper des Gekreuzigten noch nicht völlig entflohen gewesen sei, die Zuflucht nehmen mußte. Diejenige That¬ sache, an welche die Geschichte sich zu halten hat, ist keine andere, als der Glaube der Jünger an die Auferstehung. Hier haben wir eine unzweifel¬ haft historische Thatsache. Die Frage ist nicht die: was ist an den Aufcrstehungs- berichten Geschichtliches, sondern: wie konnte der Glaube der Jünger an den Auferstandenen sich bilden? So gestellt ist freilich die Frage um so schwieriger zu beantworten, als wir damit auf das Gebiet subjectiver, psychologischer Vor¬ gänge verwiesen sind, welche sich der Natur der Sache nach einer genauen Analyse entziehen, noch ganz abgesehen davon, daß die an sich einfachen und natürlichen Borgänge durch die materialistisch ausgebildete Sage überwuchert sind. Dennoch ist es uns noch möglich, wenigstens die Elemente zu erkennen, aus welchen jener unendlich folgenschwere Glaube sich gebildet hat. Denn nicht auf der Thatsache der Auferstehung, wohl aber auf der innersten Ueber¬ zeugung der Jünger, daß ihr gekreuzigter Meister die Fesseln des Grabes ge¬ sprengt habe, beruhte ihr Muth, die Sache Jesu fortzusetzen und ihre Gemein¬ schaft aufrecht zu halten. Wären die evangelischen Erzähler unmittelbare Jünger Jesu, die folglich aus eigener Erfahrung und Erinnerung von den Erscheinungen des Auferstan¬ denen berichteten, so würden wir diese ohne Zweifel ganz in derselben Art er¬ zählt lesen, wie Paulus von der ihm selbst zu Theil gewordenen Christus¬ erscheinung spricht. Der Apostel Paulus ist der älteste Gewährsmann für die Auferstehung Jesu. Der Beweis für dieselbe ist ihm neben dem Zeugniß der älteren Apostel seine eigene Erfahrung, daß nämlich der Auferstandene ihm selbst erschienen ist, und, was nun die Hauptsache ist: die ihm zu Theil ge¬ wordene Erscheinung oder Erscheinungen — denn er spricht auch von wieder¬ holten Offenbarungen — stellt er ganz in dieselbe Linie mit denjenigen, welcher die älteren Apostel sich rühmten. Er betont es mit eifersüchtigen Stolze, daß ihm der Auferstandene ebensogut sich gezeigt habe wie den Urapostcln, daß seine Erscheinung eine ebenbürtige, Vollgiltige gewesen sei, von gleichem Werth Grenzboten III. 1864. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/505>, abgerufen am 28.09.2024.