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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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künstlerischen Arbeit. Se. Vitale ist ein redendes Zeugniß dafür. Die Mo-
saisten dieser Epoche verrathen deutlich, wie sehr sie an Kenntniß der Formen,
an Geschmack der Anordnung unter ihren Vorgängern stehen. Es ist in ihren
Werken das Streben bemerkbar, das mangelnde Können im Großen durch Fleiß
im Kleinen zu ersetzen. Sie Verfahren minutiös in der Ausführung und wäh¬
len blendenderes Material; Züge, die, wie aller Orten, so auch zum ersten Male
in der neuen Kunst den einreihenden Naturalismus begleiten. Wenig Jahre
seit jener schönen Höhe der Darstellung, wie sie oben angedeutet wurde, und
die Formen ersterben, Leben und Bewegung machen in den bildlichen Darstel¬
lungen roheren materiellen Wlrlungönütteln Platz; nur in der Anordnung der
Ornamente und in ihrem Gesammtton dauert die Meisterschaft.

Immerhin behielt die neugriechische Kunstweise Kraft genug, um in den
folgenden Jahrhunderten theils auf Rom zurückzuwirken, theils nach andern
Richtungen in Italien sich zu verbreiten. Zahlreiche Werke, in unsrem Buche
genau verzeichnet und beschrieben, beurkunden diesen Einfluß; aber alle bestä¬
tigen mehr oder minder die Wahrnehmung, daß das Gute und Echte dieser
ravennatischen Leistungen nicht mehr den Boden fand, um zu haften und fort¬
dauernd regenerirende Wirkung zu üben. Ob die byzantinischen Mosaisten, die
nach Leo vor Ostia um 1070 in Montecassino in Unteritalien gearbeitet haben
sollen, bessere Künstler waren als ihre römischen Zeitgenossen, ist eine Frage
um Kaisers Bart; denn von threr Arbeit ist nichts übrig geblieben. Ueberreste
in Capua jedoch nöthigen nach der Stükritik zu der Annahme, daß hin und
wieder in Unteritalien im elften Jahrhundert wohl Künstler aus Griechenland
und Konstantinopel thätig gewesen sind, daß aber ihre Arbeiten keineswegs
werthvoller waren als die ihrer Zeitgenossen in Rom oder Mailand. Die gleich¬
zeitigen Bilder von Se. Angelo in Forints bei Capua haben fast gar keinen
künstlerischen Werth mehr. Was sie geschichtlich interessant macht sind neben
dem Umstände, daß sie als reine Specimina der Entartung des Byzantinischen
dasteyn, zwei Momente andrer Art: sie zeigen zum ersten Male eine syste¬
matische Ausschmückung und diese besteht in der ersten bekannten Darstellung
des jüngsten Gerichts, dieses nachmals so allgemein vorherrschenden Gegenstan¬
des. Was Amalfi. Otranto, Ovellino und andre süditalienische Orte von solchen
Produkten ausweisen, ist diesen corrupt byzantinischen Leistungen ebenbürtig.

Man würde der nachhaltigen Kraft der griechischen Antike Unrecht thun,
wollte man behaupten, daß diese Ueberreste in Süditalien den Maßstab für die
Leistungsfähigkeit der damaligen Byzantiner abgaben. Es muß berücksichtigt
werden, daß die bilderstürmerische Epoche die Kunstübung in Konstantinopel
ziemlich lange unterbrochen hatte. Sie begann sich aber bald wieder sehr tüch-
tig zu regen. Die Thore der Kathedralen von Amalfi und Salerno, welche in
die Jahre 1000 und 1100 zurückweisen, sind stattliche Beispiele dafür. Zu ihrer


Grenzboten III. 1864. 62

künstlerischen Arbeit. Se. Vitale ist ein redendes Zeugniß dafür. Die Mo-
saisten dieser Epoche verrathen deutlich, wie sehr sie an Kenntniß der Formen,
an Geschmack der Anordnung unter ihren Vorgängern stehen. Es ist in ihren
Werken das Streben bemerkbar, das mangelnde Können im Großen durch Fleiß
im Kleinen zu ersetzen. Sie Verfahren minutiös in der Ausführung und wäh¬
len blendenderes Material; Züge, die, wie aller Orten, so auch zum ersten Male
in der neuen Kunst den einreihenden Naturalismus begleiten. Wenig Jahre
seit jener schönen Höhe der Darstellung, wie sie oben angedeutet wurde, und
die Formen ersterben, Leben und Bewegung machen in den bildlichen Darstel¬
lungen roheren materiellen Wlrlungönütteln Platz; nur in der Anordnung der
Ornamente und in ihrem Gesammtton dauert die Meisterschaft.

Immerhin behielt die neugriechische Kunstweise Kraft genug, um in den
folgenden Jahrhunderten theils auf Rom zurückzuwirken, theils nach andern
Richtungen in Italien sich zu verbreiten. Zahlreiche Werke, in unsrem Buche
genau verzeichnet und beschrieben, beurkunden diesen Einfluß; aber alle bestä¬
tigen mehr oder minder die Wahrnehmung, daß das Gute und Echte dieser
ravennatischen Leistungen nicht mehr den Boden fand, um zu haften und fort¬
dauernd regenerirende Wirkung zu üben. Ob die byzantinischen Mosaisten, die
nach Leo vor Ostia um 1070 in Montecassino in Unteritalien gearbeitet haben
sollen, bessere Künstler waren als ihre römischen Zeitgenossen, ist eine Frage
um Kaisers Bart; denn von threr Arbeit ist nichts übrig geblieben. Ueberreste
in Capua jedoch nöthigen nach der Stükritik zu der Annahme, daß hin und
wieder in Unteritalien im elften Jahrhundert wohl Künstler aus Griechenland
und Konstantinopel thätig gewesen sind, daß aber ihre Arbeiten keineswegs
werthvoller waren als die ihrer Zeitgenossen in Rom oder Mailand. Die gleich¬
zeitigen Bilder von Se. Angelo in Forints bei Capua haben fast gar keinen
künstlerischen Werth mehr. Was sie geschichtlich interessant macht sind neben
dem Umstände, daß sie als reine Specimina der Entartung des Byzantinischen
dasteyn, zwei Momente andrer Art: sie zeigen zum ersten Male eine syste¬
matische Ausschmückung und diese besteht in der ersten bekannten Darstellung
des jüngsten Gerichts, dieses nachmals so allgemein vorherrschenden Gegenstan¬
des. Was Amalfi. Otranto, Ovellino und andre süditalienische Orte von solchen
Produkten ausweisen, ist diesen corrupt byzantinischen Leistungen ebenbürtig.

Man würde der nachhaltigen Kraft der griechischen Antike Unrecht thun,
wollte man behaupten, daß diese Ueberreste in Süditalien den Maßstab für die
Leistungsfähigkeit der damaligen Byzantiner abgaben. Es muß berücksichtigt
werden, daß die bilderstürmerische Epoche die Kunstübung in Konstantinopel
ziemlich lange unterbrochen hatte. Sie begann sich aber bald wieder sehr tüch-
tig zu regen. Die Thore der Kathedralen von Amalfi und Salerno, welche in
die Jahre 1000 und 1100 zurückweisen, sind stattliche Beispiele dafür. Zu ihrer


Grenzboten III. 1864. 62
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[0497] künstlerischen Arbeit. Se. Vitale ist ein redendes Zeugniß dafür. Die Mo- saisten dieser Epoche verrathen deutlich, wie sehr sie an Kenntniß der Formen, an Geschmack der Anordnung unter ihren Vorgängern stehen. Es ist in ihren Werken das Streben bemerkbar, das mangelnde Können im Großen durch Fleiß im Kleinen zu ersetzen. Sie Verfahren minutiös in der Ausführung und wäh¬ len blendenderes Material; Züge, die, wie aller Orten, so auch zum ersten Male in der neuen Kunst den einreihenden Naturalismus begleiten. Wenig Jahre seit jener schönen Höhe der Darstellung, wie sie oben angedeutet wurde, und die Formen ersterben, Leben und Bewegung machen in den bildlichen Darstel¬ lungen roheren materiellen Wlrlungönütteln Platz; nur in der Anordnung der Ornamente und in ihrem Gesammtton dauert die Meisterschaft. Immerhin behielt die neugriechische Kunstweise Kraft genug, um in den folgenden Jahrhunderten theils auf Rom zurückzuwirken, theils nach andern Richtungen in Italien sich zu verbreiten. Zahlreiche Werke, in unsrem Buche genau verzeichnet und beschrieben, beurkunden diesen Einfluß; aber alle bestä¬ tigen mehr oder minder die Wahrnehmung, daß das Gute und Echte dieser ravennatischen Leistungen nicht mehr den Boden fand, um zu haften und fort¬ dauernd regenerirende Wirkung zu üben. Ob die byzantinischen Mosaisten, die nach Leo vor Ostia um 1070 in Montecassino in Unteritalien gearbeitet haben sollen, bessere Künstler waren als ihre römischen Zeitgenossen, ist eine Frage um Kaisers Bart; denn von threr Arbeit ist nichts übrig geblieben. Ueberreste in Capua jedoch nöthigen nach der Stükritik zu der Annahme, daß hin und wieder in Unteritalien im elften Jahrhundert wohl Künstler aus Griechenland und Konstantinopel thätig gewesen sind, daß aber ihre Arbeiten keineswegs werthvoller waren als die ihrer Zeitgenossen in Rom oder Mailand. Die gleich¬ zeitigen Bilder von Se. Angelo in Forints bei Capua haben fast gar keinen künstlerischen Werth mehr. Was sie geschichtlich interessant macht sind neben dem Umstände, daß sie als reine Specimina der Entartung des Byzantinischen dasteyn, zwei Momente andrer Art: sie zeigen zum ersten Male eine syste¬ matische Ausschmückung und diese besteht in der ersten bekannten Darstellung des jüngsten Gerichts, dieses nachmals so allgemein vorherrschenden Gegenstan¬ des. Was Amalfi. Otranto, Ovellino und andre süditalienische Orte von solchen Produkten ausweisen, ist diesen corrupt byzantinischen Leistungen ebenbürtig. Man würde der nachhaltigen Kraft der griechischen Antike Unrecht thun, wollte man behaupten, daß diese Ueberreste in Süditalien den Maßstab für die Leistungsfähigkeit der damaligen Byzantiner abgaben. Es muß berücksichtigt werden, daß die bilderstürmerische Epoche die Kunstübung in Konstantinopel ziemlich lange unterbrochen hatte. Sie begann sich aber bald wieder sehr tüch- tig zu regen. Die Thore der Kathedralen von Amalfi und Salerno, welche in die Jahre 1000 und 1100 zurückweisen, sind stattliche Beispiele dafür. Zu ihrer Grenzboten III. 1864. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/497>, abgerufen am 28.09.2024.