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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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scheinbar ohne Empfindung der unorganischen Zufälligkeit, welche in der Ver¬
bindung ihres neuen Inhalts mit den alten Formen lag. Es muß wiederholt
werden: was die frühen Katakombenbilder zunächst Originelles aufweisen, ist in
der Mehrzahl der Fälle das Erzeugnis; einer gutmeinenden Stümperei. Dabei
wird billigerweise nicht zu vergessen sein, daß sie wohl meist ihren Ursprung
niederen Handwerkern und Laien verdanken, die sich selbst mit sammt den gläubigen
Gemeindcgenosscn um so eher zufrieden stellen konnten, als die urchristliche
Scheu, das Ewige durch Linien zu umschreiben, diese ganze Kunstthätigkeit
fast ausschließlich auf das Symbol anwies, das eben den Anspruch hat als eine
Schrift in Figuren auftreten zu dürfen und sich mit Andeutungen zu begnügen,
wo gebildetes ästhetisches Gefühl Ausführung und Eigentlichkeit verlangt.

Dies sowohl wie die obige Auffassung der Abweichungen vom Herkömm¬
lichen bestätigt sich durch den Umstand, daß die Arbeit in dem Maße der Frei¬
heit, mit der man verfährt, auch werthloser, d. h. roher und flüchtiger wird.
Die einfache, fast ärmliche Technik dieser Fresken beherrscht -- sei es nun mit
oder ohne Bewußtsein -- scheinbar nur das eine Gesetz, mittels Heller Farben
den düstern Wänden der unterirdischen Gemächer Licht zuzuführen. Keine
Farbcnmodellirung, wenig Abwechselung in ihrer Wahl, nur scharfe Conturen
sind gegeben, welche in der Regel mit einförmiger Localfarbc gefüllt werden.
Ans Tageslicht versetzt nehmen sich diese Bilder wie Gewächse aus, die man
im Keller gezogen hat oder wie jene weichliche Vegetation, die von Natur unter der
Erde wuchert und der Farben ermangelt, welche nur die Sonne erzeugen kann.

Es dauerte eine gute Zeit, ehe diese Kunst in Rom wie in Neapel, wo
sie gleichzeitig blühte und noch heute in zahlreichen Ueberresten vertreten ist,
hinsichtlich ihrer Gegenstände aus der blassen Ausdrucksweise des Symbols sich
zur Darstellung der Wirklichkeit erhob. Die ersten Jahrhunderte der Katakomben
zeigen den Gottmenschen nur in seiner Kindesgestalt, schon damals mit der Mutter
vereint, der aber noch jene erhabene Qualität fehlt, die sie nachmals erlangte. So
zeigen z. B. zwei der ältesten Katakombenbilder, das eine bei S. Calisto, das andre
bei Sta. Agnese in Rom, welche dem dritten oder vierten Jahrhundert zuzuschreiben
sind, ziemlich übereinstimmend die Jungfrau wie sie, das Kind auf den Knieen,
die Gaben der Magier entgegennimmt. Aehnliches findet sich aus derselben
Periode in den Katakomben von S. Marcellino e Pietro. Hier und anderwärts,
wo ebenfalls Scenen aus dem Leben der Maria dargestellt find, umgeben sie
Gestalten von Propheten, welche auf ihre Erscheinung hingewiesen haben.

Den Heiland in seiner Männlichkeit und Majestät darzustellen wagt zu
dieser Zeit noch Keiner. Er erscheint mannigfaltig symbolisirt, als guter Hirt,
als Orpheus und in andern Gestalten. Die Götterboten werden den antiken
Victorien nachgebildet; das Volk der Jsraeliten tritt als cäsarische Legion aus;
Propheten und heilige Männer, die man in der Absicht malte, sie in ihrer


scheinbar ohne Empfindung der unorganischen Zufälligkeit, welche in der Ver¬
bindung ihres neuen Inhalts mit den alten Formen lag. Es muß wiederholt
werden: was die frühen Katakombenbilder zunächst Originelles aufweisen, ist in
der Mehrzahl der Fälle das Erzeugnis; einer gutmeinenden Stümperei. Dabei
wird billigerweise nicht zu vergessen sein, daß sie wohl meist ihren Ursprung
niederen Handwerkern und Laien verdanken, die sich selbst mit sammt den gläubigen
Gemeindcgenosscn um so eher zufrieden stellen konnten, als die urchristliche
Scheu, das Ewige durch Linien zu umschreiben, diese ganze Kunstthätigkeit
fast ausschließlich auf das Symbol anwies, das eben den Anspruch hat als eine
Schrift in Figuren auftreten zu dürfen und sich mit Andeutungen zu begnügen,
wo gebildetes ästhetisches Gefühl Ausführung und Eigentlichkeit verlangt.

Dies sowohl wie die obige Auffassung der Abweichungen vom Herkömm¬
lichen bestätigt sich durch den Umstand, daß die Arbeit in dem Maße der Frei¬
heit, mit der man verfährt, auch werthloser, d. h. roher und flüchtiger wird.
Die einfache, fast ärmliche Technik dieser Fresken beherrscht — sei es nun mit
oder ohne Bewußtsein — scheinbar nur das eine Gesetz, mittels Heller Farben
den düstern Wänden der unterirdischen Gemächer Licht zuzuführen. Keine
Farbcnmodellirung, wenig Abwechselung in ihrer Wahl, nur scharfe Conturen
sind gegeben, welche in der Regel mit einförmiger Localfarbc gefüllt werden.
Ans Tageslicht versetzt nehmen sich diese Bilder wie Gewächse aus, die man
im Keller gezogen hat oder wie jene weichliche Vegetation, die von Natur unter der
Erde wuchert und der Farben ermangelt, welche nur die Sonne erzeugen kann.

Es dauerte eine gute Zeit, ehe diese Kunst in Rom wie in Neapel, wo
sie gleichzeitig blühte und noch heute in zahlreichen Ueberresten vertreten ist,
hinsichtlich ihrer Gegenstände aus der blassen Ausdrucksweise des Symbols sich
zur Darstellung der Wirklichkeit erhob. Die ersten Jahrhunderte der Katakomben
zeigen den Gottmenschen nur in seiner Kindesgestalt, schon damals mit der Mutter
vereint, der aber noch jene erhabene Qualität fehlt, die sie nachmals erlangte. So
zeigen z. B. zwei der ältesten Katakombenbilder, das eine bei S. Calisto, das andre
bei Sta. Agnese in Rom, welche dem dritten oder vierten Jahrhundert zuzuschreiben
sind, ziemlich übereinstimmend die Jungfrau wie sie, das Kind auf den Knieen,
die Gaben der Magier entgegennimmt. Aehnliches findet sich aus derselben
Periode in den Katakomben von S. Marcellino e Pietro. Hier und anderwärts,
wo ebenfalls Scenen aus dem Leben der Maria dargestellt find, umgeben sie
Gestalten von Propheten, welche auf ihre Erscheinung hingewiesen haben.

Den Heiland in seiner Männlichkeit und Majestät darzustellen wagt zu
dieser Zeit noch Keiner. Er erscheint mannigfaltig symbolisirt, als guter Hirt,
als Orpheus und in andern Gestalten. Die Götterboten werden den antiken
Victorien nachgebildet; das Volk der Jsraeliten tritt als cäsarische Legion aus;
Propheten und heilige Männer, die man in der Absicht malte, sie in ihrer


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[0495] scheinbar ohne Empfindung der unorganischen Zufälligkeit, welche in der Ver¬ bindung ihres neuen Inhalts mit den alten Formen lag. Es muß wiederholt werden: was die frühen Katakombenbilder zunächst Originelles aufweisen, ist in der Mehrzahl der Fälle das Erzeugnis; einer gutmeinenden Stümperei. Dabei wird billigerweise nicht zu vergessen sein, daß sie wohl meist ihren Ursprung niederen Handwerkern und Laien verdanken, die sich selbst mit sammt den gläubigen Gemeindcgenosscn um so eher zufrieden stellen konnten, als die urchristliche Scheu, das Ewige durch Linien zu umschreiben, diese ganze Kunstthätigkeit fast ausschließlich auf das Symbol anwies, das eben den Anspruch hat als eine Schrift in Figuren auftreten zu dürfen und sich mit Andeutungen zu begnügen, wo gebildetes ästhetisches Gefühl Ausführung und Eigentlichkeit verlangt. Dies sowohl wie die obige Auffassung der Abweichungen vom Herkömm¬ lichen bestätigt sich durch den Umstand, daß die Arbeit in dem Maße der Frei¬ heit, mit der man verfährt, auch werthloser, d. h. roher und flüchtiger wird. Die einfache, fast ärmliche Technik dieser Fresken beherrscht — sei es nun mit oder ohne Bewußtsein — scheinbar nur das eine Gesetz, mittels Heller Farben den düstern Wänden der unterirdischen Gemächer Licht zuzuführen. Keine Farbcnmodellirung, wenig Abwechselung in ihrer Wahl, nur scharfe Conturen sind gegeben, welche in der Regel mit einförmiger Localfarbc gefüllt werden. Ans Tageslicht versetzt nehmen sich diese Bilder wie Gewächse aus, die man im Keller gezogen hat oder wie jene weichliche Vegetation, die von Natur unter der Erde wuchert und der Farben ermangelt, welche nur die Sonne erzeugen kann. Es dauerte eine gute Zeit, ehe diese Kunst in Rom wie in Neapel, wo sie gleichzeitig blühte und noch heute in zahlreichen Ueberresten vertreten ist, hinsichtlich ihrer Gegenstände aus der blassen Ausdrucksweise des Symbols sich zur Darstellung der Wirklichkeit erhob. Die ersten Jahrhunderte der Katakomben zeigen den Gottmenschen nur in seiner Kindesgestalt, schon damals mit der Mutter vereint, der aber noch jene erhabene Qualität fehlt, die sie nachmals erlangte. So zeigen z. B. zwei der ältesten Katakombenbilder, das eine bei S. Calisto, das andre bei Sta. Agnese in Rom, welche dem dritten oder vierten Jahrhundert zuzuschreiben sind, ziemlich übereinstimmend die Jungfrau wie sie, das Kind auf den Knieen, die Gaben der Magier entgegennimmt. Aehnliches findet sich aus derselben Periode in den Katakomben von S. Marcellino e Pietro. Hier und anderwärts, wo ebenfalls Scenen aus dem Leben der Maria dargestellt find, umgeben sie Gestalten von Propheten, welche auf ihre Erscheinung hingewiesen haben. Den Heiland in seiner Männlichkeit und Majestät darzustellen wagt zu dieser Zeit noch Keiner. Er erscheint mannigfaltig symbolisirt, als guter Hirt, als Orpheus und in andern Gestalten. Die Götterboten werden den antiken Victorien nachgebildet; das Volk der Jsraeliten tritt als cäsarische Legion aus; Propheten und heilige Männer, die man in der Absicht malte, sie in ihrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/495>, abgerufen am 28.09.2024.