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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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hältniß zur Antike, und die Kritik wird selbst den herrlichen Werken der Pisani,
welche die Stadt aufweist, nach der sie den Namen führen, nicht Unrecht thun,
wenn sie den Werth derselben durch diese Bemerkung ein wenig einschränkt. Diesen
trefflichen Künstlern sind die alten Formen noch zweifellos anerkannte Dogmen;
Natur und Antike sind ihnen noch nicht eigentlich zum künstlerischen Problem
geworden, sie empfinden noch wenig oder nichts von der Mühsal, diese beiden
Instanzen auseinanderzusetzen, haben -- um so zu sagen -- die Antike nicht
gesucht, sondern nur gefunden. Ohne Kampf geben sie sich an die Tradition
hin, freilich aber mit lebendigeren Sinn für ihr Wesen und darum auch mit
besserem Gelingen als ihre Vorgänger. Und diese Vorgänger find ebensowenig
wie die ursprüngliche Heimath dieser schlechthin als "Pisaner" bezeichneten Bild¬
hauer in Oberitalien zu suchen. Das Erstere wird jeder aufmerksame Beschauer
der pisanischen Bildcrwcrke bestätigt finden, wenn er die Denkmäler aus der
ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts mustert. Denn es giebt dort kein
einziges Ueberbleibsel, was der Kunst der Pisani nur halbwegs ebenbürtig
wäre. Ihre Familie wie ihre Kunstweise stammt aller Wahrscheinlichkeit nach
aus dem Süden. Pietro ti Apulia, der Bater Niccola's. wird es gewesen sein,
der, wie es in jener Zeit der Machtblüthe Pisas häufig vorkam, von dort,
aus irgendeiner der kleinen süditalienischen Republiken auswanderte; und eben jene
Orte, um die sich Pisa mit den Normannen vertrug, sind es, wo noch bis zu
diesem Zeitpunkt ein Stil gepflegt ward, welcher dem der Pisani direct ver¬
wandt ist. Mr nennen nur Ravello bei Amalfi und außerdem Foggia, wo
der Kunstsinn Kaiser Friedrichs des Zweiten sehr tüchtige Meister beschäftigte.
Vom Süden aber empfing, wie wir ferner beobachten werden, die gesammte
Kunstthätigkeit einen neuen erfolgreichen Anstoß. Es sei hier nur auf den
Punkt hingewiesen, an welchen den Untersuchungen unserer Autoren zufolge
sich die Verbindung vollzieht, die sich, wenn wir die weitere Entwicklung der
Sculptur im Norden ins Auge fassen, fast als eine Auswanderung der Kunst
Apuliens nach Toskana darstellt. Wenn wir nun aber auch das Bedenken gegen
den innern Werth der Werke der Pisani gelten lassen und der gleichzeitigen
Malerei gern das Verdienst größerer künstlerischer Ursprünglichkeit, selbständigerer
Verfolgung eines eigenen Weges zum neuen Ideale einräumen; es bleibt den¬
noch seltsam, daß sich von der schönen plastischen Formgebung nicht mehr noch
auf die malerische übertrug. Ein solcher Abstand bleibt in gewissem Grade bis
in die Zeit hin bemerkbar, da sich die beiden Künste des gemeinsamen Zieles
und der gemeinsamen Vorbilder völlig bewußt geworden sind.

Wir kehren nach diesem beiläufigen Excurse in den Gang unsrer ersten
Betrachtung zurück und halten zunächst fest, daß im Anfange der christlichen
Kunstübung die Malerei allerdings dem Ueberkvmmencn treu blieb. Sie that es,
weil sie nicht anders konnte und anfänglich sogar mit Behagen, wenigstens


hältniß zur Antike, und die Kritik wird selbst den herrlichen Werken der Pisani,
welche die Stadt aufweist, nach der sie den Namen führen, nicht Unrecht thun,
wenn sie den Werth derselben durch diese Bemerkung ein wenig einschränkt. Diesen
trefflichen Künstlern sind die alten Formen noch zweifellos anerkannte Dogmen;
Natur und Antike sind ihnen noch nicht eigentlich zum künstlerischen Problem
geworden, sie empfinden noch wenig oder nichts von der Mühsal, diese beiden
Instanzen auseinanderzusetzen, haben — um so zu sagen — die Antike nicht
gesucht, sondern nur gefunden. Ohne Kampf geben sie sich an die Tradition
hin, freilich aber mit lebendigeren Sinn für ihr Wesen und darum auch mit
besserem Gelingen als ihre Vorgänger. Und diese Vorgänger find ebensowenig
wie die ursprüngliche Heimath dieser schlechthin als „Pisaner" bezeichneten Bild¬
hauer in Oberitalien zu suchen. Das Erstere wird jeder aufmerksame Beschauer
der pisanischen Bildcrwcrke bestätigt finden, wenn er die Denkmäler aus der
ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts mustert. Denn es giebt dort kein
einziges Ueberbleibsel, was der Kunst der Pisani nur halbwegs ebenbürtig
wäre. Ihre Familie wie ihre Kunstweise stammt aller Wahrscheinlichkeit nach
aus dem Süden. Pietro ti Apulia, der Bater Niccola's. wird es gewesen sein,
der, wie es in jener Zeit der Machtblüthe Pisas häufig vorkam, von dort,
aus irgendeiner der kleinen süditalienischen Republiken auswanderte; und eben jene
Orte, um die sich Pisa mit den Normannen vertrug, sind es, wo noch bis zu
diesem Zeitpunkt ein Stil gepflegt ward, welcher dem der Pisani direct ver¬
wandt ist. Mr nennen nur Ravello bei Amalfi und außerdem Foggia, wo
der Kunstsinn Kaiser Friedrichs des Zweiten sehr tüchtige Meister beschäftigte.
Vom Süden aber empfing, wie wir ferner beobachten werden, die gesammte
Kunstthätigkeit einen neuen erfolgreichen Anstoß. Es sei hier nur auf den
Punkt hingewiesen, an welchen den Untersuchungen unserer Autoren zufolge
sich die Verbindung vollzieht, die sich, wenn wir die weitere Entwicklung der
Sculptur im Norden ins Auge fassen, fast als eine Auswanderung der Kunst
Apuliens nach Toskana darstellt. Wenn wir nun aber auch das Bedenken gegen
den innern Werth der Werke der Pisani gelten lassen und der gleichzeitigen
Malerei gern das Verdienst größerer künstlerischer Ursprünglichkeit, selbständigerer
Verfolgung eines eigenen Weges zum neuen Ideale einräumen; es bleibt den¬
noch seltsam, daß sich von der schönen plastischen Formgebung nicht mehr noch
auf die malerische übertrug. Ein solcher Abstand bleibt in gewissem Grade bis
in die Zeit hin bemerkbar, da sich die beiden Künste des gemeinsamen Zieles
und der gemeinsamen Vorbilder völlig bewußt geworden sind.

Wir kehren nach diesem beiläufigen Excurse in den Gang unsrer ersten
Betrachtung zurück und halten zunächst fest, daß im Anfange der christlichen
Kunstübung die Malerei allerdings dem Ueberkvmmencn treu blieb. Sie that es,
weil sie nicht anders konnte und anfänglich sogar mit Behagen, wenigstens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/494>, abgerufen am 28.09.2024.