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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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wartet werden kann, wo die Forschung einestheils von tiefe'in patriotischen
Interesse gefördert, anderntheils mit allen Hilfsmitteln technischen Verständnisses
geschärft ist, begleiten die in den Bereich der Betrachtung fallenden Kunstwerke;
eine schlichte schmucklose Darstellung, welche die Präcision des englischen Aus¬
druckes und der Beobachtung des Engländers trefflich verbindet, machen das
Buch zu einem Muster seiner Gattung.

Für uns hat es nebenher noch einen gewissen principiellen Werth. Es
ist zu vermuthen, daß es trotz seiner ungewöhnlichen Vorzüge nicht überall, wo
es der Natur seines Stoffes nach willkommen sein sollte, mit der gleichen
Empfindung aufgenommen wird. Die Kunstgeschichte hat dank der allgemeinen
reizvollen Anziehungskraft ihres Gegenstandes bis auf unsere Tage eine leidige
Ausnahmestellung erdulden müssen. Als Schooskind des banal ästhetischen
Interesses, welches an Breite ersetzen möchte, was ihm an Tiefe abgeht, ist
sie der Gemeinplatz sehr unberufener Geister geworden, ein Umstand, in wei¬
chem man einen Fluch des vasarischen Werkes zu erkennen hat. Denn es ist
eine gemeine Erfahrung, daß dergleichen Bücher gerade in den positiv ver¬
werflichen Eigenschaften am liebsten nachgeahmt werden. Auf diese Weise ist
namentlich bei uns eine große Schaar kunstgeschichtlicher Tändeleien, eine ganze
Literatur von "neuen Vasaris" dieses Schlages aufgewachsen, die erst in jüng¬
ster Zeit durch Bücher von tüchtiger Forschung und gebildetem Geschmack, wie
z. B. Grimms Darstellungen sind, allmälig verscheucht werden. Muß sich die
edle Kunst gefallen lassen, daß sich allentha.ben der impotente Dilettantismus
an sie anvettert, wie viel mehr die Kunstgeschichte, die von allen historischen
Disciplinen des polizeilichen Schutzes einer bestimmten Methode am meisten
zu entbehren scheint.

Das Fatalere ist, daß sich hinter jenes Mittelgut oft das Princip eines
sogenannten ästhetischen Zartgefühles versteckt, welches das bessere Theil der
Kunst in gleicher Weise gegen die "alte Schwiegermutter Weisheit", d. h. die
wissenschaftliche Aesthetik, wie gegen die exacte Geschichtsforschung in Schutz zu
nehmen vorgiebt. Unter Einsichtigen bedarf es jedoch keiner Auseinandersetzung
darüber, daß wirklich wissenschaftliche Behandlung aller Disciplinen, wie sie im
Zuge unsrer Zeit liegt, jedes wahrhafte und werthvolle Interesse nur fördern
und nähren kann, und daß der vermeintlich tiefere Genuß des Halbvcrständ-
nisses der Künste ein Irrthum, wenn nicht sogar eine absichtliche Täuschung
ist, die nur der geistigen Bequemlichkeit zu Gute kommt. Das Werk, von dem
Wir hier reden, wird einen förderlichen Einfluß in dieser Richtung nicht ver¬
fehlen. Freilich entzieht es uns manche mit Vorliebe gehegte Illusion über
angeblichen Sachverhalt in der Geschichte der Kunst und der Künstler, aber es
bereichert und verschärft dafür unsre Kenntniß, unsre Anschauung und unser
Urtheil in solchem Maße, daß alle herkömmlichen Lamentos von "zersetzender


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wartet werden kann, wo die Forschung einestheils von tiefe'in patriotischen
Interesse gefördert, anderntheils mit allen Hilfsmitteln technischen Verständnisses
geschärft ist, begleiten die in den Bereich der Betrachtung fallenden Kunstwerke;
eine schlichte schmucklose Darstellung, welche die Präcision des englischen Aus¬
druckes und der Beobachtung des Engländers trefflich verbindet, machen das
Buch zu einem Muster seiner Gattung.

Für uns hat es nebenher noch einen gewissen principiellen Werth. Es
ist zu vermuthen, daß es trotz seiner ungewöhnlichen Vorzüge nicht überall, wo
es der Natur seines Stoffes nach willkommen sein sollte, mit der gleichen
Empfindung aufgenommen wird. Die Kunstgeschichte hat dank der allgemeinen
reizvollen Anziehungskraft ihres Gegenstandes bis auf unsere Tage eine leidige
Ausnahmestellung erdulden müssen. Als Schooskind des banal ästhetischen
Interesses, welches an Breite ersetzen möchte, was ihm an Tiefe abgeht, ist
sie der Gemeinplatz sehr unberufener Geister geworden, ein Umstand, in wei¬
chem man einen Fluch des vasarischen Werkes zu erkennen hat. Denn es ist
eine gemeine Erfahrung, daß dergleichen Bücher gerade in den positiv ver¬
werflichen Eigenschaften am liebsten nachgeahmt werden. Auf diese Weise ist
namentlich bei uns eine große Schaar kunstgeschichtlicher Tändeleien, eine ganze
Literatur von „neuen Vasaris" dieses Schlages aufgewachsen, die erst in jüng¬
ster Zeit durch Bücher von tüchtiger Forschung und gebildetem Geschmack, wie
z. B. Grimms Darstellungen sind, allmälig verscheucht werden. Muß sich die
edle Kunst gefallen lassen, daß sich allentha.ben der impotente Dilettantismus
an sie anvettert, wie viel mehr die Kunstgeschichte, die von allen historischen
Disciplinen des polizeilichen Schutzes einer bestimmten Methode am meisten
zu entbehren scheint.

Das Fatalere ist, daß sich hinter jenes Mittelgut oft das Princip eines
sogenannten ästhetischen Zartgefühles versteckt, welches das bessere Theil der
Kunst in gleicher Weise gegen die „alte Schwiegermutter Weisheit", d. h. die
wissenschaftliche Aesthetik, wie gegen die exacte Geschichtsforschung in Schutz zu
nehmen vorgiebt. Unter Einsichtigen bedarf es jedoch keiner Auseinandersetzung
darüber, daß wirklich wissenschaftliche Behandlung aller Disciplinen, wie sie im
Zuge unsrer Zeit liegt, jedes wahrhafte und werthvolle Interesse nur fördern
und nähren kann, und daß der vermeintlich tiefere Genuß des Halbvcrständ-
nisses der Künste ein Irrthum, wenn nicht sogar eine absichtliche Täuschung
ist, die nur der geistigen Bequemlichkeit zu Gute kommt. Das Werk, von dem
Wir hier reden, wird einen förderlichen Einfluß in dieser Richtung nicht ver¬
fehlen. Freilich entzieht es uns manche mit Vorliebe gehegte Illusion über
angeblichen Sachverhalt in der Geschichte der Kunst und der Künstler, aber es
bereichert und verschärft dafür unsre Kenntniß, unsre Anschauung und unser
Urtheil in solchem Maße, daß alle herkömmlichen Lamentos von „zersetzender


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/491>, abgerufen am 28.09.2024.