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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Besonders wohlthätig hat das Umsichgreifen der Photographie für die
Portraitmalerei gewirkt, in Frankreich wie anderwärts. Für die tüchtigen Talente
als unschätzbare Lehrerin; die unbedeutenden, die Mittelmäßigkeit mehr und
mehr beseitigend und ausscheidend. Man sieht überhaupt weniger, und weit
weniger nichtsnutzige gemalte Bildnisse; der meisterhaften weit mehr. Unter
den Portraitisten par excellente steht Richard unbedingt obenan. Dubufe
und Winterhalter befriedigen heute noch ebenso vortrefflich die derartigen Be¬
dürfnisse der eleganten, vornehmen und schönen Welt des Kaiserreichs wie
ehedem der des Bürgerkönigthums. Und erstere gewährt ihren Bildniß-
malern jedenfalls den Vortheil einer weit freiern malerischeren abenteuerlicheren
Tracht und vielleicht auch eines größern Reichthums schöner Weiber. Im
Portrait höchsten und edelsten Stils steht der Altmeister Coignet noch unüber¬
troffen. Und die beiden Venusmaler Baudry und Cabanel zeigen in ihren vor¬
züglichen Bildnissen, männlichen und weiblichen, bei aller Feinheit eine gesunde
Energie der Charakterauffassung und Farbe, auf die man von ihren blassen
Göttinnen nicht schließen sollte. Hippolyte Flandrin ist bereits oben genannt.
Herrn Lehmanns Name sei noch hinzugefügt.

Mit ganz besondern:, im höchsten Maße berechtigten Stolz darf das heutige,
kaiserliche Frankreich auf seine Thier- und Landschaftsmaler blicken. Von allen
Krankheiten, welche diese moderne Gesellschaft anfressen, sind sie zum größten Theil
dank der Hingabe an das Gesundeste in der Natur unberührt geblieben; und
es ist immer ein gutes Zeichen für dieselbe Gesellschaft, daß sie sich das Wohl¬
gefallen, das volle Verständniß, ja die leidenschaftliche Liebe für diesen künstle¬
rischen Ausdruck einer von all ihren Bestrebungen und Interessen so weit ab¬
liegenden Kunst und Art bewahrt hat. Für wie viel Schwächliches, Faules,
Halbes und Unwahres kann uns eine solche Künstlergestalt wie Rosa Bonheur
(geb. 1822) entschädigen! Keiner seit den großen alten Niederländern, seit
Potter und Dujardin, hat je die Thiernatur so im innersten Wesen und äußern
Erscheinen erfaßt, hat die einfache Arbeit des Landmanns mit seinen Rindern
und Pferden, hat die schlichte Schönheit der von ihm bebauten Natur, den
braunen Acker, über den ihm seine Ochsen den Pflug ziehn. die Wiesenfläche,
auf der er das duftende Heu erntet und einfährt, die Schaftrift, die Heide,
das reife Getreidefeld unter dem weiten blauen Sommerhimmel, diese stille,
gesegnete, liebliche Welt, welchen eitle Kunst vornehm kaum zu beachten pflegte,
so in ihrer gesunden, kräftigen, erquicklichen Poesie erkannt und mit so mäch¬
tiger männlicher Meisterhand zu malen verstanden, wie diese Frau. Neben
ihr. ihrem künstlerischen Wesen nahe verwandt, ihr Bruder Auguste (geboren
1824) und Troyon (geb. 1813), dessen Ruhm von älterem Datum ist, wenn auch
viele seiner bewundernswerthestcn Thierbilder und Landschaften, in denen er
den ganzen Ernst, die ganze Größe seiner Naturauffassung und die volle


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Besonders wohlthätig hat das Umsichgreifen der Photographie für die
Portraitmalerei gewirkt, in Frankreich wie anderwärts. Für die tüchtigen Talente
als unschätzbare Lehrerin; die unbedeutenden, die Mittelmäßigkeit mehr und
mehr beseitigend und ausscheidend. Man sieht überhaupt weniger, und weit
weniger nichtsnutzige gemalte Bildnisse; der meisterhaften weit mehr. Unter
den Portraitisten par excellente steht Richard unbedingt obenan. Dubufe
und Winterhalter befriedigen heute noch ebenso vortrefflich die derartigen Be¬
dürfnisse der eleganten, vornehmen und schönen Welt des Kaiserreichs wie
ehedem der des Bürgerkönigthums. Und erstere gewährt ihren Bildniß-
malern jedenfalls den Vortheil einer weit freiern malerischeren abenteuerlicheren
Tracht und vielleicht auch eines größern Reichthums schöner Weiber. Im
Portrait höchsten und edelsten Stils steht der Altmeister Coignet noch unüber¬
troffen. Und die beiden Venusmaler Baudry und Cabanel zeigen in ihren vor¬
züglichen Bildnissen, männlichen und weiblichen, bei aller Feinheit eine gesunde
Energie der Charakterauffassung und Farbe, auf die man von ihren blassen
Göttinnen nicht schließen sollte. Hippolyte Flandrin ist bereits oben genannt.
Herrn Lehmanns Name sei noch hinzugefügt.

Mit ganz besondern:, im höchsten Maße berechtigten Stolz darf das heutige,
kaiserliche Frankreich auf seine Thier- und Landschaftsmaler blicken. Von allen
Krankheiten, welche diese moderne Gesellschaft anfressen, sind sie zum größten Theil
dank der Hingabe an das Gesundeste in der Natur unberührt geblieben; und
es ist immer ein gutes Zeichen für dieselbe Gesellschaft, daß sie sich das Wohl¬
gefallen, das volle Verständniß, ja die leidenschaftliche Liebe für diesen künstle¬
rischen Ausdruck einer von all ihren Bestrebungen und Interessen so weit ab¬
liegenden Kunst und Art bewahrt hat. Für wie viel Schwächliches, Faules,
Halbes und Unwahres kann uns eine solche Künstlergestalt wie Rosa Bonheur
(geb. 1822) entschädigen! Keiner seit den großen alten Niederländern, seit
Potter und Dujardin, hat je die Thiernatur so im innersten Wesen und äußern
Erscheinen erfaßt, hat die einfache Arbeit des Landmanns mit seinen Rindern
und Pferden, hat die schlichte Schönheit der von ihm bebauten Natur, den
braunen Acker, über den ihm seine Ochsen den Pflug ziehn. die Wiesenfläche,
auf der er das duftende Heu erntet und einfährt, die Schaftrift, die Heide,
das reife Getreidefeld unter dem weiten blauen Sommerhimmel, diese stille,
gesegnete, liebliche Welt, welchen eitle Kunst vornehm kaum zu beachten pflegte,
so in ihrer gesunden, kräftigen, erquicklichen Poesie erkannt und mit so mäch¬
tiger männlicher Meisterhand zu malen verstanden, wie diese Frau. Neben
ihr. ihrem künstlerischen Wesen nahe verwandt, ihr Bruder Auguste (geboren
1824) und Troyon (geb. 1813), dessen Ruhm von älterem Datum ist, wenn auch
viele seiner bewundernswerthestcn Thierbilder und Landschaften, in denen er
den ganzen Ernst, die ganze Größe seiner Naturauffassung und die volle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/483>, abgerufen am 28.09.2024.