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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Stimmungen einer enttäuschten, in ihren idealen Hoffnungen betrogenen, der
hohen Träume müden Gesellschaft, welche sich bereitwillig und eifrig auch auf
jedem andern Gebiet dem vollendeten Materialismus in die Arme warf. Der
bekannte Prophet dieses neuen realistischen Kunstdogmas war Courbet (geb. 1819).
Es hat sich zu jeder Zeit der Kunstrichtung, welche von idealen Vorstellungen
ausging, die sie zu verwirklichen strebte, eine andere gegenübergestellt, welche
sich zunächst an das von der Wirklichkeit Gebotne hielt, im treuen Anschluß
an diese das Heil suchte und mithin als realistische bezeichnet werden konnte.
Immer aber hat es auch innerhalb der letzteren für selbstverständlich gegolten,
sowohl in der Wahl und Auffassung des Darzustellenden, als in. der Art der
Darstellung selbst, den sichtenden künstlerischen Geist walten zu lassen, um das
Gemeine und schlechthin widerstrebend Häßliche auszuscheiden. So aber war
Courbets Realismus nicht gemeint, mit dessen praktischem Bekenntniß er im
Salon von 1849 und noch entschiedn" 1850 auftrat, ausgesprochen, wie es
war, in den beiden Bildern, "der Nachmittag in Omans" und "Begräbniß in
Ornans". Hier war die allergewöhnlichste, jedes Reizes paare, triviale Er¬
scheinung einer ordinären bürgerlichen Wirklichkeit in voller Lebensgröße aus
eine kolossale Leinwand gebracht, ohne ihr, sei es durch Gruppirung, Beleuch¬
tung oder Auswahl irgendetwas von ihrer Nüchternheit und dürftigen Hä߬
lichkeit zu nehmen. Diese Werke erregten einen wahren Sturm bei Künstlern
und Laien und eine Fluth von Spott und Hohn ergoß sich über ihren Urheber.
Unläugbar verriethen sie indeß ein ungewöhnliches Talent der Farbe, eine im-
ponirende Fähigkeit, die Dinge, Menschen und vorzüglich auch die Landschaft
in vollster körperlicher Realität hinzustellen. Dieser Kern von gesunder Tüch¬
tigkeit im Verein mit dem nie wankenden Glauben an sich selbst, an die höchste
Berechtigung seines Princips und seine eigne Mission ließen den wunderlichen
Maler ausharren und während er in jedem folgenden Salon mit den häßlich¬
sten Bildern gemeinster Natur (zugleich aber auch mit den vortrefflichsten Land¬
schaften) aufzutreten fortfuhr, mehr und mehr Terrain gewinnen und einen
Kreis andächtiger Schüler und Verehrer um sich versammeln. Unter denen,
die mit Entschiedenheit die gleiche Richtung verfolgten, ist der genannteste Mül¬
ler (geb. 181S), nicht zu verwechseln mit dem trefflichen Zeichner und Bildhauer
desselben Namens. Er überbietet Courbet wenn möglich noch im Auffinden
des Plattesten und Widerwärtigsten, was es an menschlichen Typen giebt, und
der trivialsten Vorwürfe der Darstellung, die er meistens dem französischen
Landbauer- und Tagelöhnerleben und Arbeiten entlehnt. Und auch er hat eine
große Partei von begeisterten Freunden in der Presse und der Gesellschaft ge¬
funden, die ihn als den wahren "Maler des Volks" und zugleich als den ersten
aller Coloristen feiert und. was noch mehr zu bewundern, alle seine Bilder zu
den höchsten Preisen kauft.


Stimmungen einer enttäuschten, in ihren idealen Hoffnungen betrogenen, der
hohen Träume müden Gesellschaft, welche sich bereitwillig und eifrig auch auf
jedem andern Gebiet dem vollendeten Materialismus in die Arme warf. Der
bekannte Prophet dieses neuen realistischen Kunstdogmas war Courbet (geb. 1819).
Es hat sich zu jeder Zeit der Kunstrichtung, welche von idealen Vorstellungen
ausging, die sie zu verwirklichen strebte, eine andere gegenübergestellt, welche
sich zunächst an das von der Wirklichkeit Gebotne hielt, im treuen Anschluß
an diese das Heil suchte und mithin als realistische bezeichnet werden konnte.
Immer aber hat es auch innerhalb der letzteren für selbstverständlich gegolten,
sowohl in der Wahl und Auffassung des Darzustellenden, als in. der Art der
Darstellung selbst, den sichtenden künstlerischen Geist walten zu lassen, um das
Gemeine und schlechthin widerstrebend Häßliche auszuscheiden. So aber war
Courbets Realismus nicht gemeint, mit dessen praktischem Bekenntniß er im
Salon von 1849 und noch entschiedn« 1850 auftrat, ausgesprochen, wie es
war, in den beiden Bildern, „der Nachmittag in Omans" und „Begräbniß in
Ornans". Hier war die allergewöhnlichste, jedes Reizes paare, triviale Er¬
scheinung einer ordinären bürgerlichen Wirklichkeit in voller Lebensgröße aus
eine kolossale Leinwand gebracht, ohne ihr, sei es durch Gruppirung, Beleuch¬
tung oder Auswahl irgendetwas von ihrer Nüchternheit und dürftigen Hä߬
lichkeit zu nehmen. Diese Werke erregten einen wahren Sturm bei Künstlern
und Laien und eine Fluth von Spott und Hohn ergoß sich über ihren Urheber.
Unläugbar verriethen sie indeß ein ungewöhnliches Talent der Farbe, eine im-
ponirende Fähigkeit, die Dinge, Menschen und vorzüglich auch die Landschaft
in vollster körperlicher Realität hinzustellen. Dieser Kern von gesunder Tüch¬
tigkeit im Verein mit dem nie wankenden Glauben an sich selbst, an die höchste
Berechtigung seines Princips und seine eigne Mission ließen den wunderlichen
Maler ausharren und während er in jedem folgenden Salon mit den häßlich¬
sten Bildern gemeinster Natur (zugleich aber auch mit den vortrefflichsten Land¬
schaften) aufzutreten fortfuhr, mehr und mehr Terrain gewinnen und einen
Kreis andächtiger Schüler und Verehrer um sich versammeln. Unter denen,
die mit Entschiedenheit die gleiche Richtung verfolgten, ist der genannteste Mül¬
ler (geb. 181S), nicht zu verwechseln mit dem trefflichen Zeichner und Bildhauer
desselben Namens. Er überbietet Courbet wenn möglich noch im Auffinden
des Plattesten und Widerwärtigsten, was es an menschlichen Typen giebt, und
der trivialsten Vorwürfe der Darstellung, die er meistens dem französischen
Landbauer- und Tagelöhnerleben und Arbeiten entlehnt. Und auch er hat eine
große Partei von begeisterten Freunden in der Presse und der Gesellschaft ge¬
funden, die ihn als den wahren „Maler des Volks" und zugleich als den ersten
aller Coloristen feiert und. was noch mehr zu bewundern, alle seine Bilder zu
den höchsten Preisen kauft.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/482>, abgerufen am 28.09.2024.