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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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ser europäisches Auge so seltsame farbenreiche Welt kaum minder reizvoll zu
schildern vermocht hat, als sei" Pinsel. Wie in diesen Bildern die Auffassung
orientalischer Menschen und Natur so abweichend erscheint von der allgemeinen
schon ziemlich phrasenhaft gewordnen, so ist auch das rein Künstlerische darin,
das Colorit, die Malweise ein durchaus für sich Dastehendes, der Ausdruck des
eigenartigsten größten Talents. Unvergeßlich wird jedem, der es gesehen, be¬
sonders das Bild eines Nachtlagers in der Wüste bleiben (Salon von 1863),
mit seiner feierlichen Größe und Stille, mit der ernsten schmucklosen Poesie der
Nacht darin, die wohl selten in ähnlicher Echtheit und Simplicität zur künst¬
lerischen Darstellung gelangte wie hier. Näher gelegene nationale Besonder¬
heiten als Bildstoff haben Lebux in den Pyrenäen, Schüler, Marchal. Brion
im Elsaß aufgesucht und besonders letzterer hat in dem dortigen Baucrngeschlecht
sehr anmuthige interessante und mannigfaltige Motive zu zahlreichen Gemälden
gefunden, deren solide, gewissenhafte und wirkungsvolle Ausführung der Tüch¬
tigkeit und Gesundheit ihres Gehalts entspricht. Die scheinbar unerschöpfliche
Fundgrube, welche das italienische Volksleben den Malern bietet, muß auch
den heutigen Franzosen noch immer herhalten. Hubert, den sein rührendes,
von melancholischer Kränklichkeit ganz erfülltes Bild "Mataua" (Salon von
1850) schnell berühmt gemacht hat, gab sich neuerdings diesem mächtigen Zuge
völlig hin. Statt aber Land und Volk dort in seiner unverwüstlichen südlichen,
eigenartigen Gesundheit und Größe zu schildern, hat er sein eignes angekränkel¬
tes Wesen dahinein übertragen und so eine Reihe von poetisch malerischen
Kindern das Leben gegeben, die alle wie von jener Malaria vergiftet, den
Keim tödtlich zehrenden Fiebers in ihren transparenten Gesichtern und mark-
loscn Leibern erkennen lassen. Hubert gehört in vielen seiner Arbeiten völlig
zu den "Fantaisisten". Diese Gesammtbezeichnung umfaßt, ich weiß es wohl,
die widersprechendsten Richtungen im Einzelnen, stürmische Coloristen und
schlechthin farblose, nach abstracten Inhalt und idealer Form Strebende wie
Chavannes, dessen kolossale, fast nur euitvnig angetuschte Halballegorien: Krieg,
Friede, Arbeit, Ruhe, befremdlich im bunten Gewirr moderner Ausstellungen
dastehn; antitisirende und romantische Nachbildner fremder und eigner Dichter¬
träume, die meisten bereits als in anderen Genres ausgezeichnet genannt.
Das productivste Künstlergenie der Gegenwart, Dor6 ist gleichfalls hier zu
nennen (geb. 1832). Der Zeichner des Donquichotte und des Dante, der die
Welt mit der unerhörten Leichtigkeit und Fülle seiner Erfindung immer von
Neuem in Staunen setzt, gewinnt neben seiner riesigen Thätigkeit als Holz-
zeichncr noch immer die Zeit, in jedem Salon mit circa drei wandgroßen
Oelbildern aufzutreten, in denen er sich stets als der phantastischste aller Fan¬
taisisten offenbart. Höllcnbilder und Sündfluthscenen mit sieben Fuß hohen Ge¬
stalten, die aber bei allem oft so Gewaltigen der Conception doch den Beweis


ser europäisches Auge so seltsame farbenreiche Welt kaum minder reizvoll zu
schildern vermocht hat, als sei» Pinsel. Wie in diesen Bildern die Auffassung
orientalischer Menschen und Natur so abweichend erscheint von der allgemeinen
schon ziemlich phrasenhaft gewordnen, so ist auch das rein Künstlerische darin,
das Colorit, die Malweise ein durchaus für sich Dastehendes, der Ausdruck des
eigenartigsten größten Talents. Unvergeßlich wird jedem, der es gesehen, be¬
sonders das Bild eines Nachtlagers in der Wüste bleiben (Salon von 1863),
mit seiner feierlichen Größe und Stille, mit der ernsten schmucklosen Poesie der
Nacht darin, die wohl selten in ähnlicher Echtheit und Simplicität zur künst¬
lerischen Darstellung gelangte wie hier. Näher gelegene nationale Besonder¬
heiten als Bildstoff haben Lebux in den Pyrenäen, Schüler, Marchal. Brion
im Elsaß aufgesucht und besonders letzterer hat in dem dortigen Baucrngeschlecht
sehr anmuthige interessante und mannigfaltige Motive zu zahlreichen Gemälden
gefunden, deren solide, gewissenhafte und wirkungsvolle Ausführung der Tüch¬
tigkeit und Gesundheit ihres Gehalts entspricht. Die scheinbar unerschöpfliche
Fundgrube, welche das italienische Volksleben den Malern bietet, muß auch
den heutigen Franzosen noch immer herhalten. Hubert, den sein rührendes,
von melancholischer Kränklichkeit ganz erfülltes Bild „Mataua" (Salon von
1850) schnell berühmt gemacht hat, gab sich neuerdings diesem mächtigen Zuge
völlig hin. Statt aber Land und Volk dort in seiner unverwüstlichen südlichen,
eigenartigen Gesundheit und Größe zu schildern, hat er sein eignes angekränkel¬
tes Wesen dahinein übertragen und so eine Reihe von poetisch malerischen
Kindern das Leben gegeben, die alle wie von jener Malaria vergiftet, den
Keim tödtlich zehrenden Fiebers in ihren transparenten Gesichtern und mark-
loscn Leibern erkennen lassen. Hubert gehört in vielen seiner Arbeiten völlig
zu den „Fantaisisten". Diese Gesammtbezeichnung umfaßt, ich weiß es wohl,
die widersprechendsten Richtungen im Einzelnen, stürmische Coloristen und
schlechthin farblose, nach abstracten Inhalt und idealer Form Strebende wie
Chavannes, dessen kolossale, fast nur euitvnig angetuschte Halballegorien: Krieg,
Friede, Arbeit, Ruhe, befremdlich im bunten Gewirr moderner Ausstellungen
dastehn; antitisirende und romantische Nachbildner fremder und eigner Dichter¬
träume, die meisten bereits als in anderen Genres ausgezeichnet genannt.
Das productivste Künstlergenie der Gegenwart, Dor6 ist gleichfalls hier zu
nennen (geb. 1832). Der Zeichner des Donquichotte und des Dante, der die
Welt mit der unerhörten Leichtigkeit und Fülle seiner Erfindung immer von
Neuem in Staunen setzt, gewinnt neben seiner riesigen Thätigkeit als Holz-
zeichncr noch immer die Zeit, in jedem Salon mit circa drei wandgroßen
Oelbildern aufzutreten, in denen er sich stets als der phantastischste aller Fan¬
taisisten offenbart. Höllcnbilder und Sündfluthscenen mit sieben Fuß hohen Ge¬
stalten, die aber bei allem oft so Gewaltigen der Conception doch den Beweis


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/480>, abgerufen am 28.09.2024.