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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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der schmeichelnd schaukelnden blauen Meeresfläche; und dicht über ihr schwangen
sich kleine übermüthige Amoretten, die Geburt der Göttin feiernd. Das
Ganze in Composition und Farbe etwas phantasiearm und dürftig; aber der
"Reiz des göttlichen Leibes", welcher dem Beschauer kein "holdes Verborgne"
vorenthielt, siegte über jenen Mangel und die kaiserliche Majestät kaufte für
ungeheuern Preis diese so gut wie Baudrys Venus, "Und es neigen die Weisen
oft am Ende dem Schönen sich!"

Nennen wir von dieser Malergruppe noch Bouguercau, der von den Hei¬
ligen zur griechischen Mythe und zu den nackten Bachantinnen übergegangen
ist, um hier denselben Adel der Zeichnung und die ernste Tüchtigkeit und sorg¬
liche Vollendung der Malerei zu bewähren, wie nur dort; Amaury-Duval. einen
Schüler von Ingres, bei erlesenen Liniengefühl kaltrosig und unerquicklich im
Kolorit, Leay. Meynier, Feyer-Perrin, Picou, Brigniboule, Nanteuil, Cha¬
plin und so viele Andere, verschieden an Geist und Kunst. Das eigentliche
"Genre" erfreut sich selbstverständlich in Frankreich so gut wie bei uns eines
ungeheuern Anbaus, Kein Stoffgebiet, das hier nicht talentvolle Bearbeiter
fände, kein Format, keine Auffassungsweise, keine Art der Technik, die nicht
beliebt, aufgenommen, nachgeahmt würde. Es ist in dieser "cursorischen Be¬
leuchtung" der heutigen französischen Malerei nicht möglich, jede derartige Be¬
sonderheit heraushebend in ihr rechtes Licht zu stellen. Eine andeutende Be¬
handlung möge dafür genügen. Vielleicht läßt sich die ganze Masse in folgende
Gruppen gliedern, die freilich weit davon entfernt sind, als feste Kategorien
gelten zu können -- sie gehen ebensowohl in einander über, als kaum einer
der hier zu nennenden Maler seine Kunst ausschließlich auf die eine oder andre
dieser Richtungen beschränkt: -- das historische Genre, in dem es sich um die
malerische Schilderung einer geschichtlichen Vergangenheit handelt, ihrer Sitten
und Zustände mehr als ihrer hervorragenden Thaten und Männer; das natio¬
nale, ethnographische, das seine Aufgaben und Stoffe in besondern, eignen
oder fremden charakteristischen Volkseigenthümlichkciten mit ihren Sitten, Ge¬
bräuchen, Trachten und Menschentypcn sucht; das P hantasie g c ur e, das sie in
einer ganz freien kaum an die Wirklichkeit anlehnenden Welt der Einbildung oder
in der Dichtung; das gesellschaftliche, das sie in den Zuständen und Situa¬
tionen findet, wie sie sich in der umgebenden modernen Gesellschaft, in der
Wirklichkeit unsres täglichen Lebens ergeben. Von den bedeutendsten Meistern
jenes historischen Genres habe ich bereits einige genannt; Gerome und Comte
gehören dazu. Daneben nenne ich Charles Müller, Hillcrmachcr, Heilbutt),
Willens, Caraud. die ersten drei trotz des deutschen Ursprungs französisch in
Richtung, Neigungen und Schule. Eines der größten und eigenthümlichsten
Talente der ganzen französischen Kunst kann ferner dieser Gruppe eingeordnet
werden; Meissonnier (geb. 1813). Dieser allbekannte Maler des mikroskopisch


der schmeichelnd schaukelnden blauen Meeresfläche; und dicht über ihr schwangen
sich kleine übermüthige Amoretten, die Geburt der Göttin feiernd. Das
Ganze in Composition und Farbe etwas phantasiearm und dürftig; aber der
„Reiz des göttlichen Leibes", welcher dem Beschauer kein „holdes Verborgne"
vorenthielt, siegte über jenen Mangel und die kaiserliche Majestät kaufte für
ungeheuern Preis diese so gut wie Baudrys Venus, „Und es neigen die Weisen
oft am Ende dem Schönen sich!"

Nennen wir von dieser Malergruppe noch Bouguercau, der von den Hei¬
ligen zur griechischen Mythe und zu den nackten Bachantinnen übergegangen
ist, um hier denselben Adel der Zeichnung und die ernste Tüchtigkeit und sorg¬
liche Vollendung der Malerei zu bewähren, wie nur dort; Amaury-Duval. einen
Schüler von Ingres, bei erlesenen Liniengefühl kaltrosig und unerquicklich im
Kolorit, Leay. Meynier, Feyer-Perrin, Picou, Brigniboule, Nanteuil, Cha¬
plin und so viele Andere, verschieden an Geist und Kunst. Das eigentliche
„Genre" erfreut sich selbstverständlich in Frankreich so gut wie bei uns eines
ungeheuern Anbaus, Kein Stoffgebiet, das hier nicht talentvolle Bearbeiter
fände, kein Format, keine Auffassungsweise, keine Art der Technik, die nicht
beliebt, aufgenommen, nachgeahmt würde. Es ist in dieser „cursorischen Be¬
leuchtung" der heutigen französischen Malerei nicht möglich, jede derartige Be¬
sonderheit heraushebend in ihr rechtes Licht zu stellen. Eine andeutende Be¬
handlung möge dafür genügen. Vielleicht läßt sich die ganze Masse in folgende
Gruppen gliedern, die freilich weit davon entfernt sind, als feste Kategorien
gelten zu können — sie gehen ebensowohl in einander über, als kaum einer
der hier zu nennenden Maler seine Kunst ausschließlich auf die eine oder andre
dieser Richtungen beschränkt: — das historische Genre, in dem es sich um die
malerische Schilderung einer geschichtlichen Vergangenheit handelt, ihrer Sitten
und Zustände mehr als ihrer hervorragenden Thaten und Männer; das natio¬
nale, ethnographische, das seine Aufgaben und Stoffe in besondern, eignen
oder fremden charakteristischen Volkseigenthümlichkciten mit ihren Sitten, Ge¬
bräuchen, Trachten und Menschentypcn sucht; das P hantasie g c ur e, das sie in
einer ganz freien kaum an die Wirklichkeit anlehnenden Welt der Einbildung oder
in der Dichtung; das gesellschaftliche, das sie in den Zuständen und Situa¬
tionen findet, wie sie sich in der umgebenden modernen Gesellschaft, in der
Wirklichkeit unsres täglichen Lebens ergeben. Von den bedeutendsten Meistern
jenes historischen Genres habe ich bereits einige genannt; Gerome und Comte
gehören dazu. Daneben nenne ich Charles Müller, Hillcrmachcr, Heilbutt),
Willens, Caraud. die ersten drei trotz des deutschen Ursprungs französisch in
Richtung, Neigungen und Schule. Eines der größten und eigenthümlichsten
Talente der ganzen französischen Kunst kann ferner dieser Gruppe eingeordnet
werden; Meissonnier (geb. 1813). Dieser allbekannte Maler des mikroskopisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/478>, abgerufen am 28.09.2024.