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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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die bedeutendsten zu nennen, Gendron. Giaize, Gerona ihre Aufgabe gesucht,
ohne sich darum wie Ha>non von andern Stoffgebieten gänzlich fern zu halten.
Mehr eiber noch hat das specifische Römerthum die künstlerischen Gegenstände
hergeben müssen- Barrias, Delaunay, Signol, Boulanger, in neuester Zeit der
junge Leroux. Gerüme sind in dieser Richtung mit größtem und sein- berech¬
tigtem Erfolg thätig gewesen. Das Graumalcn überlassen sie jenen Archaisten
und gerade das Bestreben, diesen römischen Menschen und Thaten durch alle
künstlerischen Mittel die möglichst volle lebendige Wahrheit zu geben, ist in ih¬
nen ersichtlich. Einer der feinsten Geister darunter ist unzweifelhaft Gerüme
(geb. 1824). Keine mächtig und feurig aus dem Vollen schaffende, mit reicher
Phantasie, mit kühner und großer Technik arbeitende künstlerische Kraft; sondern ein
überlegender, kluger, subtiler Kopf mit vielseitigem, zu seinen künstlerischen Zwecken
gut benutzten Wisse" und einer Correctheit und glatten Vollendung der Mache be¬
gabt, welche ihm schon allein die Bewunderung des jetzigen französischen Kunst-
publicums sichert. Auf große Tafeln hat er sich nach seinem umfangreichen
historisch-symbolischen Bilde "Zeitalter des Augustus und die Geburt
Christi" nicht mehr eingelassen; in ganz kleinen oder sehr mäßig großen Bildern
weiß er die eigenthümlichen Vorzüge seiner Malerei weit besser zur Geltung zu
bringen. Ein modern französisches Sittenbild, das Duell nach dein Masken¬
ball, begründete zuerst seinen Ruhm. Mit den beiden durch die schönsten
Photographien überall verbreitete" Gemälden: "der Tod Cäsars" und "Vitellius
von den Gladiatoren begrüßt", ging er zur "großen Malerei" antiker Stoffe
über. Die durchaus originelle, gänzlich unakademische Auffassung derselben,
die von jedem bei dergleichen hergebrachten Römerpathos freie objective, in
ihrer anscheinenden Nüchternheit nur um so furchtbarer wirkende Wahrbeit der
Schilderung und die erstaunliche Kenntniß der dargestellten Welt bis in jedes
Detail ihrer Erscheinungsformen in diesen merkwürdigen Bildern ließen ihrem
Maler schnell den ersten Rang unter den Meistern verwandter Richtung zu¬
sprechen. Es folgten dann "die beiden Auguren" (eine der wunderlichsten
gemalten Capricen), "Sokrates und Alcibiades" und die vielbesprochnc "Phryne
vor den Richtern". In neuster Zeit habe ich wieder ganz abliegende Gegen¬
stände, den "ägyptischen Koch", den "Gefangenen, den man im Boot über
den Nil transportirt", "Moliere bei Ludwig dem Vierzehnten frühstückend"
von ihm in einer Weise behandelt gesehn, welche in der Feinheit der ziemlich
nrffinirten Auffassung jenen nicht nachstehend, sie an porcellanartiger Glätte
der Malerei noch zu überbieten trachtet. In dem Bilde Phryne. die von
ihrem Vertheidiger plötzlich in voller nackter Schönheit vor den ehrwürdigen
Richtern enthüllt wird, grenzt diese Malerei des antiken Lebens an jene moderne
Richtung, welche augenblicklich fast den breitesten Platz in der französischen
Kunst einnimmt: die Malerei der weiblichen Nacktheit. Hier trifft die natürliche
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die bedeutendsten zu nennen, Gendron. Giaize, Gerona ihre Aufgabe gesucht,
ohne sich darum wie Ha>non von andern Stoffgebieten gänzlich fern zu halten.
Mehr eiber noch hat das specifische Römerthum die künstlerischen Gegenstände
hergeben müssen- Barrias, Delaunay, Signol, Boulanger, in neuester Zeit der
junge Leroux. Gerüme sind in dieser Richtung mit größtem und sein- berech¬
tigtem Erfolg thätig gewesen. Das Graumalcn überlassen sie jenen Archaisten
und gerade das Bestreben, diesen römischen Menschen und Thaten durch alle
künstlerischen Mittel die möglichst volle lebendige Wahrheit zu geben, ist in ih¬
nen ersichtlich. Einer der feinsten Geister darunter ist unzweifelhaft Gerüme
(geb. 1824). Keine mächtig und feurig aus dem Vollen schaffende, mit reicher
Phantasie, mit kühner und großer Technik arbeitende künstlerische Kraft; sondern ein
überlegender, kluger, subtiler Kopf mit vielseitigem, zu seinen künstlerischen Zwecken
gut benutzten Wisse» und einer Correctheit und glatten Vollendung der Mache be¬
gabt, welche ihm schon allein die Bewunderung des jetzigen französischen Kunst-
publicums sichert. Auf große Tafeln hat er sich nach seinem umfangreichen
historisch-symbolischen Bilde „Zeitalter des Augustus und die Geburt
Christi" nicht mehr eingelassen; in ganz kleinen oder sehr mäßig großen Bildern
weiß er die eigenthümlichen Vorzüge seiner Malerei weit besser zur Geltung zu
bringen. Ein modern französisches Sittenbild, das Duell nach dein Masken¬
ball, begründete zuerst seinen Ruhm. Mit den beiden durch die schönsten
Photographien überall verbreitete» Gemälden: „der Tod Cäsars" und „Vitellius
von den Gladiatoren begrüßt", ging er zur „großen Malerei" antiker Stoffe
über. Die durchaus originelle, gänzlich unakademische Auffassung derselben,
die von jedem bei dergleichen hergebrachten Römerpathos freie objective, in
ihrer anscheinenden Nüchternheit nur um so furchtbarer wirkende Wahrbeit der
Schilderung und die erstaunliche Kenntniß der dargestellten Welt bis in jedes
Detail ihrer Erscheinungsformen in diesen merkwürdigen Bildern ließen ihrem
Maler schnell den ersten Rang unter den Meistern verwandter Richtung zu¬
sprechen. Es folgten dann „die beiden Auguren" (eine der wunderlichsten
gemalten Capricen), „Sokrates und Alcibiades" und die vielbesprochnc „Phryne
vor den Richtern". In neuster Zeit habe ich wieder ganz abliegende Gegen¬
stände, den „ägyptischen Koch", den „Gefangenen, den man im Boot über
den Nil transportirt", „Moliere bei Ludwig dem Vierzehnten frühstückend"
von ihm in einer Weise behandelt gesehn, welche in der Feinheit der ziemlich
nrffinirten Auffassung jenen nicht nachstehend, sie an porcellanartiger Glätte
der Malerei noch zu überbieten trachtet. In dem Bilde Phryne. die von
ihrem Vertheidiger plötzlich in voller nackter Schönheit vor den ehrwürdigen
Richtern enthüllt wird, grenzt diese Malerei des antiken Lebens an jene moderne
Richtung, welche augenblicklich fast den breitesten Platz in der französischen
Kunst einnimmt: die Malerei der weiblichen Nacktheit. Hier trifft die natürliche
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[0475] die bedeutendsten zu nennen, Gendron. Giaize, Gerona ihre Aufgabe gesucht, ohne sich darum wie Ha>non von andern Stoffgebieten gänzlich fern zu halten. Mehr eiber noch hat das specifische Römerthum die künstlerischen Gegenstände hergeben müssen- Barrias, Delaunay, Signol, Boulanger, in neuester Zeit der junge Leroux. Gerüme sind in dieser Richtung mit größtem und sein- berech¬ tigtem Erfolg thätig gewesen. Das Graumalcn überlassen sie jenen Archaisten und gerade das Bestreben, diesen römischen Menschen und Thaten durch alle künstlerischen Mittel die möglichst volle lebendige Wahrheit zu geben, ist in ih¬ nen ersichtlich. Einer der feinsten Geister darunter ist unzweifelhaft Gerüme (geb. 1824). Keine mächtig und feurig aus dem Vollen schaffende, mit reicher Phantasie, mit kühner und großer Technik arbeitende künstlerische Kraft; sondern ein überlegender, kluger, subtiler Kopf mit vielseitigem, zu seinen künstlerischen Zwecken gut benutzten Wisse» und einer Correctheit und glatten Vollendung der Mache be¬ gabt, welche ihm schon allein die Bewunderung des jetzigen französischen Kunst- publicums sichert. Auf große Tafeln hat er sich nach seinem umfangreichen historisch-symbolischen Bilde „Zeitalter des Augustus und die Geburt Christi" nicht mehr eingelassen; in ganz kleinen oder sehr mäßig großen Bildern weiß er die eigenthümlichen Vorzüge seiner Malerei weit besser zur Geltung zu bringen. Ein modern französisches Sittenbild, das Duell nach dein Masken¬ ball, begründete zuerst seinen Ruhm. Mit den beiden durch die schönsten Photographien überall verbreitete» Gemälden: „der Tod Cäsars" und „Vitellius von den Gladiatoren begrüßt", ging er zur „großen Malerei" antiker Stoffe über. Die durchaus originelle, gänzlich unakademische Auffassung derselben, die von jedem bei dergleichen hergebrachten Römerpathos freie objective, in ihrer anscheinenden Nüchternheit nur um so furchtbarer wirkende Wahrbeit der Schilderung und die erstaunliche Kenntniß der dargestellten Welt bis in jedes Detail ihrer Erscheinungsformen in diesen merkwürdigen Bildern ließen ihrem Maler schnell den ersten Rang unter den Meistern verwandter Richtung zu¬ sprechen. Es folgten dann „die beiden Auguren" (eine der wunderlichsten gemalten Capricen), „Sokrates und Alcibiades" und die vielbesprochnc „Phryne vor den Richtern". In neuster Zeit habe ich wieder ganz abliegende Gegen¬ stände, den „ägyptischen Koch", den „Gefangenen, den man im Boot über den Nil transportirt", „Moliere bei Ludwig dem Vierzehnten frühstückend" von ihm in einer Weise behandelt gesehn, welche in der Feinheit der ziemlich nrffinirten Auffassung jenen nicht nachstehend, sie an porcellanartiger Glätte der Malerei noch zu überbieten trachtet. In dem Bilde Phryne. die von ihrem Vertheidiger plötzlich in voller nackter Schönheit vor den ehrwürdigen Richtern enthüllt wird, grenzt diese Malerei des antiken Lebens an jene moderne Richtung, welche augenblicklich fast den breitesten Platz in der französischen Kunst einnimmt: die Malerei der weiblichen Nacktheit. Hier trifft die natürliche * 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/475>, abgerufen am 28.09.2024.