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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Das durch solche erweckte überwiegende stoffliche Interesse scheint ihm die
Lust an dem Wesentlicheren, rein Künstlerischen eines Bildes abzuschwächen und
gerade auf das legt er den meisten Nachdruck. In der Ausbildung der male¬
rischen Mittel hat er das Außerordentlichste erreicht, in der Delikatesse der Zeich¬
nung, in der Feinheit und zugleich Kraft des Tons hat er Wenige, die ihm
gleichen, und seine Objectivitcit den verschiedenen Aufgaben gegenüber ist so groß,
daß man in seinen verschiedenen Bildern denselben Autor nur an der jedes¬
maligen ganz eigenthümlichen, der Sache entsprechenden Vollendung erkennt. In
der Charakteristik bestimmter Zeiten, in der Schilderung der Menschen, Sitten,
Localitäten, der ganzen Lebensluft vergangener, besonders spätmittelalterlicher
Perioden ist er ganz unerreicht. Zwei seiner herrlichsten Werke, die das schla¬
gend beweisen, sind bei uns wohlbekannt: Karl der Neunte, von seiner Mutter zum
Beschluß der pariser Bluthochzeit bestimmt (in der Galerie Fallou in Berlin)
und Jane Gray vor ihren Richtern (berliner Ausstellung von 1858). Doch
sind auch sie im Vergleich zu seinen neuer" Werken zu stoffreich, um ihn heut
noch genügend zu charakterisieren. Die letzten, die ich von ihm sah: Ratten¬
jagd von Ludwig dem Elster, Karl der Fünfte macht Madame d'Estampes einen
Ring, den sie ihm aufgehoben, zum Geschenk, Maitre Jean, der Narr vor der Ro-
tisserie am Chatelet, wollten entschieden nach dieser Seite hin völlig indifferent sein.
Die Zeichnung, die Malerei und die Zcitschilderung -- darum allein handelte
es sich. In dem Streben nach vollkommenster Echtheit der letztern liegt eine
Gefahr, welcher der so hoch begabte Leps in Antwerpen bereits völlig zum
Opfer gefallen ist, wahrend sich Comte von ihr wenigstens berührt zeigt: diese,
die gewählten Scenen, damit sie recht echt erscheinen, in der Anschauungs- und
Malweise der Meister jener Zeit darzustellen, in welcher der betreffende Vor¬
gang spielt. Diese Tendenz hat etwas Ansteckendes. Als abschreckendes Bei¬
spiel, zu welche" Extravaganzen die Hingabe an dieselbe zu verleiten vermag,
kann der durchaus nicht talentlose Franzose Tissot gelten, dessen biblische Bilder
zumal im Costüm des 15. Jahrhunderts Leps gleichsam noch "überleysen" und
den bei seiner Richtung zu Grunde' liegenden Fehlschluß durch einen zweiten,
noch hinzugebrachien und viel ärgern, bedeutend verschlimmern.

Die starke Sympathie mit dem griechisch-römischen Klassicismus hat die
französische Kunst zu keiner Zeit ganz verlassen. So sehr es auch unter der
Herrschaft der Romantiker den gegentheiligen Anschein hatte: die stille Liebe
für jene Welt, in welcher die große Literaturperiode der Nation ihr erhabenes
Muster verehrte, ist immer von gläubigen Priestern auch während der ungün¬
stigsten Zeiten wie eine heilige Flamme gehütet worden, an der sich dann im¬
mer wieder nach einem neuen Umschlag der Meinung die allgemeine Begeiste¬
rung entzündet hat. So sehn wir denn auch seit ungefähr achtzehn Jahren
die während einer ähnlich langen Dauer außerhalb der akademischen Schülcr-


Grenzboten III. 1864. 69

Das durch solche erweckte überwiegende stoffliche Interesse scheint ihm die
Lust an dem Wesentlicheren, rein Künstlerischen eines Bildes abzuschwächen und
gerade auf das legt er den meisten Nachdruck. In der Ausbildung der male¬
rischen Mittel hat er das Außerordentlichste erreicht, in der Delikatesse der Zeich¬
nung, in der Feinheit und zugleich Kraft des Tons hat er Wenige, die ihm
gleichen, und seine Objectivitcit den verschiedenen Aufgaben gegenüber ist so groß,
daß man in seinen verschiedenen Bildern denselben Autor nur an der jedes¬
maligen ganz eigenthümlichen, der Sache entsprechenden Vollendung erkennt. In
der Charakteristik bestimmter Zeiten, in der Schilderung der Menschen, Sitten,
Localitäten, der ganzen Lebensluft vergangener, besonders spätmittelalterlicher
Perioden ist er ganz unerreicht. Zwei seiner herrlichsten Werke, die das schla¬
gend beweisen, sind bei uns wohlbekannt: Karl der Neunte, von seiner Mutter zum
Beschluß der pariser Bluthochzeit bestimmt (in der Galerie Fallou in Berlin)
und Jane Gray vor ihren Richtern (berliner Ausstellung von 1858). Doch
sind auch sie im Vergleich zu seinen neuer» Werken zu stoffreich, um ihn heut
noch genügend zu charakterisieren. Die letzten, die ich von ihm sah: Ratten¬
jagd von Ludwig dem Elster, Karl der Fünfte macht Madame d'Estampes einen
Ring, den sie ihm aufgehoben, zum Geschenk, Maitre Jean, der Narr vor der Ro-
tisserie am Chatelet, wollten entschieden nach dieser Seite hin völlig indifferent sein.
Die Zeichnung, die Malerei und die Zcitschilderung — darum allein handelte
es sich. In dem Streben nach vollkommenster Echtheit der letztern liegt eine
Gefahr, welcher der so hoch begabte Leps in Antwerpen bereits völlig zum
Opfer gefallen ist, wahrend sich Comte von ihr wenigstens berührt zeigt: diese,
die gewählten Scenen, damit sie recht echt erscheinen, in der Anschauungs- und
Malweise der Meister jener Zeit darzustellen, in welcher der betreffende Vor¬
gang spielt. Diese Tendenz hat etwas Ansteckendes. Als abschreckendes Bei¬
spiel, zu welche» Extravaganzen die Hingabe an dieselbe zu verleiten vermag,
kann der durchaus nicht talentlose Franzose Tissot gelten, dessen biblische Bilder
zumal im Costüm des 15. Jahrhunderts Leps gleichsam noch „überleysen" und
den bei seiner Richtung zu Grunde' liegenden Fehlschluß durch einen zweiten,
noch hinzugebrachien und viel ärgern, bedeutend verschlimmern.

Die starke Sympathie mit dem griechisch-römischen Klassicismus hat die
französische Kunst zu keiner Zeit ganz verlassen. So sehr es auch unter der
Herrschaft der Romantiker den gegentheiligen Anschein hatte: die stille Liebe
für jene Welt, in welcher die große Literaturperiode der Nation ihr erhabenes
Muster verehrte, ist immer von gläubigen Priestern auch während der ungün¬
stigsten Zeiten wie eine heilige Flamme gehütet worden, an der sich dann im¬
mer wieder nach einem neuen Umschlag der Meinung die allgemeine Begeiste¬
rung entzündet hat. So sehn wir denn auch seit ungefähr achtzehn Jahren
die während einer ähnlich langen Dauer außerhalb der akademischen Schülcr-


Grenzboten III. 1864. 69
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[0473] Das durch solche erweckte überwiegende stoffliche Interesse scheint ihm die Lust an dem Wesentlicheren, rein Künstlerischen eines Bildes abzuschwächen und gerade auf das legt er den meisten Nachdruck. In der Ausbildung der male¬ rischen Mittel hat er das Außerordentlichste erreicht, in der Delikatesse der Zeich¬ nung, in der Feinheit und zugleich Kraft des Tons hat er Wenige, die ihm gleichen, und seine Objectivitcit den verschiedenen Aufgaben gegenüber ist so groß, daß man in seinen verschiedenen Bildern denselben Autor nur an der jedes¬ maligen ganz eigenthümlichen, der Sache entsprechenden Vollendung erkennt. In der Charakteristik bestimmter Zeiten, in der Schilderung der Menschen, Sitten, Localitäten, der ganzen Lebensluft vergangener, besonders spätmittelalterlicher Perioden ist er ganz unerreicht. Zwei seiner herrlichsten Werke, die das schla¬ gend beweisen, sind bei uns wohlbekannt: Karl der Neunte, von seiner Mutter zum Beschluß der pariser Bluthochzeit bestimmt (in der Galerie Fallou in Berlin) und Jane Gray vor ihren Richtern (berliner Ausstellung von 1858). Doch sind auch sie im Vergleich zu seinen neuer» Werken zu stoffreich, um ihn heut noch genügend zu charakterisieren. Die letzten, die ich von ihm sah: Ratten¬ jagd von Ludwig dem Elster, Karl der Fünfte macht Madame d'Estampes einen Ring, den sie ihm aufgehoben, zum Geschenk, Maitre Jean, der Narr vor der Ro- tisserie am Chatelet, wollten entschieden nach dieser Seite hin völlig indifferent sein. Die Zeichnung, die Malerei und die Zcitschilderung — darum allein handelte es sich. In dem Streben nach vollkommenster Echtheit der letztern liegt eine Gefahr, welcher der so hoch begabte Leps in Antwerpen bereits völlig zum Opfer gefallen ist, wahrend sich Comte von ihr wenigstens berührt zeigt: diese, die gewählten Scenen, damit sie recht echt erscheinen, in der Anschauungs- und Malweise der Meister jener Zeit darzustellen, in welcher der betreffende Vor¬ gang spielt. Diese Tendenz hat etwas Ansteckendes. Als abschreckendes Bei¬ spiel, zu welche» Extravaganzen die Hingabe an dieselbe zu verleiten vermag, kann der durchaus nicht talentlose Franzose Tissot gelten, dessen biblische Bilder zumal im Costüm des 15. Jahrhunderts Leps gleichsam noch „überleysen" und den bei seiner Richtung zu Grunde' liegenden Fehlschluß durch einen zweiten, noch hinzugebrachien und viel ärgern, bedeutend verschlimmern. Die starke Sympathie mit dem griechisch-römischen Klassicismus hat die französische Kunst zu keiner Zeit ganz verlassen. So sehr es auch unter der Herrschaft der Romantiker den gegentheiligen Anschein hatte: die stille Liebe für jene Welt, in welcher die große Literaturperiode der Nation ihr erhabenes Muster verehrte, ist immer von gläubigen Priestern auch während der ungün¬ stigsten Zeiten wie eine heilige Flamme gehütet worden, an der sich dann im¬ mer wieder nach einem neuen Umschlag der Meinung die allgemeine Begeiste¬ rung entzündet hat. So sehn wir denn auch seit ungefähr achtzehn Jahren die während einer ähnlich langen Dauer außerhalb der akademischen Schülcr- Grenzboten III. 1864. 69

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/473>, abgerufen am 28.09.2024.