Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

äußeren Herrschaft glaubte, durch den Einzug in Jerusalem noch mehr darin be¬
stärkt wurde, schließlich aber, als der Untergang Jesu entschieden war, in seinen
Hoffnungen getäuscht das Unerhörte an seinem Meister verübte. Nebst anderem
ein Beweis, daß die nächste Umgebung Jesu noch keineswegs auf die Reichs¬
gedanken verzichtet hatte. Hatte er sich einmal mit dem Messias identificirt,
so war dieser Gang der Dinge unvermeidlich. Er mußte den Versuch wagen,
seine Messianität feierlich vom ganzen Volk anerkennen zu lassen. Wie er sich
im Näheren sein Reich ^dachte, darüber fehlen uns freilich bestimmtere Nach¬
richten, sie fehlen aber ohne Zweifel schon deshalb, weil es seinem Geiste durch¬
aus ferne lag, die Grenzen zwischen einem geistigen und einem äußerlichen
Reiche genau abzustecken. Beides lag in seinen Ideen noch ungetrennt zu¬
sammen. Faßte er den Inhalt seines Reichs durchaus geistig, so mußte er
darum noch nicht darauf verzichten, dasselbe in äußerer Gestalt erstehen zu
sehen. So viel aber scheint allerdings wahrscheinlich, daß, je tiefer sich Jesus
gegen Ende seines Lebens in die Messiasidee einließ, diese immer unwider¬
stehlicher ihr volles Recht geltend machte und schließlich sein ganzes Bewußtsein
ausfüllte. Hierauf scheinen auch die gegen das Ende sich häufenden Aussprüche
vom Wiederkommen des Messias hinzudeuten. Jesus mochte wohl zuvor schon
bisweilen an einen unglücklichen Ausgang seines Lebens gedacht haben, der
Einzug in Jerusalem war ein äußerster Entschluß, die Erfahrungen, die er mit
der Verstocktheit der hierarchischen Partei und vielleicht mit dem Wankelmuth
der Seinen machte, mußten ihm schon früher die Züge des Leidens und Ster¬
bens ins Gedächtniß rufen, welche bereits dem alttestamentlichen Messiasbilde
nicht gefehlt hatten. Aber jetzt in Jerusalem, nachdem sein Einzug die ent¬
sprechenden Folgen nicht gehabt, vielmehr die herrschende Partei zum äußersten
Widerstand herausgefordert hatte, sah er sein Ende klar vor sich. Ob er nun
auf die Wirkung rechnete, die -- nach moderner Anschaung -- "dem Mar-
tyrertod für eine große Idee niemals gefehlt hat?" Ob es nicht vielmehr
wahrscheinlicher ist, daß, wenn das Bewußtsein von seiner Messianität uner¬
schüttert blieb, dieses sich jetzt in den Gedanken flüchtete, daß er zwar sterben,
aber als der Messias wieder erscheinen werde, um dann erst das Reich aufzu¬
richten, ein Gedanke, für den es im alten Testament gleichfalls nicht an Anhalte¬
punkten fehlte? Eben dies ist das Bezeichnendste, daß er in seinen letzten Re¬
den sein Wiederkommen nicht ins Geistige deutete, nicht von einem ewigen
Bleiben im Geist bei den Seinen sprach, wie dies die spätere Darstellung des
Johannesevangeliums ist, sondern daß er den älteren Evangelien zufolge es
von einem wirklichen Kommen am Ende der gegenwärtigen Weltpenvde, von
einem Kommen in voller Königswürde verstand. Allerdings sind gerade diese
Reden voll von Einschiebseln späterer Zeit, namentlich sind die Prophezeiungen
Von Hungersnöthcn und Erdbeben, von Kriegen und Städtevcrwüstungen, von


äußeren Herrschaft glaubte, durch den Einzug in Jerusalem noch mehr darin be¬
stärkt wurde, schließlich aber, als der Untergang Jesu entschieden war, in seinen
Hoffnungen getäuscht das Unerhörte an seinem Meister verübte. Nebst anderem
ein Beweis, daß die nächste Umgebung Jesu noch keineswegs auf die Reichs¬
gedanken verzichtet hatte. Hatte er sich einmal mit dem Messias identificirt,
so war dieser Gang der Dinge unvermeidlich. Er mußte den Versuch wagen,
seine Messianität feierlich vom ganzen Volk anerkennen zu lassen. Wie er sich
im Näheren sein Reich ^dachte, darüber fehlen uns freilich bestimmtere Nach¬
richten, sie fehlen aber ohne Zweifel schon deshalb, weil es seinem Geiste durch¬
aus ferne lag, die Grenzen zwischen einem geistigen und einem äußerlichen
Reiche genau abzustecken. Beides lag in seinen Ideen noch ungetrennt zu¬
sammen. Faßte er den Inhalt seines Reichs durchaus geistig, so mußte er
darum noch nicht darauf verzichten, dasselbe in äußerer Gestalt erstehen zu
sehen. So viel aber scheint allerdings wahrscheinlich, daß, je tiefer sich Jesus
gegen Ende seines Lebens in die Messiasidee einließ, diese immer unwider¬
stehlicher ihr volles Recht geltend machte und schließlich sein ganzes Bewußtsein
ausfüllte. Hierauf scheinen auch die gegen das Ende sich häufenden Aussprüche
vom Wiederkommen des Messias hinzudeuten. Jesus mochte wohl zuvor schon
bisweilen an einen unglücklichen Ausgang seines Lebens gedacht haben, der
Einzug in Jerusalem war ein äußerster Entschluß, die Erfahrungen, die er mit
der Verstocktheit der hierarchischen Partei und vielleicht mit dem Wankelmuth
der Seinen machte, mußten ihm schon früher die Züge des Leidens und Ster¬
bens ins Gedächtniß rufen, welche bereits dem alttestamentlichen Messiasbilde
nicht gefehlt hatten. Aber jetzt in Jerusalem, nachdem sein Einzug die ent¬
sprechenden Folgen nicht gehabt, vielmehr die herrschende Partei zum äußersten
Widerstand herausgefordert hatte, sah er sein Ende klar vor sich. Ob er nun
auf die Wirkung rechnete, die — nach moderner Anschaung — „dem Mar-
tyrertod für eine große Idee niemals gefehlt hat?" Ob es nicht vielmehr
wahrscheinlicher ist, daß, wenn das Bewußtsein von seiner Messianität uner¬
schüttert blieb, dieses sich jetzt in den Gedanken flüchtete, daß er zwar sterben,
aber als der Messias wieder erscheinen werde, um dann erst das Reich aufzu¬
richten, ein Gedanke, für den es im alten Testament gleichfalls nicht an Anhalte¬
punkten fehlte? Eben dies ist das Bezeichnendste, daß er in seinen letzten Re¬
den sein Wiederkommen nicht ins Geistige deutete, nicht von einem ewigen
Bleiben im Geist bei den Seinen sprach, wie dies die spätere Darstellung des
Johannesevangeliums ist, sondern daß er den älteren Evangelien zufolge es
von einem wirklichen Kommen am Ende der gegenwärtigen Weltpenvde, von
einem Kommen in voller Königswürde verstand. Allerdings sind gerade diese
Reden voll von Einschiebseln späterer Zeit, namentlich sind die Prophezeiungen
Von Hungersnöthcn und Erdbeben, von Kriegen und Städtevcrwüstungen, von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189563"/>
          <p xml:id="ID_1774" prev="#ID_1773" next="#ID_1775"> äußeren Herrschaft glaubte, durch den Einzug in Jerusalem noch mehr darin be¬<lb/>
stärkt wurde, schließlich aber, als der Untergang Jesu entschieden war, in seinen<lb/>
Hoffnungen getäuscht das Unerhörte an seinem Meister verübte. Nebst anderem<lb/>
ein Beweis, daß die nächste Umgebung Jesu noch keineswegs auf die Reichs¬<lb/>
gedanken verzichtet hatte. Hatte er sich einmal mit dem Messias identificirt,<lb/>
so war dieser Gang der Dinge unvermeidlich. Er mußte den Versuch wagen,<lb/>
seine Messianität feierlich vom ganzen Volk anerkennen zu lassen. Wie er sich<lb/>
im Näheren sein Reich ^dachte, darüber fehlen uns freilich bestimmtere Nach¬<lb/>
richten, sie fehlen aber ohne Zweifel schon deshalb, weil es seinem Geiste durch¬<lb/>
aus ferne lag, die Grenzen zwischen einem geistigen und einem äußerlichen<lb/>
Reiche genau abzustecken. Beides lag in seinen Ideen noch ungetrennt zu¬<lb/>
sammen. Faßte er den Inhalt seines Reichs durchaus geistig, so mußte er<lb/>
darum noch nicht darauf verzichten, dasselbe in äußerer Gestalt erstehen zu<lb/>
sehen. So viel aber scheint allerdings wahrscheinlich, daß, je tiefer sich Jesus<lb/>
gegen Ende seines Lebens in die Messiasidee einließ, diese immer unwider¬<lb/>
stehlicher ihr volles Recht geltend machte und schließlich sein ganzes Bewußtsein<lb/>
ausfüllte. Hierauf scheinen auch die gegen das Ende sich häufenden Aussprüche<lb/>
vom Wiederkommen des Messias hinzudeuten. Jesus mochte wohl zuvor schon<lb/>
bisweilen an einen unglücklichen Ausgang seines Lebens gedacht haben, der<lb/>
Einzug in Jerusalem war ein äußerster Entschluß, die Erfahrungen, die er mit<lb/>
der Verstocktheit der hierarchischen Partei und vielleicht mit dem Wankelmuth<lb/>
der Seinen machte, mußten ihm schon früher die Züge des Leidens und Ster¬<lb/>
bens ins Gedächtniß rufen, welche bereits dem alttestamentlichen Messiasbilde<lb/>
nicht gefehlt hatten. Aber jetzt in Jerusalem, nachdem sein Einzug die ent¬<lb/>
sprechenden Folgen nicht gehabt, vielmehr die herrschende Partei zum äußersten<lb/>
Widerstand herausgefordert hatte, sah er sein Ende klar vor sich. Ob er nun<lb/>
auf die Wirkung rechnete, die &#x2014; nach moderner Anschaung &#x2014; &#x201E;dem Mar-<lb/>
tyrertod für eine große Idee niemals gefehlt hat?" Ob es nicht vielmehr<lb/>
wahrscheinlicher ist, daß, wenn das Bewußtsein von seiner Messianität uner¬<lb/>
schüttert blieb, dieses sich jetzt in den Gedanken flüchtete, daß er zwar sterben,<lb/>
aber als der Messias wieder erscheinen werde, um dann erst das Reich aufzu¬<lb/>
richten, ein Gedanke, für den es im alten Testament gleichfalls nicht an Anhalte¬<lb/>
punkten fehlte? Eben dies ist das Bezeichnendste, daß er in seinen letzten Re¬<lb/>
den sein Wiederkommen nicht ins Geistige deutete, nicht von einem ewigen<lb/>
Bleiben im Geist bei den Seinen sprach, wie dies die spätere Darstellung des<lb/>
Johannesevangeliums ist, sondern daß er den älteren Evangelien zufolge es<lb/>
von einem wirklichen Kommen am Ende der gegenwärtigen Weltpenvde, von<lb/>
einem Kommen in voller Königswürde verstand. Allerdings sind gerade diese<lb/>
Reden voll von Einschiebseln späterer Zeit, namentlich sind die Prophezeiungen<lb/>
Von Hungersnöthcn und Erdbeben, von Kriegen und Städtevcrwüstungen, von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] äußeren Herrschaft glaubte, durch den Einzug in Jerusalem noch mehr darin be¬ stärkt wurde, schließlich aber, als der Untergang Jesu entschieden war, in seinen Hoffnungen getäuscht das Unerhörte an seinem Meister verübte. Nebst anderem ein Beweis, daß die nächste Umgebung Jesu noch keineswegs auf die Reichs¬ gedanken verzichtet hatte. Hatte er sich einmal mit dem Messias identificirt, so war dieser Gang der Dinge unvermeidlich. Er mußte den Versuch wagen, seine Messianität feierlich vom ganzen Volk anerkennen zu lassen. Wie er sich im Näheren sein Reich ^dachte, darüber fehlen uns freilich bestimmtere Nach¬ richten, sie fehlen aber ohne Zweifel schon deshalb, weil es seinem Geiste durch¬ aus ferne lag, die Grenzen zwischen einem geistigen und einem äußerlichen Reiche genau abzustecken. Beides lag in seinen Ideen noch ungetrennt zu¬ sammen. Faßte er den Inhalt seines Reichs durchaus geistig, so mußte er darum noch nicht darauf verzichten, dasselbe in äußerer Gestalt erstehen zu sehen. So viel aber scheint allerdings wahrscheinlich, daß, je tiefer sich Jesus gegen Ende seines Lebens in die Messiasidee einließ, diese immer unwider¬ stehlicher ihr volles Recht geltend machte und schließlich sein ganzes Bewußtsein ausfüllte. Hierauf scheinen auch die gegen das Ende sich häufenden Aussprüche vom Wiederkommen des Messias hinzudeuten. Jesus mochte wohl zuvor schon bisweilen an einen unglücklichen Ausgang seines Lebens gedacht haben, der Einzug in Jerusalem war ein äußerster Entschluß, die Erfahrungen, die er mit der Verstocktheit der hierarchischen Partei und vielleicht mit dem Wankelmuth der Seinen machte, mußten ihm schon früher die Züge des Leidens und Ster¬ bens ins Gedächtniß rufen, welche bereits dem alttestamentlichen Messiasbilde nicht gefehlt hatten. Aber jetzt in Jerusalem, nachdem sein Einzug die ent¬ sprechenden Folgen nicht gehabt, vielmehr die herrschende Partei zum äußersten Widerstand herausgefordert hatte, sah er sein Ende klar vor sich. Ob er nun auf die Wirkung rechnete, die — nach moderner Anschaung — „dem Mar- tyrertod für eine große Idee niemals gefehlt hat?" Ob es nicht vielmehr wahrscheinlicher ist, daß, wenn das Bewußtsein von seiner Messianität uner¬ schüttert blieb, dieses sich jetzt in den Gedanken flüchtete, daß er zwar sterben, aber als der Messias wieder erscheinen werde, um dann erst das Reich aufzu¬ richten, ein Gedanke, für den es im alten Testament gleichfalls nicht an Anhalte¬ punkten fehlte? Eben dies ist das Bezeichnendste, daß er in seinen letzten Re¬ den sein Wiederkommen nicht ins Geistige deutete, nicht von einem ewigen Bleiben im Geist bei den Seinen sprach, wie dies die spätere Darstellung des Johannesevangeliums ist, sondern daß er den älteren Evangelien zufolge es von einem wirklichen Kommen am Ende der gegenwärtigen Weltpenvde, von einem Kommen in voller Königswürde verstand. Allerdings sind gerade diese Reden voll von Einschiebseln späterer Zeit, namentlich sind die Prophezeiungen Von Hungersnöthcn und Erdbeben, von Kriegen und Städtevcrwüstungen, von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/468>, abgerufen am 28.09.2024.