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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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ihrer Existenz. Jetzt erst erhoben sich die Fragen: ist der Jünger Jesu an das
Gebot Mosis gebunden, ist das Evangelium allen Völkern wie den Heiden be¬
stimmt, ist es ein sichtbares Reich, auf dessen Herabkunft vom Himmel wir zu
warten haben, oder stehen wir mitten inne in der Pflanzung des geistigen
Gottesreichs, das er verkündigt hat?

Von hier aus mühte dann aber, meinen wir, auch auf die Frage, in
Welchem Sinne Jesus sich den Messiasnamen beigelegt habe, erst das volle Licht
fallen. Es scheint gewiß, daß Jesus erst später, erst im Lauf seiner öffent¬
lichen Laufbahn sich in die messianischen Ideen einlebte. Aber wenn nun der
Scharfsinn eines Strauß den pädagogischen Gedanken nachspürt, von welchen
geleitet Jesus seine Umgebung ganz allmälig an die Idee, er sei der Messias,
gewöhnte, so wird ihm damit ein so absichtsvoller künstlicher Plan zugeschrieben,
daß die Annahme der Messiasidee doch zuletzt nur wie eine Anbequemung, ein
Nollespielen erscheint, ein Gedanke, den Strauß selbst mit Recht verwirft. Ja,
wenn aus dem Bewußtsein Jesu zuvor alles-dasjenige sorgfältig entfernt wird,
was irgendwie mit dem jüdischen Messiasglaubcn in Beziehung fleht, so ist
überhaupt nicht recht verständlich, wie er dann doch noch zu der innersten Ueber¬
zeugung gelangte, daß mit den messianischen Weissagungen niemand anders
gemeint sein könne als er. Auch dies konnte ja für den Verkündiger des Reichs
des Geistes nur zu den "Umwegen" gehören. Lagen in dem jüdischen Glau¬
ben an den Messias national-politische und religiös-moralische Elemente un¬
getrennt neben einander, so ist keine Frage, daß Jesus nach seiner ganzen An¬
lage entschieden der letzteren Seite sich zuwenden mußte. Das was Anderen
nur als die Bedingung für den Eintritt des messianischen Reichs erschien, näm¬
lich die Erhebung des Volks zu echter Frömmigkeit und Sittlichkeit, galt ihm
unbedingt als die Hauptsache. Aber daß er jene Elemente 'gegeneinander ab¬
wog und mit logischer Schärfe von einander sonderte, scheint uns bei einer
Persönlichkeit, die so ganz aus dem vollen göttliche" Instinkt heraus handelte,
nicht blos überhaupt unwahrscheinlich, sondern es sprechen auch bestimmte ge¬
schichtliche Spuren dagegen. Denn wenn Jesus in den Tagen des großen
Festes einen feierlichen Einzug in die Hauptstadt hielt, von seinen Anhängern
und Landsleuten sich Baumzweige streuen ließ und die Huldigungen als Davids¬
sohn entgegennahm, wenn er gleich darauf eine Handlung im Tempel vornahm,
welche dem jüdischen Opferwesen den Krieg erklärte, so sieht dies nicht danach
aus. als hätte er sich mit der Rolle eines geistigen Reformators begnügen wol¬
len, der die von ihm ausgestreuten Keime ruhig der zukünftigen Entfaltung
anheim geben konnte, sondern, wenn auch ein geistiges Reich, so war es doch
jedenfalls ein Reich, dessen thatsächliche Aufrichtung er in diesen Tagen noch
durchzusetzen hoffte. A"es ist es für den Verrath des Judas noch immer die
annehmbarste Erklärung, daß dieser Jünger bis zuletzt an die Aufrichtung einer


ihrer Existenz. Jetzt erst erhoben sich die Fragen: ist der Jünger Jesu an das
Gebot Mosis gebunden, ist das Evangelium allen Völkern wie den Heiden be¬
stimmt, ist es ein sichtbares Reich, auf dessen Herabkunft vom Himmel wir zu
warten haben, oder stehen wir mitten inne in der Pflanzung des geistigen
Gottesreichs, das er verkündigt hat?

Von hier aus mühte dann aber, meinen wir, auch auf die Frage, in
Welchem Sinne Jesus sich den Messiasnamen beigelegt habe, erst das volle Licht
fallen. Es scheint gewiß, daß Jesus erst später, erst im Lauf seiner öffent¬
lichen Laufbahn sich in die messianischen Ideen einlebte. Aber wenn nun der
Scharfsinn eines Strauß den pädagogischen Gedanken nachspürt, von welchen
geleitet Jesus seine Umgebung ganz allmälig an die Idee, er sei der Messias,
gewöhnte, so wird ihm damit ein so absichtsvoller künstlicher Plan zugeschrieben,
daß die Annahme der Messiasidee doch zuletzt nur wie eine Anbequemung, ein
Nollespielen erscheint, ein Gedanke, den Strauß selbst mit Recht verwirft. Ja,
wenn aus dem Bewußtsein Jesu zuvor alles-dasjenige sorgfältig entfernt wird,
was irgendwie mit dem jüdischen Messiasglaubcn in Beziehung fleht, so ist
überhaupt nicht recht verständlich, wie er dann doch noch zu der innersten Ueber¬
zeugung gelangte, daß mit den messianischen Weissagungen niemand anders
gemeint sein könne als er. Auch dies konnte ja für den Verkündiger des Reichs
des Geistes nur zu den „Umwegen" gehören. Lagen in dem jüdischen Glau¬
ben an den Messias national-politische und religiös-moralische Elemente un¬
getrennt neben einander, so ist keine Frage, daß Jesus nach seiner ganzen An¬
lage entschieden der letzteren Seite sich zuwenden mußte. Das was Anderen
nur als die Bedingung für den Eintritt des messianischen Reichs erschien, näm¬
lich die Erhebung des Volks zu echter Frömmigkeit und Sittlichkeit, galt ihm
unbedingt als die Hauptsache. Aber daß er jene Elemente 'gegeneinander ab¬
wog und mit logischer Schärfe von einander sonderte, scheint uns bei einer
Persönlichkeit, die so ganz aus dem vollen göttliche» Instinkt heraus handelte,
nicht blos überhaupt unwahrscheinlich, sondern es sprechen auch bestimmte ge¬
schichtliche Spuren dagegen. Denn wenn Jesus in den Tagen des großen
Festes einen feierlichen Einzug in die Hauptstadt hielt, von seinen Anhängern
und Landsleuten sich Baumzweige streuen ließ und die Huldigungen als Davids¬
sohn entgegennahm, wenn er gleich darauf eine Handlung im Tempel vornahm,
welche dem jüdischen Opferwesen den Krieg erklärte, so sieht dies nicht danach
aus. als hätte er sich mit der Rolle eines geistigen Reformators begnügen wol¬
len, der die von ihm ausgestreuten Keime ruhig der zukünftigen Entfaltung
anheim geben konnte, sondern, wenn auch ein geistiges Reich, so war es doch
jedenfalls ein Reich, dessen thatsächliche Aufrichtung er in diesen Tagen noch
durchzusetzen hoffte. A»es ist es für den Verrath des Judas noch immer die
annehmbarste Erklärung, daß dieser Jünger bis zuletzt an die Aufrichtung einer


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[0467] ihrer Existenz. Jetzt erst erhoben sich die Fragen: ist der Jünger Jesu an das Gebot Mosis gebunden, ist das Evangelium allen Völkern wie den Heiden be¬ stimmt, ist es ein sichtbares Reich, auf dessen Herabkunft vom Himmel wir zu warten haben, oder stehen wir mitten inne in der Pflanzung des geistigen Gottesreichs, das er verkündigt hat? Von hier aus mühte dann aber, meinen wir, auch auf die Frage, in Welchem Sinne Jesus sich den Messiasnamen beigelegt habe, erst das volle Licht fallen. Es scheint gewiß, daß Jesus erst später, erst im Lauf seiner öffent¬ lichen Laufbahn sich in die messianischen Ideen einlebte. Aber wenn nun der Scharfsinn eines Strauß den pädagogischen Gedanken nachspürt, von welchen geleitet Jesus seine Umgebung ganz allmälig an die Idee, er sei der Messias, gewöhnte, so wird ihm damit ein so absichtsvoller künstlicher Plan zugeschrieben, daß die Annahme der Messiasidee doch zuletzt nur wie eine Anbequemung, ein Nollespielen erscheint, ein Gedanke, den Strauß selbst mit Recht verwirft. Ja, wenn aus dem Bewußtsein Jesu zuvor alles-dasjenige sorgfältig entfernt wird, was irgendwie mit dem jüdischen Messiasglaubcn in Beziehung fleht, so ist überhaupt nicht recht verständlich, wie er dann doch noch zu der innersten Ueber¬ zeugung gelangte, daß mit den messianischen Weissagungen niemand anders gemeint sein könne als er. Auch dies konnte ja für den Verkündiger des Reichs des Geistes nur zu den „Umwegen" gehören. Lagen in dem jüdischen Glau¬ ben an den Messias national-politische und religiös-moralische Elemente un¬ getrennt neben einander, so ist keine Frage, daß Jesus nach seiner ganzen An¬ lage entschieden der letzteren Seite sich zuwenden mußte. Das was Anderen nur als die Bedingung für den Eintritt des messianischen Reichs erschien, näm¬ lich die Erhebung des Volks zu echter Frömmigkeit und Sittlichkeit, galt ihm unbedingt als die Hauptsache. Aber daß er jene Elemente 'gegeneinander ab¬ wog und mit logischer Schärfe von einander sonderte, scheint uns bei einer Persönlichkeit, die so ganz aus dem vollen göttliche» Instinkt heraus handelte, nicht blos überhaupt unwahrscheinlich, sondern es sprechen auch bestimmte ge¬ schichtliche Spuren dagegen. Denn wenn Jesus in den Tagen des großen Festes einen feierlichen Einzug in die Hauptstadt hielt, von seinen Anhängern und Landsleuten sich Baumzweige streuen ließ und die Huldigungen als Davids¬ sohn entgegennahm, wenn er gleich darauf eine Handlung im Tempel vornahm, welche dem jüdischen Opferwesen den Krieg erklärte, so sieht dies nicht danach aus. als hätte er sich mit der Rolle eines geistigen Reformators begnügen wol¬ len, der die von ihm ausgestreuten Keime ruhig der zukünftigen Entfaltung anheim geben konnte, sondern, wenn auch ein geistiges Reich, so war es doch jedenfalls ein Reich, dessen thatsächliche Aufrichtung er in diesen Tagen noch durchzusetzen hoffte. A»es ist es für den Verrath des Judas noch immer die annehmbarste Erklärung, daß dieser Jünger bis zuletzt an die Aufrichtung einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/467>, abgerufen am 28.09.2024.