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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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die Jünger, welche dieselbe von Neuem in menschliche Satzungen einschließen,
-- den Meister, der von der Allgemeinheit des neuen Hcilspruchs durchdrungen
sich an Heiden und Juden ohne Unterschied wandte, und die Jünger, welche
an dem Vorzugsrecht des jüdischen Pole's festhaltend den Heiden die Taufe
weigern, -- den Meister, welcher, selbst über das Gesetz hinwegschreitend, ihm
den Untergang verkündigte, und die Jünger, welche den jüdischen Tempelcultus,
die väterlichen Sitten bewahren und die fortdauernde Giltigkeit des Ritual¬
gesetzes anerkennen, -- den Meister, der sich als Anfänger eines geistigen Reiches
weiß, und die Jünger, welche die leibliche Wiederkunft des Herrn und damit
das Herabkommen des himmlischen Jerusalem und die sichtbare Vollendung des
messianischen Reichs erwarten. Fassen wir den Gegensatz in seiner ganzen
Schärfe, so wird es uns schwer, die geschichtliche Brücke zu finden. Wie ist es
möglich, daß dieselben Personen, die als Jünger im engsten Vertrauen Jesu
gestanden hatten, die Jesus selbst zu Vermittlern seiner Gedanken an die Welt ge¬
macht hatte, nach seinem Tod in eine Praxis und Lehre geriethen, die mit der ihres
Herrn in völligem Widerspruch stand? Nun steht aber das Eine unzweifelhaft histo¬
risch fest, nämlich wie die älteste Gemeinde gestützt auf die Autorität eines Pe¬
trus, eines Johannes, eines Jakobus gedacht und gehandelt hat. Mus sich da
nicht immer wieder der Zweifel aufdrängen, ob es mit den historischen That¬
sachen vereinbar ist. Jesus ein klar ausgesprochenes Bewußtsein von der Trag¬
weite seiner Ideen zuzuschreiben? Anzunehmen, daß die Jünger so völlig un¬
fähig waren, den Sinn der Worte Jesu zu fassen, würde doch auf diesen selbst
ein seltsames Licht zurückwerfen. Die Auskunft, daß das Schicksal Jesu und
später des Stephanus die Jünger in ihrem Verhältniß zum Judaismus vorsich¬
tig gemacht habe, würde dasjenige als kluge Berechnung erscheinen lassen, was
doch offenbar innerste Ueberzeugung war. Und wollte man endlich sagen, im
Bewußtsein der Jünger sei alles andere zurückgetreten gegen den einen Satz,
daß Jesus der Messias ist. ihr ganzes Denken, ihr Glaube und ihre Phantasie
habe sich einzig an diesen Punkt geklammert, sei ganz von dieser neuen Wahr¬
heit absorbirt worden, so ist das zwar vollkommen richtig, aber eben darin be¬
stand ja ihr Judaismus, daß sie sich ganz auf ein Dogma concentrirten, das
zunächst über das Judenthum nicht hinausgriff und die Abstufung jüdischen We¬
sens noch gar nicht involoirte. Daß Jesus der Messias ist, war ein wesent¬
lich innerjüdischer Gedanke. Nur dadurch unterschieden sich die ersten Christen
von den Juden, daß diese den Messias erwarteten, jene ihn bereits in Jesus
erschienen oder vielmehr als solchen demnächst wiederkommend sich vorstellten.
Also auch so bliebe es zu erklären, wie die Jünger, um es mit einem Wort
zu bezeichnen, aus dem Universalismus Jesu in den Judaismus zurückfielen.

Einigermaßen kommen nun unserm Bedenken freilich anderweitige Analo¬
gien zu Hilfe. Es ist eine bekannte Wahrnehmung, ein constantes Gesetz, daß


die Jünger, welche dieselbe von Neuem in menschliche Satzungen einschließen,
— den Meister, der von der Allgemeinheit des neuen Hcilspruchs durchdrungen
sich an Heiden und Juden ohne Unterschied wandte, und die Jünger, welche
an dem Vorzugsrecht des jüdischen Pole's festhaltend den Heiden die Taufe
weigern, — den Meister, welcher, selbst über das Gesetz hinwegschreitend, ihm
den Untergang verkündigte, und die Jünger, welche den jüdischen Tempelcultus,
die väterlichen Sitten bewahren und die fortdauernde Giltigkeit des Ritual¬
gesetzes anerkennen, — den Meister, der sich als Anfänger eines geistigen Reiches
weiß, und die Jünger, welche die leibliche Wiederkunft des Herrn und damit
das Herabkommen des himmlischen Jerusalem und die sichtbare Vollendung des
messianischen Reichs erwarten. Fassen wir den Gegensatz in seiner ganzen
Schärfe, so wird es uns schwer, die geschichtliche Brücke zu finden. Wie ist es
möglich, daß dieselben Personen, die als Jünger im engsten Vertrauen Jesu
gestanden hatten, die Jesus selbst zu Vermittlern seiner Gedanken an die Welt ge¬
macht hatte, nach seinem Tod in eine Praxis und Lehre geriethen, die mit der ihres
Herrn in völligem Widerspruch stand? Nun steht aber das Eine unzweifelhaft histo¬
risch fest, nämlich wie die älteste Gemeinde gestützt auf die Autorität eines Pe¬
trus, eines Johannes, eines Jakobus gedacht und gehandelt hat. Mus sich da
nicht immer wieder der Zweifel aufdrängen, ob es mit den historischen That¬
sachen vereinbar ist. Jesus ein klar ausgesprochenes Bewußtsein von der Trag¬
weite seiner Ideen zuzuschreiben? Anzunehmen, daß die Jünger so völlig un¬
fähig waren, den Sinn der Worte Jesu zu fassen, würde doch auf diesen selbst
ein seltsames Licht zurückwerfen. Die Auskunft, daß das Schicksal Jesu und
später des Stephanus die Jünger in ihrem Verhältniß zum Judaismus vorsich¬
tig gemacht habe, würde dasjenige als kluge Berechnung erscheinen lassen, was
doch offenbar innerste Ueberzeugung war. Und wollte man endlich sagen, im
Bewußtsein der Jünger sei alles andere zurückgetreten gegen den einen Satz,
daß Jesus der Messias ist. ihr ganzes Denken, ihr Glaube und ihre Phantasie
habe sich einzig an diesen Punkt geklammert, sei ganz von dieser neuen Wahr¬
heit absorbirt worden, so ist das zwar vollkommen richtig, aber eben darin be¬
stand ja ihr Judaismus, daß sie sich ganz auf ein Dogma concentrirten, das
zunächst über das Judenthum nicht hinausgriff und die Abstufung jüdischen We¬
sens noch gar nicht involoirte. Daß Jesus der Messias ist, war ein wesent¬
lich innerjüdischer Gedanke. Nur dadurch unterschieden sich die ersten Christen
von den Juden, daß diese den Messias erwarteten, jene ihn bereits in Jesus
erschienen oder vielmehr als solchen demnächst wiederkommend sich vorstellten.
Also auch so bliebe es zu erklären, wie die Jünger, um es mit einem Wort
zu bezeichnen, aus dem Universalismus Jesu in den Judaismus zurückfielen.

Einigermaßen kommen nun unserm Bedenken freilich anderweitige Analo¬
gien zu Hilfe. Es ist eine bekannte Wahrnehmung, ein constantes Gesetz, daß


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[0464] die Jünger, welche dieselbe von Neuem in menschliche Satzungen einschließen, — den Meister, der von der Allgemeinheit des neuen Hcilspruchs durchdrungen sich an Heiden und Juden ohne Unterschied wandte, und die Jünger, welche an dem Vorzugsrecht des jüdischen Pole's festhaltend den Heiden die Taufe weigern, — den Meister, welcher, selbst über das Gesetz hinwegschreitend, ihm den Untergang verkündigte, und die Jünger, welche den jüdischen Tempelcultus, die väterlichen Sitten bewahren und die fortdauernde Giltigkeit des Ritual¬ gesetzes anerkennen, — den Meister, der sich als Anfänger eines geistigen Reiches weiß, und die Jünger, welche die leibliche Wiederkunft des Herrn und damit das Herabkommen des himmlischen Jerusalem und die sichtbare Vollendung des messianischen Reichs erwarten. Fassen wir den Gegensatz in seiner ganzen Schärfe, so wird es uns schwer, die geschichtliche Brücke zu finden. Wie ist es möglich, daß dieselben Personen, die als Jünger im engsten Vertrauen Jesu gestanden hatten, die Jesus selbst zu Vermittlern seiner Gedanken an die Welt ge¬ macht hatte, nach seinem Tod in eine Praxis und Lehre geriethen, die mit der ihres Herrn in völligem Widerspruch stand? Nun steht aber das Eine unzweifelhaft histo¬ risch fest, nämlich wie die älteste Gemeinde gestützt auf die Autorität eines Pe¬ trus, eines Johannes, eines Jakobus gedacht und gehandelt hat. Mus sich da nicht immer wieder der Zweifel aufdrängen, ob es mit den historischen That¬ sachen vereinbar ist. Jesus ein klar ausgesprochenes Bewußtsein von der Trag¬ weite seiner Ideen zuzuschreiben? Anzunehmen, daß die Jünger so völlig un¬ fähig waren, den Sinn der Worte Jesu zu fassen, würde doch auf diesen selbst ein seltsames Licht zurückwerfen. Die Auskunft, daß das Schicksal Jesu und später des Stephanus die Jünger in ihrem Verhältniß zum Judaismus vorsich¬ tig gemacht habe, würde dasjenige als kluge Berechnung erscheinen lassen, was doch offenbar innerste Ueberzeugung war. Und wollte man endlich sagen, im Bewußtsein der Jünger sei alles andere zurückgetreten gegen den einen Satz, daß Jesus der Messias ist. ihr ganzes Denken, ihr Glaube und ihre Phantasie habe sich einzig an diesen Punkt geklammert, sei ganz von dieser neuen Wahr¬ heit absorbirt worden, so ist das zwar vollkommen richtig, aber eben darin be¬ stand ja ihr Judaismus, daß sie sich ganz auf ein Dogma concentrirten, das zunächst über das Judenthum nicht hinausgriff und die Abstufung jüdischen We¬ sens noch gar nicht involoirte. Daß Jesus der Messias ist, war ein wesent¬ lich innerjüdischer Gedanke. Nur dadurch unterschieden sich die ersten Christen von den Juden, daß diese den Messias erwarteten, jene ihn bereits in Jesus erschienen oder vielmehr als solchen demnächst wiederkommend sich vorstellten. Also auch so bliebe es zu erklären, wie die Jünger, um es mit einem Wort zu bezeichnen, aus dem Universalismus Jesu in den Judaismus zurückfielen. Einigermaßen kommen nun unserm Bedenken freilich anderweitige Analo¬ gien zu Hilfe. Es ist eine bekannte Wahrnehmung, ein constantes Gesetz, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/464>, abgerufen am 28.09.2024.