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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Als den Grundzug in der Frömmigkeit Jesu bezeichnet nun Strauß -- es
ist eines seiner schönsten Capitel -- eine alles umfassende, auch das Böse nur
durch Gutes überwindende Liebe, die er daher auf Gott als die Grundbestim¬
mung seines Wesens übertrug. Die höchste religiöse Stimmung, die in seinem
Bewußtsein lebte, war das unterschiedslose Gute, in ihr wußte er sich in Ueber¬
einstimmung mit Gott, den er daher am liebsten mit dem Vaternamen bezeich¬
nete. Sich so wenig wie Gott, der langmüthige Bater, durch die Bosheit der
Menschen aus der Fassung bringen zu lassen, das Böse nur durch Gutes, den
Feind nur durch Wohlthun zu überwinden, war ein Grundsatz, der aus der
innersten Stimmung seines Herzens floß. Sind die Menschen die Kinder Got¬
tes, so sind sie unter einander Brüder und sollen sich lieben als Brüder, ein
jeder den andern so behandeln, wie er von ihm behandelt zu werden wünscht.
In dieser humanen Liebesstimmung und der ans ihr fließenden Thätigkeit über
alle Hemmungen und Schranken des Menschenlebens hinausgehoben, empfand
Jesus jene innere Glückseligkeit, mit welcher verglichen alle äußeren Freuden
und Leiden ihre Bedeutung verloren. Daher jene heitere Sorglosigkeit, die
Genügsamkeit bei einem beschwerlichen Wanderleben, die Gleichgiltigkeit gegen
äußere Ehre und Schmach, jene Vorliebe für die Kinder, die Willigkeit, dem,
der den rechten Backen schlug, auch noch den linken darzubieten und dein feh¬
lenden Bruder nicht blos siebenmal, sondern sicbenzigmal siebenmal zu verge¬
ben. Nirgends stoßen wir auf Spuren harter Kämpfe, eines gewaltsamen Durch¬
bruchs, in seiner Natur ist nichts Hartes, Herdes, Düsteres, und schon vom
Täufer unterscheidet er sich eben durch diese freundliche Milde seines Wesens,
Er erscheint als eine schöne Natur von Hause aus. die sich nur aus sich selber
heraus zu entfalten, sich ihrer selbst immer klarer bewußt zu werden, nicht aber
umzukehren oder gewaltsame Krisen durchzumachen hatte.

Hat man einmal hier einen bestimmten Anhaltspunkt gewonnen, so scheint
alles Weitere sich von selbst daraus zu ergebe". Wenn Jesus auf rein geisti¬
gem Weg durch Entfaltung des in ihm lebendigen Licbestriebs den Frieden
und die Uebereinstimmung mit Gott fand, so mußten ihm alle die äußerlichen
Mittel, durch welche sein Volk denselben Zweck zu erreichen suchte, als ein Um¬
weg erscheinen. Die Beobachtung des mosaischen Gesetzes mit seiner Fülle äußer¬
licher und particulärer Bestimmungen konnte nicht mehr die unerläßliche Be¬
dingung sein, um in das richtige Verhältniß zu Gott zu gelangen. In dem
Begriffe Gottes als des Vaters aller Menschen lag die Universalität des neuen
Princips, das Juden und Heiden ohne Unterschied, mit gleicher Berechtigung,
zu dem neuen Gottesreiche einlud. Dieses Reich selbst konnte kein anderes sein,
als ein rein geistiges Reich, eine Gemeinschaft der Frommen zur Ausübung
des Gebots, welches Jesus als Kern und Inbegriff von Gesetz und Propheten
bezeichnete. Und wenn er selbst den Titel des von den Juden ersehnten Nee-


Als den Grundzug in der Frömmigkeit Jesu bezeichnet nun Strauß — es
ist eines seiner schönsten Capitel — eine alles umfassende, auch das Böse nur
durch Gutes überwindende Liebe, die er daher auf Gott als die Grundbestim¬
mung seines Wesens übertrug. Die höchste religiöse Stimmung, die in seinem
Bewußtsein lebte, war das unterschiedslose Gute, in ihr wußte er sich in Ueber¬
einstimmung mit Gott, den er daher am liebsten mit dem Vaternamen bezeich¬
nete. Sich so wenig wie Gott, der langmüthige Bater, durch die Bosheit der
Menschen aus der Fassung bringen zu lassen, das Böse nur durch Gutes, den
Feind nur durch Wohlthun zu überwinden, war ein Grundsatz, der aus der
innersten Stimmung seines Herzens floß. Sind die Menschen die Kinder Got¬
tes, so sind sie unter einander Brüder und sollen sich lieben als Brüder, ein
jeder den andern so behandeln, wie er von ihm behandelt zu werden wünscht.
In dieser humanen Liebesstimmung und der ans ihr fließenden Thätigkeit über
alle Hemmungen und Schranken des Menschenlebens hinausgehoben, empfand
Jesus jene innere Glückseligkeit, mit welcher verglichen alle äußeren Freuden
und Leiden ihre Bedeutung verloren. Daher jene heitere Sorglosigkeit, die
Genügsamkeit bei einem beschwerlichen Wanderleben, die Gleichgiltigkeit gegen
äußere Ehre und Schmach, jene Vorliebe für die Kinder, die Willigkeit, dem,
der den rechten Backen schlug, auch noch den linken darzubieten und dein feh¬
lenden Bruder nicht blos siebenmal, sondern sicbenzigmal siebenmal zu verge¬
ben. Nirgends stoßen wir auf Spuren harter Kämpfe, eines gewaltsamen Durch¬
bruchs, in seiner Natur ist nichts Hartes, Herdes, Düsteres, und schon vom
Täufer unterscheidet er sich eben durch diese freundliche Milde seines Wesens,
Er erscheint als eine schöne Natur von Hause aus. die sich nur aus sich selber
heraus zu entfalten, sich ihrer selbst immer klarer bewußt zu werden, nicht aber
umzukehren oder gewaltsame Krisen durchzumachen hatte.

Hat man einmal hier einen bestimmten Anhaltspunkt gewonnen, so scheint
alles Weitere sich von selbst daraus zu ergebe». Wenn Jesus auf rein geisti¬
gem Weg durch Entfaltung des in ihm lebendigen Licbestriebs den Frieden
und die Uebereinstimmung mit Gott fand, so mußten ihm alle die äußerlichen
Mittel, durch welche sein Volk denselben Zweck zu erreichen suchte, als ein Um¬
weg erscheinen. Die Beobachtung des mosaischen Gesetzes mit seiner Fülle äußer¬
licher und particulärer Bestimmungen konnte nicht mehr die unerläßliche Be¬
dingung sein, um in das richtige Verhältniß zu Gott zu gelangen. In dem
Begriffe Gottes als des Vaters aller Menschen lag die Universalität des neuen
Princips, das Juden und Heiden ohne Unterschied, mit gleicher Berechtigung,
zu dem neuen Gottesreiche einlud. Dieses Reich selbst konnte kein anderes sein,
als ein rein geistiges Reich, eine Gemeinschaft der Frommen zur Ausübung
des Gebots, welches Jesus als Kern und Inbegriff von Gesetz und Propheten
bezeichnete. Und wenn er selbst den Titel des von den Juden ersehnten Nee-


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[0459] Als den Grundzug in der Frömmigkeit Jesu bezeichnet nun Strauß — es ist eines seiner schönsten Capitel — eine alles umfassende, auch das Böse nur durch Gutes überwindende Liebe, die er daher auf Gott als die Grundbestim¬ mung seines Wesens übertrug. Die höchste religiöse Stimmung, die in seinem Bewußtsein lebte, war das unterschiedslose Gute, in ihr wußte er sich in Ueber¬ einstimmung mit Gott, den er daher am liebsten mit dem Vaternamen bezeich¬ nete. Sich so wenig wie Gott, der langmüthige Bater, durch die Bosheit der Menschen aus der Fassung bringen zu lassen, das Böse nur durch Gutes, den Feind nur durch Wohlthun zu überwinden, war ein Grundsatz, der aus der innersten Stimmung seines Herzens floß. Sind die Menschen die Kinder Got¬ tes, so sind sie unter einander Brüder und sollen sich lieben als Brüder, ein jeder den andern so behandeln, wie er von ihm behandelt zu werden wünscht. In dieser humanen Liebesstimmung und der ans ihr fließenden Thätigkeit über alle Hemmungen und Schranken des Menschenlebens hinausgehoben, empfand Jesus jene innere Glückseligkeit, mit welcher verglichen alle äußeren Freuden und Leiden ihre Bedeutung verloren. Daher jene heitere Sorglosigkeit, die Genügsamkeit bei einem beschwerlichen Wanderleben, die Gleichgiltigkeit gegen äußere Ehre und Schmach, jene Vorliebe für die Kinder, die Willigkeit, dem, der den rechten Backen schlug, auch noch den linken darzubieten und dein feh¬ lenden Bruder nicht blos siebenmal, sondern sicbenzigmal siebenmal zu verge¬ ben. Nirgends stoßen wir auf Spuren harter Kämpfe, eines gewaltsamen Durch¬ bruchs, in seiner Natur ist nichts Hartes, Herdes, Düsteres, und schon vom Täufer unterscheidet er sich eben durch diese freundliche Milde seines Wesens, Er erscheint als eine schöne Natur von Hause aus. die sich nur aus sich selber heraus zu entfalten, sich ihrer selbst immer klarer bewußt zu werden, nicht aber umzukehren oder gewaltsame Krisen durchzumachen hatte. Hat man einmal hier einen bestimmten Anhaltspunkt gewonnen, so scheint alles Weitere sich von selbst daraus zu ergebe». Wenn Jesus auf rein geisti¬ gem Weg durch Entfaltung des in ihm lebendigen Licbestriebs den Frieden und die Uebereinstimmung mit Gott fand, so mußten ihm alle die äußerlichen Mittel, durch welche sein Volk denselben Zweck zu erreichen suchte, als ein Um¬ weg erscheinen. Die Beobachtung des mosaischen Gesetzes mit seiner Fülle äußer¬ licher und particulärer Bestimmungen konnte nicht mehr die unerläßliche Be¬ dingung sein, um in das richtige Verhältniß zu Gott zu gelangen. In dem Begriffe Gottes als des Vaters aller Menschen lag die Universalität des neuen Princips, das Juden und Heiden ohne Unterschied, mit gleicher Berechtigung, zu dem neuen Gottesreiche einlud. Dieses Reich selbst konnte kein anderes sein, als ein rein geistiges Reich, eine Gemeinschaft der Frommen zur Ausübung des Gebots, welches Jesus als Kern und Inbegriff von Gesetz und Propheten bezeichnete. Und wenn er selbst den Titel des von den Juden ersehnten Nee-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/459>, abgerufen am 28.09.2024.