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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Lösung im modernen Sinne hin, nach vollständiger Trennung der Schule von
der Kirche. Ohne Zweifel werden die Lorbeeren, die sich eben jetzt der Erz-
bischof von Freiburg im badischen Schulstreit erwirbt, die bayrischen Bischöfe
nicht schlafen lassen; sie werden ihren ganzen Einfluß aufbieten, diese Trennung
um jeden Preis zu hindern, und sie werden einen viel weiteren Spielraum für ihre
Projecte haben als ihr badischer College. Zwar haben sie in der Adresse, die
sie jüngst in Bamberg beriethen und dem jungen König überreichten, darauf
hingewiesen, daß das Königthum in dem Priesterthum seinen treusten Bundes¬
genossen habe, aber man weiß ja, wie dies zu verstehen ist: das Königthum
kann sich gerade so lange auf diesen Bundesgenossen verlassen, als es ihm zu
Willen lebt; keinen Augenblick länger. Also hier wird der Minister einen sehr
schweren Stand haben, einmal gegen die Bischöfe und einen wohldisciplinirten
Klerus, der in geschlossenen Reihen hinter ihnen steht, dann gegen die bornirte
Bevölkerung einiger völlig katholischen Landestheile, endlich nach oben gegen
den König, der, fromm erzogen, kirchlichen Einflüssen sehr zugänglich ist. und
gegen den in dieser Frage ganz unzuverlässigen Cabinetsrath Pfistermeister.
Eine zweite, überaus wichtige Frage, in welcher Herr Koch sehr bald wird
Farbe bekennen müssen, ist das Verhältniß der Landesuniversitäten. Woran
anderswo aus deutschen Hochschulen kaum irgendjemand denkt, die Frage der
Landsmannschaft der zu berufenden Lehrer, ist in Bayern bekanntlich von jeher
eine Hauptsache gewesen. Von Zeit zu Zeit hat das eingeborne Bajuwaren-
thum mit aller Kraft eines festgewurzelten Vorurtheils gegen die Berufung so¬
genannter "Ausländer" an die Universitäten rea.girt. Was man anderswo als
eine der wohlthätigsten Institutionen des deutschen Univerfitätslebcns betrachtet,
der Austausch bedeutender Kräfte aller deutschen Länder, hat in Bayern immer
und immer wieder auf den heftigsten Widerstand gestoßen. Der verstorbene
König hatte eine Zeit lang energisch und rücksichtslos gegen diese bayrische
Idiosynkrasie angekämpft, schließlich hat auch er seiner Popularität zu Liebe
der Verstocktheit seines Volkes' nachgeben müssen und seinen Rückzug deckte
einigermaßen die lebhaftere politische Bewegung der letzten Jahre, die neuer¬
dings den Beweis lieferte, daß "diese Fremden kein Herz für Bayern" haben.
Der Negierung seines Sohnes blieb es vorbehalten, die Entdeckung zu machen,
daß norddeutsche Gelehrte den Bedürfnissen des bayrischen Volkes nicht gerecht
zu werden verständen, daß daher, wo es absolut unmöglich sei. aus der Mitte
der bayrischen Schulmeister. Bureaukraten und Aerzte die nöthigen Professoren
für die drei Landesuniversitäten zu gewinnen, zunächst Rücksicht auf süddeutsche
Gelehrte zu nehmen sei. die, wie es scheint, auch politisch für ungefährlicher gelten
als die norddeutschen, welche in der Regel eine "blinde Vorliebe" für die "bösen
Preußen" mitbringen und heimtückischerweise in die Seelen der jungen Baju-
warier zu pflanzen streben.


Lösung im modernen Sinne hin, nach vollständiger Trennung der Schule von
der Kirche. Ohne Zweifel werden die Lorbeeren, die sich eben jetzt der Erz-
bischof von Freiburg im badischen Schulstreit erwirbt, die bayrischen Bischöfe
nicht schlafen lassen; sie werden ihren ganzen Einfluß aufbieten, diese Trennung
um jeden Preis zu hindern, und sie werden einen viel weiteren Spielraum für ihre
Projecte haben als ihr badischer College. Zwar haben sie in der Adresse, die
sie jüngst in Bamberg beriethen und dem jungen König überreichten, darauf
hingewiesen, daß das Königthum in dem Priesterthum seinen treusten Bundes¬
genossen habe, aber man weiß ja, wie dies zu verstehen ist: das Königthum
kann sich gerade so lange auf diesen Bundesgenossen verlassen, als es ihm zu
Willen lebt; keinen Augenblick länger. Also hier wird der Minister einen sehr
schweren Stand haben, einmal gegen die Bischöfe und einen wohldisciplinirten
Klerus, der in geschlossenen Reihen hinter ihnen steht, dann gegen die bornirte
Bevölkerung einiger völlig katholischen Landestheile, endlich nach oben gegen
den König, der, fromm erzogen, kirchlichen Einflüssen sehr zugänglich ist. und
gegen den in dieser Frage ganz unzuverlässigen Cabinetsrath Pfistermeister.
Eine zweite, überaus wichtige Frage, in welcher Herr Koch sehr bald wird
Farbe bekennen müssen, ist das Verhältniß der Landesuniversitäten. Woran
anderswo aus deutschen Hochschulen kaum irgendjemand denkt, die Frage der
Landsmannschaft der zu berufenden Lehrer, ist in Bayern bekanntlich von jeher
eine Hauptsache gewesen. Von Zeit zu Zeit hat das eingeborne Bajuwaren-
thum mit aller Kraft eines festgewurzelten Vorurtheils gegen die Berufung so¬
genannter „Ausländer" an die Universitäten rea.girt. Was man anderswo als
eine der wohlthätigsten Institutionen des deutschen Univerfitätslebcns betrachtet,
der Austausch bedeutender Kräfte aller deutschen Länder, hat in Bayern immer
und immer wieder auf den heftigsten Widerstand gestoßen. Der verstorbene
König hatte eine Zeit lang energisch und rücksichtslos gegen diese bayrische
Idiosynkrasie angekämpft, schließlich hat auch er seiner Popularität zu Liebe
der Verstocktheit seines Volkes' nachgeben müssen und seinen Rückzug deckte
einigermaßen die lebhaftere politische Bewegung der letzten Jahre, die neuer¬
dings den Beweis lieferte, daß „diese Fremden kein Herz für Bayern" haben.
Der Negierung seines Sohnes blieb es vorbehalten, die Entdeckung zu machen,
daß norddeutsche Gelehrte den Bedürfnissen des bayrischen Volkes nicht gerecht
zu werden verständen, daß daher, wo es absolut unmöglich sei. aus der Mitte
der bayrischen Schulmeister. Bureaukraten und Aerzte die nöthigen Professoren
für die drei Landesuniversitäten zu gewinnen, zunächst Rücksicht auf süddeutsche
Gelehrte zu nehmen sei. die, wie es scheint, auch politisch für ungefährlicher gelten
als die norddeutschen, welche in der Regel eine „blinde Vorliebe" für die „bösen
Preußen" mitbringen und heimtückischerweise in die Seelen der jungen Baju-
warier zu pflanzen streben.


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[0452] Lösung im modernen Sinne hin, nach vollständiger Trennung der Schule von der Kirche. Ohne Zweifel werden die Lorbeeren, die sich eben jetzt der Erz- bischof von Freiburg im badischen Schulstreit erwirbt, die bayrischen Bischöfe nicht schlafen lassen; sie werden ihren ganzen Einfluß aufbieten, diese Trennung um jeden Preis zu hindern, und sie werden einen viel weiteren Spielraum für ihre Projecte haben als ihr badischer College. Zwar haben sie in der Adresse, die sie jüngst in Bamberg beriethen und dem jungen König überreichten, darauf hingewiesen, daß das Königthum in dem Priesterthum seinen treusten Bundes¬ genossen habe, aber man weiß ja, wie dies zu verstehen ist: das Königthum kann sich gerade so lange auf diesen Bundesgenossen verlassen, als es ihm zu Willen lebt; keinen Augenblick länger. Also hier wird der Minister einen sehr schweren Stand haben, einmal gegen die Bischöfe und einen wohldisciplinirten Klerus, der in geschlossenen Reihen hinter ihnen steht, dann gegen die bornirte Bevölkerung einiger völlig katholischen Landestheile, endlich nach oben gegen den König, der, fromm erzogen, kirchlichen Einflüssen sehr zugänglich ist. und gegen den in dieser Frage ganz unzuverlässigen Cabinetsrath Pfistermeister. Eine zweite, überaus wichtige Frage, in welcher Herr Koch sehr bald wird Farbe bekennen müssen, ist das Verhältniß der Landesuniversitäten. Woran anderswo aus deutschen Hochschulen kaum irgendjemand denkt, die Frage der Landsmannschaft der zu berufenden Lehrer, ist in Bayern bekanntlich von jeher eine Hauptsache gewesen. Von Zeit zu Zeit hat das eingeborne Bajuwaren- thum mit aller Kraft eines festgewurzelten Vorurtheils gegen die Berufung so¬ genannter „Ausländer" an die Universitäten rea.girt. Was man anderswo als eine der wohlthätigsten Institutionen des deutschen Univerfitätslebcns betrachtet, der Austausch bedeutender Kräfte aller deutschen Länder, hat in Bayern immer und immer wieder auf den heftigsten Widerstand gestoßen. Der verstorbene König hatte eine Zeit lang energisch und rücksichtslos gegen diese bayrische Idiosynkrasie angekämpft, schließlich hat auch er seiner Popularität zu Liebe der Verstocktheit seines Volkes' nachgeben müssen und seinen Rückzug deckte einigermaßen die lebhaftere politische Bewegung der letzten Jahre, die neuer¬ dings den Beweis lieferte, daß „diese Fremden kein Herz für Bayern" haben. Der Negierung seines Sohnes blieb es vorbehalten, die Entdeckung zu machen, daß norddeutsche Gelehrte den Bedürfnissen des bayrischen Volkes nicht gerecht zu werden verständen, daß daher, wo es absolut unmöglich sei. aus der Mitte der bayrischen Schulmeister. Bureaukraten und Aerzte die nöthigen Professoren für die drei Landesuniversitäten zu gewinnen, zunächst Rücksicht auf süddeutsche Gelehrte zu nehmen sei. die, wie es scheint, auch politisch für ungefährlicher gelten als die norddeutschen, welche in der Regel eine „blinde Vorliebe" für die „bösen Preußen" mitbringen und heimtückischerweise in die Seelen der jungen Baju- warier zu pflanzen streben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/452>, abgerufen am 28.09.2024.