Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.man dem Todten keine Blumen nahe an den Mund lecken soll, weil er dann Spieß hat fleißig gesammelt und das Gesammelte mit Verständniß verar¬ Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Her dig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig. man dem Todten keine Blumen nahe an den Mund lecken soll, weil er dann Spieß hat fleißig gesammelt und das Gesammelte mit Verständniß verar¬ Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch. Verlag von F. L. Her dig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/189543"/> <p xml:id="ID_1732" prev="#ID_1731"> man dem Todten keine Blumen nahe an den Mund lecken soll, weil er dann<lb/> ein anderes Familienglied (durch Saugen an der Blume) nachholt, und nach<lb/> denen man alle Bänder, die sich um den Kopf einer weiblichen Todten befin¬<lb/> den, anzustecken hat, damit sie ihr nicht in den Mund kommen, denn sie würde<lb/> in diesem Fall daran „tälscher", d. h. schmatzend kauen und dadurch jemand<lb/> von der Freundschaft sich nachziehen. Ebenfalls hierher bezieht sich der an vie¬<lb/> len Orten des Gebirgs noch bestehende Gebrauch, nach Abgang des Leichen¬<lb/> zugs das Haus zu verschließen und weder jemand herein noch jemand heraus<lb/> zu lassen, bis die Leidtragenden vom Begräbnis; zurückgekehrt sind. Unterläßt<lb/> man diese Vorsichtsmaßregel, so holt die Leiche bald jemand — in Geier den,<lb/> welcher nach ihrer Fortschaffung 'zuerst ins Haus tritt — sich nach.</p><lb/> <p xml:id="ID_1733"> Spieß hat fleißig gesammelt und das Gesammelte mit Verständniß verar¬<lb/> beitet. Es sollte aber auf diesem Gebiete für ganz Sachsen die nöthige Thä¬<lb/> tigkeit entfaltet werden, ehe es zu spät ist. Namentlich sollte sich eine kundige<lb/> Hand an die Sagen historischer und mythologischer Art machen, von denen noch<lb/> immer manche für die Wissenschaft interessante im Volksmunde sein wird. Was<lb/> bisher darin geleistet wurde, ist großentheis völlig unbrauchbar. Der Eine gab<lb/> verschönerte, sentimentalisirte und versificirte Sagen zum Zweck der Unterhal¬<lb/> tung. Ein Andrer hatte ebensowenig eine richtige Vorstellung von dem Werth<lb/> naiver Erzählung und der Ungehörigkeit seiner Zuthaten. Herr Grässe endlich<lb/> hat uns in seinem Sagenschatz des Königreichs Sachsen (18os) ein Sammel¬<lb/> surium geliefert, das zwar von ziemlicher Dickleibigkeit, aber mit sehr wenig<lb/> Kritik und Geschmack gemacht ist, und das so zwar vieles, aber nicht viel bie¬<lb/> tet. In Thüringen lassen, wie wir hören, die Regierungen von Lehrern und<lb/> Pastoren für Zusammenstellung der noch übrigen Neste alter Sitten und Sagen<lb/> durch eine berufene Hand sammeln. Könnte derartiges nicht auch in Sachsen<lb/> geschehen?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.<lb/> Verlag von F. L. Her dig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0448]
man dem Todten keine Blumen nahe an den Mund lecken soll, weil er dann
ein anderes Familienglied (durch Saugen an der Blume) nachholt, und nach
denen man alle Bänder, die sich um den Kopf einer weiblichen Todten befin¬
den, anzustecken hat, damit sie ihr nicht in den Mund kommen, denn sie würde
in diesem Fall daran „tälscher", d. h. schmatzend kauen und dadurch jemand
von der Freundschaft sich nachziehen. Ebenfalls hierher bezieht sich der an vie¬
len Orten des Gebirgs noch bestehende Gebrauch, nach Abgang des Leichen¬
zugs das Haus zu verschließen und weder jemand herein noch jemand heraus
zu lassen, bis die Leidtragenden vom Begräbnis; zurückgekehrt sind. Unterläßt
man diese Vorsichtsmaßregel, so holt die Leiche bald jemand — in Geier den,
welcher nach ihrer Fortschaffung 'zuerst ins Haus tritt — sich nach.
Spieß hat fleißig gesammelt und das Gesammelte mit Verständniß verar¬
beitet. Es sollte aber auf diesem Gebiete für ganz Sachsen die nöthige Thä¬
tigkeit entfaltet werden, ehe es zu spät ist. Namentlich sollte sich eine kundige
Hand an die Sagen historischer und mythologischer Art machen, von denen noch
immer manche für die Wissenschaft interessante im Volksmunde sein wird. Was
bisher darin geleistet wurde, ist großentheis völlig unbrauchbar. Der Eine gab
verschönerte, sentimentalisirte und versificirte Sagen zum Zweck der Unterhal¬
tung. Ein Andrer hatte ebensowenig eine richtige Vorstellung von dem Werth
naiver Erzählung und der Ungehörigkeit seiner Zuthaten. Herr Grässe endlich
hat uns in seinem Sagenschatz des Königreichs Sachsen (18os) ein Sammel¬
surium geliefert, das zwar von ziemlicher Dickleibigkeit, aber mit sehr wenig
Kritik und Geschmack gemacht ist, und das so zwar vieles, aber nicht viel bie¬
tet. In Thüringen lassen, wie wir hören, die Regierungen von Lehrern und
Pastoren für Zusammenstellung der noch übrigen Neste alter Sitten und Sagen
durch eine berufene Hand sammeln. Könnte derartiges nicht auch in Sachsen
geschehen?
Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Her dig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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