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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Zwei Paare sollen nicht zugleich getraut werden, weil sonst das eine unglücklich
wird. Aus demselben Grunde dürfen eigentlich zwei Geschwister nicht in dem¬
selben Jahre heirathen. Auf dem Heimweg vom Pfarrer muß in der Umge¬
bung von Marienberg die junge Frau ein Stück Geld (Opfer) wegwerfen, dann
geht sie einer glücklichen Ehe entgegen. Tritt sie zum ersten Mal in das Haus
ihres Mannes, so muß sie in Marienberg ein Gesangbuch und Essen, anderswo
ein Gesangbuch, einen Groschen und etwas Salz mitbringen. Friedlicher Ver¬
lauf eines Hochzeitsschmauses bedeutet eine friedliche Ehe. Wird bei demselben
das erste Brot angeschnitten, so pflegt sich bei Schneeberg entweder die Braut oder
der Bräutigam das "Ränftchen", d. h, den Auschnitt aufzuheben; zerbröckelt dies
bald, so bedeutet es den baldigen Tod der betreffenden Person. Braut und
Bräutigam dürfen am Hochzeitstage kein Geld wechseln; denn sonst kommt
ihnen in der Ehe Geld weg. Die ersten "Schuhe, welche eine junge Frau ab¬
reißt, dürfen weder verschenkt noch verkauft werden, sondern man muß sie weg¬
werfen, sonst giebts Unglück.

Tod und Begräbniß endlich hat der Aberglaube selbstverständlich mit einer
nicht geringern Fülle von Anzeichen und eigenthümlichen Observanzen umspon¬
nen als Geburt, Taufe und Hochzeit. Die Wahrsagung auf den Tod ist. wie
wir bereits sahen, die reichste und mannigfaltigste von allen, gewisse Constel-
lationen der Verhältnisse zu heiligen Zeiten, die Thier- und Pflanzenwelt, ge¬
wisse Vorkommnisse des Alltagslebens, alles giebt in dieser Richtung Orakel für
die Altgläubigen, die sich keineswegs blos unter den armen und kleinen Leuten
finden. Einiges davon sei hier noch mitgetheilt.

Begehre ein Kranker "berichtet zu werden", d. h. das letzte Abendmahl
zu empfangen, so darf man nicht fragen, welchen Geistlichen er haben will.
Liegt jemand im Sterben, so wird die Wanduhr angehalten. Ist er verschie¬
den, so öffnet man die Fenster und wedelt mit Tüchern, "damit die Seele
hinausgeht". Dann wird alles Glänzende im Zimmer, wie Spiegel, Gläser,
Bilder, Uhren, und alles Rothe verhangen, Um so zu bleiben bis nach der
Beerdigung. Endlich muß der Todesfall den Thieren des Hauses gemeldet
werden, weil sie sonst nachsterben. Insbesondre muß der Tod des Hausherrn
den Pferden und Bienen, sowie den Obstbäumen im Garten "angesagt" wer¬
den. Um sich Gram und Trauer zu mildern, zieht der Abergläubische bei Ma¬
rienberg den Verstorbenen an der großen Fußzehe und ruft ihn beim Taufna¬
men. Bei Grünstädtcl wird der Leiche alles, womit sie gewaschen, gekämmt,
barbiert und abgetrocknet worden ist, mit in den Sarg gelegt; auch fügt man
ein Licht hinzu, "damit es hell ist, wenn der Todte erwacht". So lange der¬
selbe im Hause aufgebahrt ist, darf niemand von der Familie Brot essen, sonst
fallen ihm die Zähne aus.

Deutliche Spuren vom Vampyrglauben enthalten die Regeln, nach denen


Zwei Paare sollen nicht zugleich getraut werden, weil sonst das eine unglücklich
wird. Aus demselben Grunde dürfen eigentlich zwei Geschwister nicht in dem¬
selben Jahre heirathen. Auf dem Heimweg vom Pfarrer muß in der Umge¬
bung von Marienberg die junge Frau ein Stück Geld (Opfer) wegwerfen, dann
geht sie einer glücklichen Ehe entgegen. Tritt sie zum ersten Mal in das Haus
ihres Mannes, so muß sie in Marienberg ein Gesangbuch und Essen, anderswo
ein Gesangbuch, einen Groschen und etwas Salz mitbringen. Friedlicher Ver¬
lauf eines Hochzeitsschmauses bedeutet eine friedliche Ehe. Wird bei demselben
das erste Brot angeschnitten, so pflegt sich bei Schneeberg entweder die Braut oder
der Bräutigam das „Ränftchen", d. h, den Auschnitt aufzuheben; zerbröckelt dies
bald, so bedeutet es den baldigen Tod der betreffenden Person. Braut und
Bräutigam dürfen am Hochzeitstage kein Geld wechseln; denn sonst kommt
ihnen in der Ehe Geld weg. Die ersten "Schuhe, welche eine junge Frau ab¬
reißt, dürfen weder verschenkt noch verkauft werden, sondern man muß sie weg¬
werfen, sonst giebts Unglück.

Tod und Begräbniß endlich hat der Aberglaube selbstverständlich mit einer
nicht geringern Fülle von Anzeichen und eigenthümlichen Observanzen umspon¬
nen als Geburt, Taufe und Hochzeit. Die Wahrsagung auf den Tod ist. wie
wir bereits sahen, die reichste und mannigfaltigste von allen, gewisse Constel-
lationen der Verhältnisse zu heiligen Zeiten, die Thier- und Pflanzenwelt, ge¬
wisse Vorkommnisse des Alltagslebens, alles giebt in dieser Richtung Orakel für
die Altgläubigen, die sich keineswegs blos unter den armen und kleinen Leuten
finden. Einiges davon sei hier noch mitgetheilt.

Begehre ein Kranker „berichtet zu werden", d. h. das letzte Abendmahl
zu empfangen, so darf man nicht fragen, welchen Geistlichen er haben will.
Liegt jemand im Sterben, so wird die Wanduhr angehalten. Ist er verschie¬
den, so öffnet man die Fenster und wedelt mit Tüchern, „damit die Seele
hinausgeht". Dann wird alles Glänzende im Zimmer, wie Spiegel, Gläser,
Bilder, Uhren, und alles Rothe verhangen, Um so zu bleiben bis nach der
Beerdigung. Endlich muß der Todesfall den Thieren des Hauses gemeldet
werden, weil sie sonst nachsterben. Insbesondre muß der Tod des Hausherrn
den Pferden und Bienen, sowie den Obstbäumen im Garten „angesagt" wer¬
den. Um sich Gram und Trauer zu mildern, zieht der Abergläubische bei Ma¬
rienberg den Verstorbenen an der großen Fußzehe und ruft ihn beim Taufna¬
men. Bei Grünstädtcl wird der Leiche alles, womit sie gewaschen, gekämmt,
barbiert und abgetrocknet worden ist, mit in den Sarg gelegt; auch fügt man
ein Licht hinzu, „damit es hell ist, wenn der Todte erwacht". So lange der¬
selbe im Hause aufgebahrt ist, darf niemand von der Familie Brot essen, sonst
fallen ihm die Zähne aus.

Deutliche Spuren vom Vampyrglauben enthalten die Regeln, nach denen


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[0447] Zwei Paare sollen nicht zugleich getraut werden, weil sonst das eine unglücklich wird. Aus demselben Grunde dürfen eigentlich zwei Geschwister nicht in dem¬ selben Jahre heirathen. Auf dem Heimweg vom Pfarrer muß in der Umge¬ bung von Marienberg die junge Frau ein Stück Geld (Opfer) wegwerfen, dann geht sie einer glücklichen Ehe entgegen. Tritt sie zum ersten Mal in das Haus ihres Mannes, so muß sie in Marienberg ein Gesangbuch und Essen, anderswo ein Gesangbuch, einen Groschen und etwas Salz mitbringen. Friedlicher Ver¬ lauf eines Hochzeitsschmauses bedeutet eine friedliche Ehe. Wird bei demselben das erste Brot angeschnitten, so pflegt sich bei Schneeberg entweder die Braut oder der Bräutigam das „Ränftchen", d. h, den Auschnitt aufzuheben; zerbröckelt dies bald, so bedeutet es den baldigen Tod der betreffenden Person. Braut und Bräutigam dürfen am Hochzeitstage kein Geld wechseln; denn sonst kommt ihnen in der Ehe Geld weg. Die ersten "Schuhe, welche eine junge Frau ab¬ reißt, dürfen weder verschenkt noch verkauft werden, sondern man muß sie weg¬ werfen, sonst giebts Unglück. Tod und Begräbniß endlich hat der Aberglaube selbstverständlich mit einer nicht geringern Fülle von Anzeichen und eigenthümlichen Observanzen umspon¬ nen als Geburt, Taufe und Hochzeit. Die Wahrsagung auf den Tod ist. wie wir bereits sahen, die reichste und mannigfaltigste von allen, gewisse Constel- lationen der Verhältnisse zu heiligen Zeiten, die Thier- und Pflanzenwelt, ge¬ wisse Vorkommnisse des Alltagslebens, alles giebt in dieser Richtung Orakel für die Altgläubigen, die sich keineswegs blos unter den armen und kleinen Leuten finden. Einiges davon sei hier noch mitgetheilt. Begehre ein Kranker „berichtet zu werden", d. h. das letzte Abendmahl zu empfangen, so darf man nicht fragen, welchen Geistlichen er haben will. Liegt jemand im Sterben, so wird die Wanduhr angehalten. Ist er verschie¬ den, so öffnet man die Fenster und wedelt mit Tüchern, „damit die Seele hinausgeht". Dann wird alles Glänzende im Zimmer, wie Spiegel, Gläser, Bilder, Uhren, und alles Rothe verhangen, Um so zu bleiben bis nach der Beerdigung. Endlich muß der Todesfall den Thieren des Hauses gemeldet werden, weil sie sonst nachsterben. Insbesondre muß der Tod des Hausherrn den Pferden und Bienen, sowie den Obstbäumen im Garten „angesagt" wer¬ den. Um sich Gram und Trauer zu mildern, zieht der Abergläubische bei Ma¬ rienberg den Verstorbenen an der großen Fußzehe und ruft ihn beim Taufna¬ men. Bei Grünstädtcl wird der Leiche alles, womit sie gewaschen, gekämmt, barbiert und abgetrocknet worden ist, mit in den Sarg gelegt; auch fügt man ein Licht hinzu, „damit es hell ist, wenn der Todte erwacht". So lange der¬ selbe im Hause aufgebahrt ist, darf niemand von der Familie Brot essen, sonst fallen ihm die Zähne aus. Deutliche Spuren vom Vampyrglauben enthalten die Regeln, nach denen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/447>, abgerufen am 28.09.2024.