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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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Auffallend bleibt es, daß sich die Malerei in Frankreich von dem neuen
Strom des republikanischen und revolutionären Enthusiasmus nirgends fort¬
gerissen oder auch nur berührt zeigt. Alle bedeutenderen Meister verhalten sich,
insofern ihre Gesinnung in ihren gleichzeitigen Kunstschöpfungen einen bestimm¬
ten Ausdruck findet, entweder gleichgiltig, oder mehr noch entschieden oppo¬
sitionell gegen die zum Siege gelangten Principien. Jene Jahre weisen nicht
ein Werk der Malerei auf, das direct oder mittelbar unter der Form gleich¬
artiger Ereignisse alterer Vergangenheit die Thaten oder Tendenzen der Revo¬
lution verherrlichte. Dagegen eine ganze Anzahl solcher, welche wie Delaroches
"Maria Antoinette vor dem Tribunal", Charles Müllers "lejzte Opfer der
Schreckenszeit" unter dem Anschein historischer Objectivität doch nicht ganz die
Absicht bergen können, die Männer der Revolution zu brandmarken und ihre
Opfer zu verherrlichen. Kein Wunder, daß bei solcher Sinnesrichtung es dem
"Mann des December" nicht schwer wurde, schon während seiner Präsidentschaft
und mehr noch nach der gelungenen Vernichtung der Republik die französische
Malerei zu seiner eifrigen Freundin und Dienerin zu machen. Persönlich haben
nur zwei der berühmteren Meister, Ary Scheffer und Gleyre, jener aus Treue
gegen das Andenken der Orleans, dieser aus unerschütterlicher republikanischer
Gesinnung und leidenschaftlicher Ueberzeugung, die ihnen weit entgegengestreckte
kaiserliche Hand zurückzuweisen den Muth gehabt. In den Werken der Andern
erkennt man bald genug den Abglanz der "neuen Sonne", die fortan über der
großen Nation leuchtet. Es heißt die natürlichen Bedingungen der Kunst ver¬
kennen, wenn man sich darüber wundern will und mit dem Anathema über
die Künstler schnell bei der Hand ist. Die kaiserliche Negierung schuf, durch
welche Mittel es immer sei. wieder einen festen, einige Dauer verheißenden
Zustand der französischen Gesellschaft; sie fand das Geheimniß, die großen be¬
wegenden Mächte, Geld und Credit, an deren Mangel ihre Vorgängerin wesent¬
lich zu Grunde ging, wo sie ihrer bedürfte zur Verfügung zu haben; sie setzte
einer zur Schau getragnen republikanisch-bürgerlichen Mäßigkeit und Einfach¬
heit in allem äußern Auftreten und Erscheinen, den voll entfalteten Glanz, die
üppige Pracht des neuen Hofes und Adels entgegen; sie zeigte sich bestrebt,
alle öffentlichen baulichen und künstlerischen Unternehmungen früherer Regie¬
rungen Frankreichs durch die Ausdehnung und Großartigkeit der ihrigen in
Schatten zu stellen, und, ungehindert durch die ehedem vorhandne finanzielle
Controle einer eifersüchtigen und nüchternen Volksvertretung, ungehindert durch
etwaige puritanische und Sparsamkeitstendenzen ihres Chefs, gelang ihr das
auch bald in überraschender Weise. Die architektonische Umgestaltung der
ganzen Hauptstadt, die durch den künstlerischen Reichthum, die wirkliche Soli¬
dität und Gediegenheit wie durch die ans Märchenhafte grenzende Schnelligkeit
der Ausführung als eine Art von Wunderwerk erscheinende Vollendung des


Auffallend bleibt es, daß sich die Malerei in Frankreich von dem neuen
Strom des republikanischen und revolutionären Enthusiasmus nirgends fort¬
gerissen oder auch nur berührt zeigt. Alle bedeutenderen Meister verhalten sich,
insofern ihre Gesinnung in ihren gleichzeitigen Kunstschöpfungen einen bestimm¬
ten Ausdruck findet, entweder gleichgiltig, oder mehr noch entschieden oppo¬
sitionell gegen die zum Siege gelangten Principien. Jene Jahre weisen nicht
ein Werk der Malerei auf, das direct oder mittelbar unter der Form gleich¬
artiger Ereignisse alterer Vergangenheit die Thaten oder Tendenzen der Revo¬
lution verherrlichte. Dagegen eine ganze Anzahl solcher, welche wie Delaroches
„Maria Antoinette vor dem Tribunal", Charles Müllers „lejzte Opfer der
Schreckenszeit" unter dem Anschein historischer Objectivität doch nicht ganz die
Absicht bergen können, die Männer der Revolution zu brandmarken und ihre
Opfer zu verherrlichen. Kein Wunder, daß bei solcher Sinnesrichtung es dem
„Mann des December" nicht schwer wurde, schon während seiner Präsidentschaft
und mehr noch nach der gelungenen Vernichtung der Republik die französische
Malerei zu seiner eifrigen Freundin und Dienerin zu machen. Persönlich haben
nur zwei der berühmteren Meister, Ary Scheffer und Gleyre, jener aus Treue
gegen das Andenken der Orleans, dieser aus unerschütterlicher republikanischer
Gesinnung und leidenschaftlicher Ueberzeugung, die ihnen weit entgegengestreckte
kaiserliche Hand zurückzuweisen den Muth gehabt. In den Werken der Andern
erkennt man bald genug den Abglanz der „neuen Sonne", die fortan über der
großen Nation leuchtet. Es heißt die natürlichen Bedingungen der Kunst ver¬
kennen, wenn man sich darüber wundern will und mit dem Anathema über
die Künstler schnell bei der Hand ist. Die kaiserliche Negierung schuf, durch
welche Mittel es immer sei. wieder einen festen, einige Dauer verheißenden
Zustand der französischen Gesellschaft; sie fand das Geheimniß, die großen be¬
wegenden Mächte, Geld und Credit, an deren Mangel ihre Vorgängerin wesent¬
lich zu Grunde ging, wo sie ihrer bedürfte zur Verfügung zu haben; sie setzte
einer zur Schau getragnen republikanisch-bürgerlichen Mäßigkeit und Einfach¬
heit in allem äußern Auftreten und Erscheinen, den voll entfalteten Glanz, die
üppige Pracht des neuen Hofes und Adels entgegen; sie zeigte sich bestrebt,
alle öffentlichen baulichen und künstlerischen Unternehmungen früherer Regie¬
rungen Frankreichs durch die Ausdehnung und Großartigkeit der ihrigen in
Schatten zu stellen, und, ungehindert durch die ehedem vorhandne finanzielle
Controle einer eifersüchtigen und nüchternen Volksvertretung, ungehindert durch
etwaige puritanische und Sparsamkeitstendenzen ihres Chefs, gelang ihr das
auch bald in überraschender Weise. Die architektonische Umgestaltung der
ganzen Hauptstadt, die durch den künstlerischen Reichthum, die wirkliche Soli¬
dität und Gediegenheit wie durch die ans Märchenhafte grenzende Schnelligkeit
der Ausführung als eine Art von Wunderwerk erscheinende Vollendung des


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[0436] Auffallend bleibt es, daß sich die Malerei in Frankreich von dem neuen Strom des republikanischen und revolutionären Enthusiasmus nirgends fort¬ gerissen oder auch nur berührt zeigt. Alle bedeutenderen Meister verhalten sich, insofern ihre Gesinnung in ihren gleichzeitigen Kunstschöpfungen einen bestimm¬ ten Ausdruck findet, entweder gleichgiltig, oder mehr noch entschieden oppo¬ sitionell gegen die zum Siege gelangten Principien. Jene Jahre weisen nicht ein Werk der Malerei auf, das direct oder mittelbar unter der Form gleich¬ artiger Ereignisse alterer Vergangenheit die Thaten oder Tendenzen der Revo¬ lution verherrlichte. Dagegen eine ganze Anzahl solcher, welche wie Delaroches „Maria Antoinette vor dem Tribunal", Charles Müllers „lejzte Opfer der Schreckenszeit" unter dem Anschein historischer Objectivität doch nicht ganz die Absicht bergen können, die Männer der Revolution zu brandmarken und ihre Opfer zu verherrlichen. Kein Wunder, daß bei solcher Sinnesrichtung es dem „Mann des December" nicht schwer wurde, schon während seiner Präsidentschaft und mehr noch nach der gelungenen Vernichtung der Republik die französische Malerei zu seiner eifrigen Freundin und Dienerin zu machen. Persönlich haben nur zwei der berühmteren Meister, Ary Scheffer und Gleyre, jener aus Treue gegen das Andenken der Orleans, dieser aus unerschütterlicher republikanischer Gesinnung und leidenschaftlicher Ueberzeugung, die ihnen weit entgegengestreckte kaiserliche Hand zurückzuweisen den Muth gehabt. In den Werken der Andern erkennt man bald genug den Abglanz der „neuen Sonne", die fortan über der großen Nation leuchtet. Es heißt die natürlichen Bedingungen der Kunst ver¬ kennen, wenn man sich darüber wundern will und mit dem Anathema über die Künstler schnell bei der Hand ist. Die kaiserliche Negierung schuf, durch welche Mittel es immer sei. wieder einen festen, einige Dauer verheißenden Zustand der französischen Gesellschaft; sie fand das Geheimniß, die großen be¬ wegenden Mächte, Geld und Credit, an deren Mangel ihre Vorgängerin wesent¬ lich zu Grunde ging, wo sie ihrer bedürfte zur Verfügung zu haben; sie setzte einer zur Schau getragnen republikanisch-bürgerlichen Mäßigkeit und Einfach¬ heit in allem äußern Auftreten und Erscheinen, den voll entfalteten Glanz, die üppige Pracht des neuen Hofes und Adels entgegen; sie zeigte sich bestrebt, alle öffentlichen baulichen und künstlerischen Unternehmungen früherer Regie¬ rungen Frankreichs durch die Ausdehnung und Großartigkeit der ihrigen in Schatten zu stellen, und, ungehindert durch die ehedem vorhandne finanzielle Controle einer eifersüchtigen und nüchternen Volksvertretung, ungehindert durch etwaige puritanische und Sparsamkeitstendenzen ihres Chefs, gelang ihr das auch bald in überraschender Weise. Die architektonische Umgestaltung der ganzen Hauptstadt, die durch den künstlerischen Reichthum, die wirkliche Soli¬ dität und Gediegenheit wie durch die ans Märchenhafte grenzende Schnelligkeit der Ausführung als eine Art von Wunderwerk erscheinende Vollendung des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/436>, abgerufen am 28.09.2024.