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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band.

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dogmatisch fest begrenzt worden. Doch lag schon in der ganzen Aufgabe des
erwarteten Retters, daß seine Persönlichkeit als über das gewöhnliche Maß des
Menschlichen hinausragend gedacht wurde. Er sollte ja mehr sein als die Pro¬
pheten, welche ihn nur weissagten, mehr als die Könige, welchen die Herstellung
des theatralischen Reichs nur in beschränktem Maße gelungen war. In der
Zeit nun, da man mit phantastisch gefärbten Hoffnungen die Wiederkunft des
Messias erwartete, wurden seiner Persönlichkeit -- zumeist nach alttestcunent-
lichen durch allegorische Deutung ins Unendliche vermehrten Stellen -- gesteigerte,
immer sagenhaftere Attribute beigelegt. Der Messias mußte Wunder gethan haben,
mußte aus Davids Geschlecht sein, und schon jetzt wurde für seine Entstehung
die Annahme einer übernatürlichen Mitwirkung Gottes für nothwendig befunden.
Diese Richtung steigerte sich noch, nahm aber eine geistigere Wendung, als der
Glaube an die Wiederkunft mit der Zeit selbst eine geistige Deutung erhielt.
Schon Paulus stellte rcligionsphilosophische Betrachtungen an, über Jesus als
den zweiten Adam, als eine neue Schöpfung, als den urbildlichen, sündloscn,
geistigen Menschen, von welchem er den fleischlichen irdischen Jesus ausdrück¬
lich unterschied. Ja es finden sich bei ihm die Ideen der Präexistenz, der Welt¬
schöpfung durch Jesus bereits wenigstens im Keime vor. Diese Ideen aber,
deren weitere Ausbildung sich noch in den neutestamentlichen Briefen verfolgen
läßt, berühren sich aufs engste mit heidnischen Speculationen der damaligen
Zeit, und die letzteren fanden um so eher Eingang in die Terminologie und
den Jdeenkreis des Christenthums, je mehr dieses von nun an seinen Schwer¬
punkt in der Heidenwelt, nicht mehr im Judenthum hatte. Es ist oben der
alexandrinischen Religionsphilosophie gedacht worden, deren Bedeutung haupt¬
sächlich in der Einführung platonischer und stoischer Elemente in die jüdischen
Neligionsvorstellungcn besteht. In dieser Schule nun wurde vornehmlich die
Lehre vom Logos ausgebildet, d. h. der göttlichen Vernunft, welche das Mittel-
wesen zwischen Gott und den Menschen ist. durch welche Gott auf den Men¬
schen wirkt, und durch welche der Mensch sich zu Gott erhebt. Dieser Begriff
des Logos, des göttlichen Worts, wurde von der Mitte des zweiten Jahr¬
hunderts an auf Jesus übertragen und damit seine völlige Vergöttlichung ein¬
geleitet. Die Logoslehre, auf welche das vierte Evangelium gebaut ist, bildete
die Grundlage der späteren Dreieinigkcttslehre. Heidnische Elemente wirkten
sonach mit zur Bildung dieses christlichen Grunddogmas, wie eS auch unver¬
kennbar ist, daß der sowohl heidnische als jüdische Opfcrbegriff dem kirchlichen
Dogma von der Versöhnung zu Grunde liegt.*)

Kirche und Dogma, Einrichtungen und Lehrmeinungen zogen also ihre



*> Man vergleiche die lichtvollen Ausführungen bei ^l,I,ima,Lo (losiuei-ni, As, Is oatlio-
Ueisinö et 1e pi'otkswntisme, ?->.ris, 1864.

dogmatisch fest begrenzt worden. Doch lag schon in der ganzen Aufgabe des
erwarteten Retters, daß seine Persönlichkeit als über das gewöhnliche Maß des
Menschlichen hinausragend gedacht wurde. Er sollte ja mehr sein als die Pro¬
pheten, welche ihn nur weissagten, mehr als die Könige, welchen die Herstellung
des theatralischen Reichs nur in beschränktem Maße gelungen war. In der
Zeit nun, da man mit phantastisch gefärbten Hoffnungen die Wiederkunft des
Messias erwartete, wurden seiner Persönlichkeit — zumeist nach alttestcunent-
lichen durch allegorische Deutung ins Unendliche vermehrten Stellen — gesteigerte,
immer sagenhaftere Attribute beigelegt. Der Messias mußte Wunder gethan haben,
mußte aus Davids Geschlecht sein, und schon jetzt wurde für seine Entstehung
die Annahme einer übernatürlichen Mitwirkung Gottes für nothwendig befunden.
Diese Richtung steigerte sich noch, nahm aber eine geistigere Wendung, als der
Glaube an die Wiederkunft mit der Zeit selbst eine geistige Deutung erhielt.
Schon Paulus stellte rcligionsphilosophische Betrachtungen an, über Jesus als
den zweiten Adam, als eine neue Schöpfung, als den urbildlichen, sündloscn,
geistigen Menschen, von welchem er den fleischlichen irdischen Jesus ausdrück¬
lich unterschied. Ja es finden sich bei ihm die Ideen der Präexistenz, der Welt¬
schöpfung durch Jesus bereits wenigstens im Keime vor. Diese Ideen aber,
deren weitere Ausbildung sich noch in den neutestamentlichen Briefen verfolgen
läßt, berühren sich aufs engste mit heidnischen Speculationen der damaligen
Zeit, und die letzteren fanden um so eher Eingang in die Terminologie und
den Jdeenkreis des Christenthums, je mehr dieses von nun an seinen Schwer¬
punkt in der Heidenwelt, nicht mehr im Judenthum hatte. Es ist oben der
alexandrinischen Religionsphilosophie gedacht worden, deren Bedeutung haupt¬
sächlich in der Einführung platonischer und stoischer Elemente in die jüdischen
Neligionsvorstellungcn besteht. In dieser Schule nun wurde vornehmlich die
Lehre vom Logos ausgebildet, d. h. der göttlichen Vernunft, welche das Mittel-
wesen zwischen Gott und den Menschen ist. durch welche Gott auf den Men¬
schen wirkt, und durch welche der Mensch sich zu Gott erhebt. Dieser Begriff
des Logos, des göttlichen Worts, wurde von der Mitte des zweiten Jahr¬
hunderts an auf Jesus übertragen und damit seine völlige Vergöttlichung ein¬
geleitet. Die Logoslehre, auf welche das vierte Evangelium gebaut ist, bildete
die Grundlage der späteren Dreieinigkcttslehre. Heidnische Elemente wirkten
sonach mit zur Bildung dieses christlichen Grunddogmas, wie eS auch unver¬
kennbar ist, daß der sowohl heidnische als jüdische Opfcrbegriff dem kirchlichen
Dogma von der Versöhnung zu Grunde liegt.*)

Kirche und Dogma, Einrichtungen und Lehrmeinungen zogen also ihre



*> Man vergleiche die lichtvollen Ausführungen bei ^l,I,ima,Lo (losiuei-ni, As, Is oatlio-
Ueisinö et 1e pi'otkswntisme, ?->.ris, 1864.
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[0432] dogmatisch fest begrenzt worden. Doch lag schon in der ganzen Aufgabe des erwarteten Retters, daß seine Persönlichkeit als über das gewöhnliche Maß des Menschlichen hinausragend gedacht wurde. Er sollte ja mehr sein als die Pro¬ pheten, welche ihn nur weissagten, mehr als die Könige, welchen die Herstellung des theatralischen Reichs nur in beschränktem Maße gelungen war. In der Zeit nun, da man mit phantastisch gefärbten Hoffnungen die Wiederkunft des Messias erwartete, wurden seiner Persönlichkeit — zumeist nach alttestcunent- lichen durch allegorische Deutung ins Unendliche vermehrten Stellen — gesteigerte, immer sagenhaftere Attribute beigelegt. Der Messias mußte Wunder gethan haben, mußte aus Davids Geschlecht sein, und schon jetzt wurde für seine Entstehung die Annahme einer übernatürlichen Mitwirkung Gottes für nothwendig befunden. Diese Richtung steigerte sich noch, nahm aber eine geistigere Wendung, als der Glaube an die Wiederkunft mit der Zeit selbst eine geistige Deutung erhielt. Schon Paulus stellte rcligionsphilosophische Betrachtungen an, über Jesus als den zweiten Adam, als eine neue Schöpfung, als den urbildlichen, sündloscn, geistigen Menschen, von welchem er den fleischlichen irdischen Jesus ausdrück¬ lich unterschied. Ja es finden sich bei ihm die Ideen der Präexistenz, der Welt¬ schöpfung durch Jesus bereits wenigstens im Keime vor. Diese Ideen aber, deren weitere Ausbildung sich noch in den neutestamentlichen Briefen verfolgen läßt, berühren sich aufs engste mit heidnischen Speculationen der damaligen Zeit, und die letzteren fanden um so eher Eingang in die Terminologie und den Jdeenkreis des Christenthums, je mehr dieses von nun an seinen Schwer¬ punkt in der Heidenwelt, nicht mehr im Judenthum hatte. Es ist oben der alexandrinischen Religionsphilosophie gedacht worden, deren Bedeutung haupt¬ sächlich in der Einführung platonischer und stoischer Elemente in die jüdischen Neligionsvorstellungcn besteht. In dieser Schule nun wurde vornehmlich die Lehre vom Logos ausgebildet, d. h. der göttlichen Vernunft, welche das Mittel- wesen zwischen Gott und den Menschen ist. durch welche Gott auf den Men¬ schen wirkt, und durch welche der Mensch sich zu Gott erhebt. Dieser Begriff des Logos, des göttlichen Worts, wurde von der Mitte des zweiten Jahr¬ hunderts an auf Jesus übertragen und damit seine völlige Vergöttlichung ein¬ geleitet. Die Logoslehre, auf welche das vierte Evangelium gebaut ist, bildete die Grundlage der späteren Dreieinigkcttslehre. Heidnische Elemente wirkten sonach mit zur Bildung dieses christlichen Grunddogmas, wie eS auch unver¬ kennbar ist, daß der sowohl heidnische als jüdische Opfcrbegriff dem kirchlichen Dogma von der Versöhnung zu Grunde liegt.*) Kirche und Dogma, Einrichtungen und Lehrmeinungen zogen also ihre *> Man vergleiche die lichtvollen Ausführungen bei ^l,I,ima,Lo (losiuei-ni, As, Is oatlio- Ueisinö et 1e pi'otkswntisme, ?->.ris, 1864.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_189094/432>, abgerufen am 28.09.2024.